Anteil der Grundschulkinder mit Zuwanderungsgeschichte in Westfalen

29.11.2022 Peter Wittkampf

Inhalt

Allein in den sieben Jahren von 2015 bis 2021 wanderten – laut Statistischem Landesamt IT.NRW – mehr als 2,1 Mio. Menschen aus dem Ausland in das Land Nordrhein-Westfalen zu. Sie waren und sind in der Regel sehr jung, was auch unter demographischen Aspekten sehr zu begrüßen ist. Im 2022 erschienenen Integrationsmonitoring des Landes NRW heißt es: "Die Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte ist landesweit durchschnittlich um rund 11 Jahre jünger als die ohne Einwanderungsgeschichte" (MKFFI NRW 2022, S. 10).

Die relativ hohe Anzahl der Kinder und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien wirkt sich u.a. in den Schulen in Bezug auf den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte aus. Im Juli 2022 bezifferte IT.NRW den entsprechenden Prozentsatz in den allgemeinbildenden Schulen auf 42,7%, während der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt nur ca. 30% betrug (https://www.it.nrw/.../108435).

Um als Schülerin oder Schüler "mit Zuwanderungsgeschichte" zu gelten, muss mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:
– im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert,
– mindestens ein Elternteil im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert,
– Verkehrssprache in der Familie nicht Deutsch.

Abb.1: Anteil der Kinder mit Zuwanderungsgeschichte in den Grundschulen im Schuljahr 2021/22 und Veränderungen gegenüber dem Schuljahr 2018/19 (Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen)

Räumliche Unterschiede

Die Schulen stehen in Bezug auf die Integration und die Förderung der zugewanderten Kinder und Jugendlichen sowie die Vermittlung der vorgesehenen Bildungsstandards vor ganz besonderen und großen Aufgaben. Im Hinblick auf die Chancen und Probleme der Bewältigung dieser Aufgaben gibt es allerdings räumliche Unterschiede, allein schon durch die jeweils sehr verschiedenen prozentualen Anteile der zugewanderten Schülerinnen und Schüler.

Da in vielen Kommunen nicht alle Schulformen vor Ort existieren, werden im Folgenden nur die Grundschulkinder berücksichtigt, denn zumindest Grundschulen sind flächendeckend vorhanden.

Nimmt man die Kreise und kreisfreien Städte Westfalens als räumliche Bezugsebene (Abb. 1), so reichen die Anteile der Grundschulkinder mit Zuwanderungsgeschichte von 21,2% im Kreis Coesfeld bis 62,5% in Gelsenkirchen. Besonders hohe Werte von mehr als 60% gibt es außerdem in Bielefeld und Hagen. Die Ruhrgebietsstädte Dortmund und Herne weisen immerhin Anteile von über 55% auf. Die hohen Quoten in diesen Städten resultieren u.a. aus dem Bestreben vieler Zuwanderer, die räumliche Nähe von bereits ansässigen Verwandten, Bekannten oder den Menschen zu suchen, denen man sich durch kulturelle, sprachliche oder religiöse Gemeinsamkeiten verbunden fühlt. Auch erwartet man in großen Städten bessere Arbeits-, Lebens-, Betreuungs- und Ausbildungsmöglichkeiten.

Knapp über bzw. unter 50%-Anteile gibt es in einigen Teilregionen Ostwestfalens. Hier spielen nicht nur Beschäftigungsmöglichkeiten z.B. in der Industrie eine Rolle, sondern z.T. auch die Konzentration von Russ­landdeutschen in bestimmten Kommunen. Dies ist etwa im Kreis Lippe der Fall. Viele dieser aus der früheren Sowjetunion Zugewanderten sind Baptisten oder Mennoniten. Die Familien haben deutlich mehr Kinder als Familien ohne Migrationshintergrund.

In manchen ostwestfälischen Gegenden waren Freikirchen bereits früher relativ stark präsent (vgl. Beitrag Altevogt).

Die geringsten Anteile an Grundschulkindern mit Zuwanderungsgeschichte gibt es in den Müns­terlandkreisen Coesfeld und Borken sowie im Kreis Olpe und im Hochsauerlandkreis. Die sog. Pull-Faktoren (also die "Anziehungsfaktoren"), die oben für die bevorzugten Zuwanderungsgebiete genannt wurden, wirken sich hier weniger stark aus.

Auch durch Schlüsselzuweisungen im Rahmen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes haben sich in Kreisen wie Höxter, Borken, Recklinghausen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis seit dem Schuljahr 2018/19 teilweise deutliche Erhöhungen des Anteils an Grundschülern mit Zuwanderungsgeschichte ergeben (Abb. 1).

Abb. 2: Kommunale Schwerpunkte mit besonders hohen Anteilen von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte in den Grundschulen im Schuljahr 2021/22 (Quellen: https://www.it.nrw, https://www.landtag.nrw.de)

Kommunen mit den höchsten Prozentanteilen

Die in Abbildung 1 dokumentierten Anteile auf Kreisebene sind Mittelwerte, von denen innerhalb der Kreise einzelne Kommunen z.T. stark abweichen können. Im Kreis Borken z.B. liegen die Extremwerte bei 54,4% in Gronau und 10,0% in Raesfeld. Im Kreis Recklinghausen lauten die entsprechenden Zahlen 55,6% für Gladbeck und 13,4% für Haltern am See, im Ennepe-Ruhr-Kreis 52,9% (Schwelm) und 5,0% (Beckerfeld).

Daher empfiehlt sich angesichts der besonderen Herausforderungen, vor die diese Kommunen gestellt sind, ein gesonderter Blick auf die Städte und Gemeinden, in denen die Anteile besonders hoch sind (Abb. 2): In den Kreisen Lippe und Minden-Lübbecke gibt es besonders viele Kommunen, in denen mehr als 50% der Grundschulkinder eine Zuwanderungsgeschichte haben. Den höchsten Wert weist mit 76,0% die Gemeinde Augustdorf (Kr. Lippe) auf. Etwa ein Drittel der gut 10.000 Einwohnenden zählt zur Gruppe der Spätaussiedler bzw. Russlanddeutschen (https://www.augustdorf.de/...). Für deren Familien – häufig Mennoniten oder Baptisten – ist Kinderreichtum ein hohes Gut. Die Bevölkerung Augustdorfs hat denn auch das niedrigste Durchschnittsalter aller NRW-Kommunen.

Nach Gelsenkirchen (62,5%) hat die Stadt Espelkamp (Kr. Minden-Lübbecke) mit 62,1% den dritthöchsten Anteil an Kindern mit Zuwanderungsgeschichte.

Innerkommunale Schwerpunkte

Auch innerhalb von Städten und Gemeinden können die dort jeweils vorhandenen Grundschulen sehr hohe oder sehr niedrige Quoten an Kindern mit Zuwanderungsgeschichte aufweisen. In der Stadt wohnen zugewanderte Familien häufig im selben Viertel. In den dortigen Grundschulen haben dann teilweise mehr als 75%, manchmal sogar über 90% der Kinder eine Zuwanderungsgeschichte. Die Verteilung dieser Grundschulen innerhalb Westfalens wird in Abbildung 2 deutlich. Anteile von 90% und mehr werden nicht nur in Dortmund (7), Hagen und Bielefeld (je 2), sondern auch in Rheine, Ahlen, Gütersloh, Minden und Bergkamen (je 1) erreicht, wie aus einer Antwort der NRW-Landesregierung vom 01.08.2022 auf eine "Kleine Anfrage" hervorgeht (Landtag NRW 2022).

Betrachtet man die Anzahl der Grundschulen mit einem Anteil von jeweils 75 bis unter 90% (insges. 92 in Westfalen), so ragen – außer den Städten Gelsenkirchen (13), Dortmund (11) und Bielefeld (9 Grundschulen) bei den Kreisen wiederum Minden-Lübbecke (6) und Lippe (5) heraus.

Herkunftssprachliche Unterrichtsangebote

Auf die verschiedenen Herkunftsländer, die bei den Grundschulen mit besonders hohen Anteilen an Kindern mit Zuwanderungsgeschichte jeweils eine besonders bedeutende Rolle spielen, lässt sich schließen, wenn man sich die Zahl der Kurse in "herkunftssprachlichem Unterricht" ansieht. Solche zusätzlichen Unterrichtsangebote können unter bestimmten Voraussetzungen eingerichtet werden. Die jeweiligen Schulämter geben über diese Angebote Auskunft. Im Kreis Recklinghausen z.B. gibt es im Schuljahr 2022/23 in den Grundschulen 51 solcher Kurse, davon 28 in Türkisch und 19 in Arabisch. Im Kreis Minden-Lübbecke dagegen betrafen von insgesamt 28 Kursangeboten in den Grundschulen u.a. 10 das Fach Russisch, 5 Arabisch und 4 Türkisch.

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Weiterführende Literatur/Quellen

  • Anger, C. und W. Geis-Thöne (2018): Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Köln
    (= IW-Analysen 125. Forschungsberichte aus dem Institut der deutschen Wirtschaft) (https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/IW-Analysen/PDF/2018/Analyse125_Integration_von_Kindern.pdf)
  • Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.) (2017): Russlanddeutsche und andere postsozialistische Migranten. Bonn (www.bpb.de)
  • Deutsches Jugendinstitut (Hg.) (2020): Kinder- und Jugendreport 2020. Datenanalyse zur Situation junger Menschen in Deutschland. Bielefeld (https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/themen/Jugend/DJI_Migrationsreport_2020.pdf)
  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2022): 40,0 Prozent der Schülerinnen und Schüler in NRW hatten im Schuljahr 2021/22 eine Zuwanderungsgeschichte. (Pressemitteilung vom 29.07.2022, https://www.it.nrw/400-prozent-der-schuelerinnen-und-schueler-nrw-hatten-im-schuljahr-2021-22-eine-108435)
  • Landtag Nordrhein-Westfalen (2022): Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 60 der Abgeordneten Carlo Clemens und Enxhi Seli-Zacharias (AFD), Drucksache 18/115, Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund. Drucksache 18/357. (https://afd-fraktion.nrw/wp-content/uploads/2022/08/MMD18-357.pdf)
  • MKFFI NRW Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): (2022): 9. Kommentierte Zuwanderungs- und Integrationsstatistik Nordrhein-Westfalen. Ausgabe 2020. Düsseldorf (http://www.integrationsmonitoring.nrw.de/integrationsberichterstattung_nrw/berichte_analysen/Zuwanderungs-_und_Integrationsstatistiken/9_Zuwand-u_Integrations_NRW_ONLINE.pdf)
  • MSB NRW Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2018): Integration und Deutschförderung neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler. Runderlass vom 15.10.2018.
    (https://bass.schul-welt.de/18431.htm)
  • MSB NRW Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2021): Herkunftssprachlicher Unterricht. Runderlass vom 20.09.2021. (https://bass.schul-welt.de/16253.htm)
  • https://www.augustdorf.de/Die-Gemeinde/Einwohner
  • https://www.it.nrw
  • https://www.landtag.nrw.de
  • https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/grundschulen-mathe-deutsch-101.html
  • https://www.westfalen-regional.de/de/freikirchen

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Erstveröffentlichung 2022

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