Ukrainische Schülerinnen und Schüler in Westfalen

22.03.2024 Peter Wittkampf

Inhalt

Grundsätzliche Fakten und Probleme

Im Februar 2024 lebten in Nord­rhein-Westfalen nach Mitteilung der Landesregierung vom 23.02.2024 insgesamt mehr als 230.000 Ukraine-Flüchtlinge. Ein beträchtlicher Teil hiervon sind – hier schulpflichtige (!) – Kinder und Jugendliche.

Wenn diese (mit ihren Familien oder Müttern) hier einen festen Wohnsitz haben, also nicht mehr z. B. in einer vorläufigen Unterbringungseinrichtung leben, und wenn offiziell festgestellt wurde, wie ihre deutschen Sprachkenntnisse und ihr Lernstand einzuschätzen sind, werden sie einem bestimmten Schulort bzw. einer Schule zugewiesen. Sie haben u.a. wegen der völligen Andersartigkeit der ukrainischen Schrift und Sprache in Deutschland große Probleme zu bewältigen. Manche Kinder und Jugendliche sind zusätzlich durch die Kriegserlebnisse in ihrer Heimat und die Flucht traumatisiert. Eine Eingliederung in das hiesige Schulsystem gestaltet sich daher für alle Beteiligten oftmals schwierig.

Im Schuljahr 2023/24 besuchten in Westfalen insgesamt 25.940 ukrainische Schülerinnen und Schüler eine allgemeinbildende oder berufliche Schule (IT.NRW 2024). Das waren 27,7% mehr als im vorhergehenden Schuljahr 2022/23 (IT.NRW 2023). Auf die Grundschulen entfielen dabei 2023/24 knapp 30% der ukrainischen Schülerschaft, auf die Sekundarstufen ca. 58%, auf die beruflichen Schulen gut 12% (IT.NRW 2024).

Wie die einzelnen Schulen die ukrainischen Schüler fördern oder sogar integrieren, hängt auch von deren spezifischen Personal- und Raumkapazitäten ab. Teilweise werden besondere Förder- bzw. "Willkommens"klassen gebildet, teilweise nehmen die ukrainischen Kinder oder Jugendlichen nur in bestimmten Fächern am Klassenunterricht teil und werden im Übrigen, z.B. durch deutschen Sprachunterricht oder in muttersprachlichem Unterricht, beschult. Letzteres ist allerdings nur dann möglich, wenn Lehrkräfte verfügbar sind, die die ukrainische Sprache beherrschen. Wenn parallel zum Klassenunterricht gleichzeitig Sonderunterricht für die ukrainischen Schülerinnen und Schüler erteilt wird, müssen dafür nicht nur Lehrkräfte, sondern auch die entsprechenden Räume zur Verfügung stehen. Auch die sind aber oft nicht vorhanden. Und wenn die übrigen Schüler Neues lernen, während die ukrainischen Mitschüler anderen Unterricht haben, wird der Lernabstand größer. Dies – und die Tatsache, dass in der Ukraine von den geflüchteten Schülern erwartet wird, weiterhin – online – auch am ukrainischen Unterricht ihrer Heimatschule teilzunehmen, stellt diese oftmals unter enormen Druck, auf den viele mit einer "Verweigerungshaltung" reagieren (Westfalen-Blatt, 25.11.2022).

Abb. 1: Zahl der ukrainischen Schülerinnen und Schüler in den Schulen Westfalens im Schuljahr 2023/24 und Veränderungen gegenüber 2022/2023 (Quelle: eigene Berechnungen nach IT.NRW 2023, 2024)

Räumliche Verteilung

Bei den absoluten Zahlen (Abb. 1) weisen im Schuljahr 2023/24 Dortmund und der Kreis Recklinghausen mit 1.650 bzw. 1.555 ukrainischen Schülerinnen und Schülern die höchsten Werte auf, die niedrigsten Zahlen gibt es im Kreis Olpe (480) sowie in den Städten Herne (400), Hamm (370) und Bottrop (220). Bei flüchtiger Betrachtung scheinen solche Verteilungsschwerpunkte in etwa mit der jeweils unterschiedlichen Einwohnerzahl zu korrelieren. Besonderheiten lassen sich allerdings mit dieser Zuordnung nicht erklären. So hat etwa der Kreis Höxter fast 40.000 Einwohner weniger als etwa die Stadt Hamm, aber ca. 50% mehr ukrainische Schüler/innen. Ähnliches gilt z.B. im Vergleich der Stadt Bochum mit dem Kreis Lippe. Letzterer hat eine deutlich geringere Einwohnerzahl, aber ca. 63% mehr ukrainische Schüler zu versorgen als Bochum.

Wenn man bedenkt, welch große Herausforderung die bedarfsgerechte Beschulung der vielen geflüchteten Kinder und Jugendlichen bedeutet, sind solche räumlichen Disparitäten zweifellos sehr bedeutsam. Ganz besonders schwierig war es für diejenigen Städte und Kreise, die sich sofort in den ersten Monaten der Zuwanderungswelle aus der Ukraine um besonders viele geflüchtete Kinder und Jugendliche kümmern mussten. Dies ist u.a. in den Kreisen Gütersloh, Lippe, Minden-Lübbecke, Paderborn, Unna und in Bochum der Fall. Dort hat sich die Anzahl ukrainischer Schülerinnen und Schüler vom Schuljahr 2022/23 bis zum Schuljahr 2023/24 nur wenig verändert (Abb. 1). Wenn sich andererseits der Zustrom geflüchteter ukrainischer Kinder und Jugendlicher in die Schulen 2023/24 noch signifikant erhöht hat, muss permanent an den Problemlösungen weitergearbeitet werden. Dies betrifft insbesondere die Städte Bottrop, Dortmund und Herne sowie den Kreis Coesfeld und den Ennepe-Ruhr-Kreis.

Dass gerade im Kreis Lippe schon sehr früh sehr viele ukrainische Kinder und Jugendliche ankamen, hängt wesentlich mit der dort bereits vorhandenen Bevölkerungsstruktur zusammen. Große Gemeinschaften von Aussiedlern und Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion wirkten dort als Pull-Faktoren (Radio Lippe, 12.04.2022).

In anderen Teilregionen sind die schon 2022 sehr hohen Aufnahmezahlen z.B. durch die besondere Bereitschaft auch von Privatleuten zu erklären, Wohnraum zur Verfügung zu stellen (DeZIM, 22.09.2022).

Abb. 2: Ukrainische Schülerinnen und Schüler: prozentualer Anteil an der jeweiligen Gesamtschülerzahl (blau) sowie an der jeweiligen Anzahl ausländischer Schüler/innen (rot) im Schuljahr 2023/24 (Quelle: eigene Berechnungen nach IT.NRW 2024)

Räumliche Aspekte: Anteile an der jeweiligen Schülerschaft

Die Herausforderungen, die insbesondere die Schulen zu bewältigen hatten und haben, werden besonders deutlich, wenn man für die einzelnen Städte und Kreise die Anzahl der dort zu beschulenden ukrainischen Schüler/innen ins Verhältnis zur jeweiligen gesamten dortigen Schülerschaft setzt (Abb. 2). So machen z.B. im Kreis Höxter, wo es 2023/24 insgesamt 19.880 Schülerinnen und Schüler gibt, die 555 aus der Ukraine Kommenden einen Anteil von 2,8% aus. Im Kreis Lippe sind es 2,7%, im Kreis Olpe 2,6%. Deutlich geringere Prozentwerte gibt es dagegen z.B. in Gelsenkirchen und Hamm (jeweils 1,4%). Gerade in manchen ländlichen Teilräumen waren und sind für die Schulen und die dort vorhandenen Lehrkräfte also besonders große Anstrengungen zur schulischen Versorgung, zur Förderung und Integration der ukrainischen Kinder und Jugendlichen nötig.

Ein weiterer aufschlussreicher Aspekt ist das Verhältnis von ukrainischen Schülerinnen und Schülern einerseits und speziell der gesamten ausländischen Schülerschaft andererseits, die es vor Ort gibt (Abb. 2). Da z.B. im Kreis Höxter die Anzahl der Schüler/innen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit relativ niedrig ist, macht die nun hier existierende ukrainische Schülerschaft fast 25% hiervon aus. Hohe Anteile mit jeweils mehr als 20% gibt es außerdem in den Kreisen Coesfeld und Olpe. Umgekehrt betragen die entsprechenden Anteile in den Ruhrgebietsstädten jeweils weniger als 10%, in Gelsenkirchen sogar unter 5%.

Es bleibt noch die Frage zu klären, in welchen Schulstufen sich zahlenmäßige Schwerpunkte der ukrainischen Schülerschaft feststellen lassen. Besonders hohe Anteile im Grundschulbereich gibt es in Gelsenkirchen und Hamm sowie in den Kreisen Gütersloh, Soest und im Ennepe-Ruhr-Kreis. Jeweils mehr als 35% der dortigen ukrainischen Schüler ist noch im Grundschulalter. Hier könnte die Chance bestehen, den Spracherwerb leichter zu bewältigen als dort, wo viele ukrainische Schüler bereits erheblich älter sind. Deutlich geringere Anteile der Grundschul-Altersgruppe gibt es – mit jeweils nur etwa 25% – bei der Ukraine-Schülerschaft z.B. in Bochum und Hagen (IT.NRW 2024).

In die beruflichen Schulen – einschließlich der Berufskollegs – gehen in Münster und Dortmund sowie im Kreis Herford jeweils mehr als 18% aller dortigen ukrainischen Schülerinnen und Schüler, während es etwa in den Kreisen Minden-Lübbecke, Soest und im Hochsauerlandkreis nur jeweils weniger als 10% sind (ebd.).

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Weiterführende Literatur/Quellen

  • DeZIM Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung DeZIM (Hg.) (2022): Private Unterbringung ukrainischer Geflüchteter: Überwiegend positive Erfahrung. (Pressemitteilung vom 22.09.2022)
    (https://www.dezim-institut.de/aktuelles/aktuelles-detail/studie-privatunterbringung-gefluechtete)

  • Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024): Zweiter Jahrestag des Angriffs Russlands auf die Ukraine. (Pressemitteilung vom 23.02.2024)
    (https://www.land.nrw/pressemitteilung/zweiter-jahrestag-des-angriffs-russlands-auf-die-ukraine-ministerpraesident)

  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): Schüler/-innen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen NRWs im Schuljahr 2022/23. (https://www.it.nrw/system/files/media/document/file/62_23.pdf)

  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024): Schüler/-innen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen NRWs im Schuljahr 2023/24. (https://www.it.nrw/system/files/media/document/file/54b_24.pdf)

  • Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2022): Kinder und Jugendliche aus der Ukraine integrieren. (https://www.schulministerium.nrw/kinder-und-jugendliche-aus-der-ukraine-integrieren

  • Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): 49 Millionen Euro für die Aufnahme und Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher an unseren Schulen. (Pressemitteilung vom 14.06.2023)
    (https://www.schulministerium.nrw/presse/pressemitteilungen/49-millionen-euro-fuer-die-aufnahme-und-integration-gefluechteter-kinder)

  • Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): Erweiterung und Verlängerung des Erlasses "Beschleunigte Aufnahme neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler an einer Schule" bis zum Ende des Schuljahres 2025/2026. (Brief an die NRW-Bezirksregierungen vom 07.12.2023)
    (https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/downloads/Themen_a-Z/Bildung/Beschleunigte_Aufnahme_zugewanderter_Schuelerinnen.pdf

  • Radio Lippe, 12.04.2022: "Viele Kriegsflüchtlinge in Augustdorf, Lage und Horn-Bad Meinberg". 
    (https://www.radiolippe.de/nachrichten/lippe/detailansicht/viele-kriegsfluechtlinge-in-augustdorf-lage-und-horn-bad-meinberg.html)

  • WDR, 12.09.2022: "Tausende geflüchtete Kinder haben keinen Schulplatz".
    (https://www1.wdr.de/nachrichten/schulpflichtige-kinder-ukraine-100.html)

  • WDR, 21.04.2024: "Wie es für Flüchtlingskinder an NRW-Schulen läuft".
    (https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/willkommensklassen-104.html)

  • Westfalen-Blatt, 25.11.2022: "Kaum noch Plätze für ukrainische Schüler in Paderborn".
    (https://www.westfalen-blatt.de/owl/kreis-paderborn/paderborn/kaum-noch-platze-fur-ukrainische-schuler-in-paderborn-2665392?&npg)

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Erstveröffentlichung 2024

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