Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte an den allgemeinbildenden Schulen Westfalens
Nach den Zuwanderungswellen der letzten Jahre machen Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte auch in Westfalen inzwischen einen erheblichen Teil der Schülerschaft aus. Dieser soll im Folgenden speziell für den Bereich der allgemeinbildenden Schulen dargestellt werden. Berufsschulen und Weiterbildungskollegs bleiben daher unberücksichtigt, ebenso wie die Waldorfschulen, da Letztere nicht in die Erhebung der NRW-Landesstatistik einbezogen waren.
Gesamtstatistik für Westfalen
Laut Statistikportal IT.NRW (2024a) gelten als Personen mit Zuwanderungsgeschichte "in der Schulstatistik Schülerinnen und Schüler, die im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert sind und/oder Schülerinnen und Schüler, von denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert ist und/oder deren Verkehrssprache in der Familie nicht Deutsch ist. Die Staatsangehörigkeit der Schüler/-innen ist dabei ohne Bedeutung."
Aus den Zahlen von IT.NRW ergibt sich für den Fünfjahreszeitraum vom Schuljahr 2019/20 bis zum Schuljahr 2023/24 eine Erhöhung der Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte um 15,4% auf insgesamt 401.995, was einem Anteil von rd. 43,5% an der gesamten Schülerschaft der allgemeinbildenden Schulen entspricht. Ohne diese Schüler mit Zuwanderungsgeschichte wäre die Schülerzahl im genannten Zeitraum um 4,4% (auf 521.525) zurückgegangen (Tab. 1).
Räumliche Besonderheiten
Der Anteil von 43,5% für Westfalen insgesamt wurde 2023/24 in den einzelnen Teilräumen z.T. deutlich unter- oder überschritten (Abb. 1).
Besonders hohe Anteile wiesen – mit jeweils mehr als 55% – Gelsenkirchen (62,0%), Hagen (58,4%), Bielefeld (58,2%) und Dortmund (56,8%) auf. Im Vergleich zum Schuljahr 2015/16, in dem der starke Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien begann, waren die Quoten von 2023/24 in diesen und anderen Städten jedoch merklich höher: 2015/16 hatten die Anteile z.B. in Gelsenkirchen lediglich bei 51,0% gelegen, in Bielefeld bei 47,4%, in Hagen bei 44,4% (IT.NRW 2024b, eig. Berechnungen). Außer den Zuwanderungen aus dem arabisch-syrischen Raum gab es in den letzten Jahren zwei weitere räumliche Schwerpunkte der Herkunftsgebiete, nämlich einerseits Ost- und Südosteuropa, andererseits die Ukraine (s. Beitrag Wittkampf). Vor 2015 dominierten die türkischstämmigen Zugewanderten, sie ließen sich vorzugsweise in den Ruhrgebietsstädten und in einigen südlicher gelegenen, industriell geprägten Kreisen nieder (s. Beitrag Wittkampf).
Am 12.07.2016 berichtete das News-Portal "Der Westen", dass Migranten außerhalb Deutschlands offenbar gezielt eine Zuwanderung in Ruhrgebietsstädte wie etwa Gelsenkirchen nahegelegt worden sei. Zur Begründung sei ihnen gesagt worden, dort seien ihre Chancen größer. Laut Sebastian Kurtenbach vom Bochumer Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung seien, so heißt es in dem Artikel weiter, auch Verwandte bzw. Menschen mit der gleichen Sprache für Zuwandernde ein wichtiger Grund für die Bevorzugung ganz bestimmter Ziele.
Folgen der Wohnsitzzuweisung ab 2016
Am 06.08.2016 wurde in das deutsche Aufenthaltsgesetz der neue §12a eingefügt, der vorschreibt, dass anerkannte Schutzberechtigte ihren Wohnort nicht mehr frei wählen können, sondern für maximal drei Jahre von den Behörden einer bestimmten Kommune zugewiesen werden. Dies sollte der ungleichen Belastung einzelner Städte und Kreise entgegenwirken.
Die gesetzliche Wohnsitzzuweisung 2016 zeigte und zeigt insofern Wirkung, als nun auch Kreisen, in denen 2015/16 die Anteile an Zugewanderten – und dementsprechend auch an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte – noch gering waren, innerhalb kurzer Zeit sehr viele schulpflichtige Kinder und Jugendliche zugewiesen wurden. Dies bedeutete für die dortigen Schulen eine besonders große Herausforderung, da bei den neu angekommenen Schülern zumeist noch nicht einmal geringe Vorkenntnisse der deutschen Sprache vorhanden waren und sich die durch Zuwanderungsgeschichte geprägte Schülerschaft innerhalb kurzer Zeit fast verdoppelte.
Am besten lassen sich die Dimensionen der zu bewältigenden Probleme durch einen Blick auf die Zunahme der absoluten Zahlen an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte verdeutlichen. Im Kreis Coesfeld beispielsweise stieg deren Anzahl von 3.563 im Schuljahr 2015/16 auf 4.720 (2019/20) und schießlich auf 6.100 (2023/24) (IT.NRW 2024b).
Abbildung 2 konzentriert sich auf den Zeitraum von 2019/20 bis 2023/24, um die jüngsten Veränderungen, u.a. durch die Ukraine-Flüchtlinge, besonders zu verdeutlichen. Im Kreis Coesfeld (+29,2%) und in den Münsterlandkreisen waren die deutlichsten Steigerungen bei den Schüler/innen mit Zuwanderungsgeschichte zu verzeichnen. Aber auch in Bottrop und im Kreis Höxter lagen die Steigerungsraten jeweils bei über 20%.
Wenn auch die absoluten Zahlen der – von staatlichen Stellen zugewiesenen – Zuwanderer in den Kreisen bzw. kreisfreien Städten ungefähr vergleichbar sind, unterscheiden sich die Steigerungsraten dennoch z.T. deutlich aufgrund der jeweils sehr unterschiedlichen Ausgangszahlen. Im Kreis Höxter etwa bewirkten die 920 zusätzlichen Schüler/innen mit Zuwanderungsgeschichte im Schuljahr 2023/24 eine Steigerung von 21,9% gegenüber dem Schuljahr 2019/20. In Hamm dagegen bedeuteten die 930 zusätzlichen Schüler lediglich eine Steigerung von 9,8% (Tab. 2).
Die Situation speziell an den Grundschulen
Da in den letzten Jahren verstärkt junge Familien bzw. Mütter mit kleinen Kindern zuwanderten, machte sich dies in einigen Kreisen dadurch bemerkbar, dass es dort im Schuljahr 2023/24 besonders in den Grundschulen viele Kinder mit Zuwanderungsgeschichte gab. Die entsprechenden Anteile waren hier merklich größer als die in der Schülerschaft in allgemeinbildenden Schulen insgesamt, zu denen ja auch die weiterführenden Schulen zählen. So hatten etwa im Kreis Höxter in den Grundschulen 37,0% der Kinder eine Zuwanderungsgeschichte, während der entsprechende Anteil an der gesamten Schülerschaft der allgemeinbildenden Schulen dort nur 32,7 % betrug (IT.NRW 2024b, eig. Berechnungen).
Noch größere Disparitäten als im Vergleich der Kreise und kreisfreien Städte gibt es zwischen den einzelnen Kommunen, ja sogar Stadtteilen größerer Städte. Die höchsten und die niedrigsten prozentualen Anteile speziell im Grundschulbereich zeigt Tabelle 3. In den Kurorten etwa fanden viele zugewanderte junge Frauen Arbeit. Ihre Kinder tragen wesentlich zu den hohen Quoten an Grundschulkindern mit Zuwanderungsgeschichte bei. In Ostwestfalen spielen teilweise, etwa bei den Mennoniten und Baptisten, auch kulturelle bzw. religiöse Hintergründe bei den Zuwanderfamilien aus Ost- und Südosteuropa bzw. aus Russland eine Rolle. Ihr generatives Verhalten weist markante Unterschiede zur deutschstämmigen Bevölkerung auf. Aber auch in den Ruhrgebietsstädten zeigt beispielsweise die durchschnittliche Anzahl der Geburten je Frau deutliche Auffälligkeiten. So hatten 2023 in Gelsenkirchen die Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Durchschnitt 1,3 Kinder, Ausländerinnen hingegen 2,7. In Hagen betrug das Verhältnis 1,3 zu 2,6, in Münster dagegen 1,0 zu 1,3 (IT.NRW 2024c).
Teilweise haben im Ruhrgebiet in bestimmten Schulen (Bsp.: Gesamtschule Gelsenkirchen-Ückendorf; WDR, 07.08.2023) oder sogar in bestimmten Stadtteilen fast alle Schülerinnen und Schüler eine Zuwanderungsgeschichte (s. Beitrag Wittkampf).
Weiterführende Literatur/Quellen
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Der Westen (12.07.2016): Warum es Flüchtlinge oft ins Ruhrgebiet zieht. (https://www.derwesten.de/politik/warum-es-fluechtlinge-oft-ins-ruhrgebiet-zieht-id12002467.html; abgerufen am 27.11.2024)
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IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024a): Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte steigt auf 43 Prozent. (https://www.it.nrw/korrektur-zweite-zwischenueberschrift-berichtigt-nrw-anteil-der-schuelerinnen-und-schueler-mit-0; abgerufen am 27.11.2024)
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IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024b): Allgemeinbildende Schulen (D07.12): Schülerinnen und Schüler nach Zuwanderungsgeschichte, Schulform und Trägerschaft – Gemeinden – Schuljahr.
(https://www.landesdatenbank.nrw.de/ldbnrw//online?operation=table&code=21111-0712is#astructure; abgerufen am 27.11.2024) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024c): Zusammengefasste Geburtenziffer nach Nationalität – kreisfreie Städte und Kreise – Jahr 2023.
(https://www.landesdatenbank.nrw.de/ldbnrw//online?operation=table&code=12612-18iz&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732701931133#abreadcrumb; abgerufen am 27.11.2024) -
WDR (07.08.2023): Wie eine Schule in Gelsenkirchen Mangel und hoher Belastung trotzt.
(https://www1.wdr.de/nachrichten/erster-Schultag-Helden-100.html; abgerufen am 28.11.2024) -
WDR (25.10.2024): Mehr Schüler in NRW mit Zuwanderungsgeschichte.
(https://www1.wdr.de/nachrichten/schueler-migrationsgeschichte-nrw-100.html; abgerufen am 06.12.2024) -
https://www.westfalen-regional.de/de/auslaenderanteile_2015/
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https://www.westfalen-regional.de/de/grundschulkinder/
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https://www.westfalen-regional.de/de/ukraine_gefluechtete/
Erstveröffentlichung 2024