Säkularisation – das Ende der westfälischen Klöster?

01.01.2008 Christina Kubatzki

Inhalt

Der Reichsdeputationshauptschluss vom Februar 1803 bedeutete für die Klöster und Stifte das Ende ihrer bisherigen Daseinsform. In Westfalen gab es seit dem frühen Mittelalter eine Vielzahl von Kloster- und Stiftsgründungen (s. Beitrag Schnietz), die einerseits durch ihr bauliches Erscheinungsbild, andererseits durch ihre geistlich-geistigen Leistungen Westfalen bis in die Neuzeit entscheidend prägten. Das Ende dieser westfälischen Klosterlandschaft kommt einer Zäsur gleich, denn immerhin wurde dadurch eine Jahrhunderte überdauernde Tradition und Kultur gelöscht. Gleichzeitig lag in diesem Umbruch auch ein Neubeginn für Westfalen, ein Aufbruch in die moderne Zeit. Die Auflösung der von Fürstbischöfen regierten Territiorien durch die Preußen schuf die Grundlage für ökonomischen, politischen und industriellen Fortschritt. Nicht zuletzt die neue Nutzung von Klosteranlagen zu Domänen, psychiatrischen Anstalten, Landarmen- und Arbeitshäusern oder industriellem Gewerbe geben Zeugnis eines neuen Zeitgeistes.

Die Säkularisation von 1803

Im Geiste der Aufklärung kritisierten viele Zeitgenossen um 1800 die monastische Lebensweise. Sie hinterfragten den Sinn und den Nutzen von Klöstern, die man vielfach als rückständig und zu reinen Versorgungsanstalten für adelige Zöglinge herabgesunken betrachtete. Franz Wilhelm von Spiegel zum Desenberg (1752-1815), der selbst - wenn auch nur widerwillig - eine geistliche Laufbahn eingeschlagen hatte, verfasste im Jahre 1802 eine Denkschrift, die sich mit der Aufhebung der Klöster und Stifte im Herzogtum Westfalen befasste. Darin macht er Vorschläge, wie die Güter der säkularisierten Klöster genutzt werden könnten. Die Verpachtung der Klostergüter auf Zeit an sachverständige Landwirte unter bestimmten Auflagen sollte den Anstoß zu landwirtschaftlichen Reformen geben, die in dem auch in dieser Hinsicht rückständigen Westfalen vonnöten waren. Mental hatte man sich also schon lange vor dem Reichsdeputationshauptschluss (RDHS) auf die Aufhebung der Klöster und Stifte vorbereitet, der dann am 25. Februar 1803 die juristischen Grundlagen schuf.

Der RDHS war ein 89 Paragraphen umfassendes Gesetz, welches die Entschädigungen für die seit 1795 an Frankreich verlorenen linksrheinischen Gebiete regelte. Im vorhergegangenen Frieden von Luneville (9. Februar 1801) zwischen Frankreich und Österreich einigte man sich darauf, die rechtsrheinischen von Fürstbischöfen regierten Territorien, Klöster und Stifte zu säkularisieren und als Entschädigung an die Fürsten zu verteilen, die ihren linksrheinischen Besitz an Frankreich verloren hatten. Für die westfälischen Klöster und Stifte bedeutete das der Anfang vom Ende, denn in §35 des RDHS heißt es: "alle Güter der fundierten Stifter, Abteyen und Klöster [...] der freien und vollen Disposition der respectiven Landesherrn, sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unterrichts und andere gemeinnützige Anstalten, als zur Erleichterung ihrer Finanzen" zu überlassen. Hinter dieser umständlichen Formulierung verbarg sich die gesetzliche Legitimierung der Vermögenssäkularisation. Jeder Landesherr konnte sich das Vermögen der in seinen Territorien befindlichen Klöster aneignen.

Abb. 1: Wirtschaftsgebäude im Kloster Dalheim (Foto: H. Pohlmann)

Der Aufhebungsprozess

Preußen, welches die Bistümer Paderborn und Hildesheim, den östlichen Teil des Oberstifts Münster sowie die Stifte Essen, Werden und Elten erhielt, ging unverzüglich daran, die fundierten (vermögenden) Männerklöster zu säkularisieren. Dazu gehörten in Westfalen die Klöster Dalheim (Abb. 1), Marienfeld, Hardehausen, Grafschaft, Liesborn und Cappenberg. So genannte Spezialorganisationskommissionen sollten Vermögen und Besitz dieser Klöster erfassen, wodurch die Preußen nach Abzug der für die Mönche bestimmten Pensionen ihren Gewinn ermittelten. Das Klosterinventar wurde verkauft, und in Verkennung des Wertes von liturgischem Gerät und Klosterinventar gingen oft wertvolle Objekte der Nachwelt für immer verloren. Mönche und Äbte mussten ihre Klöster verlassen. Ebenso verloren die Klosterbediensteten, das Gesinde, ihre Arbeitsstelle und Unterkunft.

Vom Kloster zur Domäne

Man könnte geneigt sein, an dieser Stelle die Geschichte der Klöster für besiegelt zu erklären. In gewissem Sinne stimmt das auch. Doch verfolgt man die Geschichte der Klostergebäude weiter, stellt man fest, dass ebendort völlig neues, andersgeartetes Leben einzog. Die verlassenen Klosteranlagen standen nicht lange leer. Im Gegenteil! Es war ein großes Anliegen der Reformer gewesen, die Aufhebung der Klöster "für die umliegende Gegend in staatswirthschaftlicher Hinsicht wohltaetig" (F. W. von Spiegel, Denkschrift 1802) zu nutzen. Und auch die Preußen hatten ein Interesse an neuen Nutzungsmöglichkeiten alter Klosteranlagen, da sie sich dadurch Gewinn für ihre Staatskasse versprachen. Doch wofür eigneten sich die riesigen Klosteranlagen? Am Beispiel des Klosterbesitzes des Augustiner-Chorherrenstiftes Dalheim bei Lichtenau wird die Größe eines klösterlichen Areals ersichtlich: Die preußischen Aufhebungskommissare von Pestel und Schwarz errechneten 1803 einen Grundbesitz von 20.186 Morgen Land, wovon 1.314 Morgen verpachtet waren und 926 Morgen in Eigenwirtschaft beackert wurden. Dazu gehörten 185 Morgen Wiesen, 24 Morgen Gärten, 10 Morgen Fischteiche, 7.002 Morgen Wald, 3 Mühlen und 2 Branntweinbrennereien, die riesigen Wirtschaftgebäude (Abb. 1) sowie das Klostergeviert mit zwei angebauten Gebäudeflügeln. Es liegt eigentlich auf der Hand, dass die Preußen an die klösterliche landwirtschaftliche Wirtschaft anknüpften und das aufgehobene Kloster in eine Domäne umwandelten. In einem agrartechnisch so rückständigen Landstrich wie Westfalen planten die Preußen aus der Domäne Dalheim einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb zu machen, der als Vorbild und Lehrstück den Bauern der Umgebung dienen sollte. Nach den Plänen des Oberpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke, der sich intensiv mit der fortschrittlichsten Agrarwissenschaft seiner Zeit, also der englischen Landwirtschaft, beschäftigt hatte, sollte die Domäne Dalheim neue Produkte und Produktionsweisen, Anbau und Düngemethoden, Tierhaltung und -züchtung ausprobieren. Der beachtliche klösterliche Bestand von rund 1.000 Schafen ermöglichte es dem ersten Pächter, Gottfried Nordmann, die Schafzucht weiter zu entwickeln. Zur Verfeinerung der Wolle wurden Merinoschafe eingekreuzt. Unter schwierigen Bedingungen, wie Missernten, niedrigen Wollpreisen, extrem hohen Pachtzahlungen und der mangelnden Unterstützung der Regierung, die für die Instandsetzung der Gebäude und benötigten Neubauten zuständig war, gelang es erst ab 1827 unter dem Pächter Otto Engelbrecht den staatlichen Gutsbetrieb zum Erfolg zu führen.

Abb. 2: Die wichtigsten, im Zeitraum 1803 – 1834 aufgelösten Klöster und Stifte Westfalens (Entwurf: Chr. Kubatzki, Quelle: K. Hengst)

Alte Mauern eröffnen neue Möglichkeiten

Eine ganz andere Form der neuen Nutzung erfuhr das Kapuzinerkloster in Marsberg. Im Jahre 1812 aufgehoben, öffnete bereits ein Jahr später eine "Irrenheil- und Pflegeanstalt" in den ehemaligen Klostergebäuden ihre Pforten. Dabei waren anfangs nur wenige bauliche Veränderungen zur Unterbringung der Kranken nötig.

Aber auch eine industrielle Nutzung von Klosteranlagen war nichts Ungewöhnliches. Nachdem das Zisterzienserkloster Bredelar 1804 als Domäne für 12 Jahre verpachtet wurde, kaufte der aus Brilon stammende Theodor Ulrich das Gut und machte daraus eine Eisenhütte. In der ehemaligen Klosterkirche wurden Hochöfen aufgestellt, die Roheisen produzierten. In der Theodorshütte wurden aber auch Eisengusswaren gefertigt (s. Beitrag Walter). Weitere Beispiele für die industrielle Nutzung ehemaliger Klöster sind das Zisterzienserinnenkloster Gravenhorst und das adelige Damenstift Herford, wo eine Baumwollspinnerei eingerichtet wurde.

Das Prämonstratenserkloster Cappenberg wurde zu einem privaten Wohnsitz umgestaltet. 1816 kaufte die gesamte Anlage kein geringerer als Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, der als Präsident der Kriegs- und Domänenkammer direkt für die Säkularisation des preußisch gewordenen Westfalen zuständig war. Vom Stein genoss seinen Ruhestand in dem nunmehr als Schloss Cappenberg bekannten Besitz und verstarb dort 1831.

Andere Klöster dienten als Kasernen, Krankenhäuser, Strafanstalten, Landarmen- und Arbeitshäuser, Verwaltungssitze oder wurden einfach abgerissen. Erstaunlich ist, dass in den meisten Fällen, trotz Jahrzehnte der Umnutzung, der klosterbauliche Charakter dieser Anlagen noch erkennbar ist und damit als stummer Zeuge auf die klösterlichen Wurzeln verweist. So leisteten die Klöster indirekt und auf ihre baulichen Anlagen reduziert einen Beitrag zum Fortschritt in die moderne Zeit.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2008