Europawahl 2009: eher eine nationale Wahl, auch in Nordrhein-Westfalen

01.01.2010 Heinz Heineberg

Obwohl die Europawahl am 7. Juni 2009 – nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit – im Schatten der größten internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise seit Jahrzehnten stand, der Bedeutungs- und Machtzuwachs des Europäischen Parlaments seit der ersten Wahl in 1979 ganz erheblich und die Zahl der EU-Mitgliedsländer seit der Zeit auf inzwischen 27 stark angewachsen waren, wurde der Wahlkampf in allen EU-Ländern fast nur mit nationalen Themen geführt (Nonnenbacher 2009). Insofern erhielt die Europawahl in Deutschland am 7. Juni 2009 eine besondere innenpolitische Brisanz in Bezug auf die noch bevorstehenden Wahlen in 2009, z. B. hinsichtlich der Kommunalwahl in NRW am 30. August 2009 (s. Beitrag Heineberg), vor allem jedoch für die Bundestagswahl am 27. September 2009 (s. Beitrag Heineberg). So wurde die Europawahl von den Parteispitzen und auch von den Wahlkommentatoren immer wieder als "Testwahl" für die "nationale Stimmungslage" oder als "deutliches Signal" bzw. "Rückschluss" auf die Bundestagswahl diskutiert, gedeutet oder (vor allem seitens der relativ schlecht abgeschnittenen SPD) auch abgelehnt.

Abb. 1: Europawahl in Deutschland 2009 im Vergleich zu 2004 (Quellen: Münstersche Zeitung, 8.9.2009 und www.election.de)

Die nationale Wählerbeteiligung an der Europawahl war in Deutschland mit 43,3% (in NRW 41,8%) die niedrigste seit der ersten Wahl in 1979 mit der damals höchsten Zustimmung von 65,7% (in NRW 67,4%). Dass nationale Themen dominierten und die Wahlbeteiligung so gering war, lag insbesondere daran, "dass die EU in ihrem Aufbau und ihrem Funktionieren für die meisten Bürger unverständlich, unleserlich ist" (Nonnenbacher 2009). "Solange das Europaparlament keine Regierung wählt oder solange die Bürger nicht in direkter Wahl einen Präsidenten bestimmen können, wird ihnen das politisch-institutionelle Gefüge der EU fremd bleiben, und die Europawahl wird als nationales – teilweise auch als gesamteuropäisches Stimmungsbarometer Testwahl bleiben und eine Ersatzfunktion haben" (ebd.). Ähnlich kommentierte auch M. Sattar am 9. Juni 2009: "Dass das europäische "Regierungssystem" nicht verstanden wird oder/und das Parlament für unbedeutend gehalten wird, findet seine Bestätigung darin, dass für die tatsächlichen Wähler…bundespolitische Themen und auch die Wirkung für den 27. September im Vordergrund standen". Symptomatisch dafür war auch, dass die CDU bundesweit mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel plakatierte, die SPD u. a. mit ihrem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, obwohl beide nicht gewählt werden konnten.

Abb. 2: Europawahl in NRW 2009 im Vergleich zu 2004 (Quelle: www.election.de)

Durch die Europawahl im Juni 2009 sind im Allgemeinen die traditionellen (Volks-)Parteien geschwächt worden gegenüber einer starken Zunahme europakritischer und auch rechtsextremer Parteien im zukünftigen Europaparlament. Dieser Trend gilt allerdings für Deutschland oder auch speziell für Nordrhein-Westfalen nur eingeschränkt (Abbn. 1 und 2): So hat zwar die Union CDU/CSU gegenüber der letzten Wahl 2004 deutlich an Stimmenanteilen eingebüßt, auf Bundesebene ebenso wie in Nordrhein-Westfalen. Allerdings profitierte die "Union 2004 außerordentlich von der Anti-Schröder-Wahl" (Sattar 2009). In Bayern konnte die CSU unter ihrem neuen Vorsitzenden Horst Seehofer gegenüber der Landtagswahl im September 2008 sogar um 4,7% zulegen und kam damit bundesweit auf einen Stimmenanteil von 7,2%. Die SPD hat sich bundesweit mit lediglich 20,8% der Stimmen "nach einer Serie von katastrophalen Europa-Wahlergebnissen auf niedrigsten Niveau" stabilisiert (Prantl 2009), sich allerdings in Nordrhein-Westfalen – dem Bundesland mit traditionell relativ großen Anteilen an SPD-Wählern – mit rd. einem Viertel der Stimmen (ähnlich wie in Rheinland- Pfalz mit 25,7%, im Saarland mit 26,6% oder in Niedersachsen mit 27,7%) noch überdurchschnittlich gut behauptet.

Abb. 3: Europawahl in NRW (Nordrhein und Westfalen) 2009: Mehrheiten in den Kreisen und kreisfreien Städten sowie Stimmenanteile von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und FDP (Quelle: www.election.de)

Die FDP, die im Europawahlkampf mit einer bundesweit plakatierten Spitzenkandidatin (Silvana Koch-Mehrin) auf die "bürgerliche Mitte" in Deutschland und ihre Wirtschaftskompetenz setzte, hat wohl am meisten von den Stimmenverlusten der CDU (Wählerwanderungen) profitiert und konnte mit 11% ihr bislang mit Abstand bestes Europa-Ergebnis erzielen, das in NRW mit 12,3% sogar noch übertroffen wurde. Damit ist nach Meinung der Parteispitze der FDP eine von ihr angestrebte Koalition mit der CDU/CSU nach der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlicher geworden als zuvor. Als sehr stabil verhielt sich die Wählergruppe der Grünen, sowohl auf Bundesebene wie auch in Nordrhein-Westfalen, während die Linken zwar bundesweit Zugewinne erfuhren, allerdings in NRW keine 5% erreichten. Ein wichtiges Ergebnis der Europawahl ist, dass es in Deutschland – anders als in Europa – einen "Rechtsruck" nicht gegeben hat; wie in einer Reihe anderer Länder haben extreme Parteien nicht gewonnen.

In Abb. 3a mit den jeweils stärksten Parteien in den Kreisen und kreisfreien Städten in NRW sowie in Abbn. 3b – d für ausgewählte Parteien werden Tendenzen regionalen Wählerverhaltens verdeulicht, wie sie etwa auch für andere Wahlen im Jahr 2009 gegolten haben: Während bei der Europawahl in den sog. ländlichen Räumen die CDU dominierte, z. B. in Westfalen im Münsterland, Paderborner Land oder im Sauerland (mit dem höchsten Wert im Kreis Olpe von 58,8%), wurde in einer größeren Zahl von Ruhrgebietsstädten sowie auch in einigen Ruhrgebiets-Umlandkreisen (Ennepe-Ruhr-Kreis, Kreis Unna) die SPD die stärkste Partei (mit jeweils relativen Mehrheiten). Die Grünen hatten ihre höchsten Wähleranteile in Großstadträumen, insbesondere in Universitätsstädten (mit dem höchsten Anteil von 23,2% Köln, gefolgt von Münster mit 21,2% und Aachen mit 19%). Weniger "räumlich pointiert" war dagegen die Stimmenverteilung der FDP mit jeweils geringen Wählerstimmenanteilen in Ruhrgebietsstädten, im Gegensatz zu den Linken sowie auch zur neuen Partei der Piraten mit deutlicheren Großstadtbezügen (die Piraten allerdings mit sehr schwachen Wahlergebnissen).

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010