Westfälische Gemeinden namensgebend für Apfelsorten

01.01.2011 Stephan Grote

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Vegetation · Naturschutz · Kreis Coesfeld · Apfel · Obst

Inhalt

Neben ihrer wichtigen ökologischen Funktion bergen die westfälischen Obstwiesen und -weiden mit ihren Obstsorten einen besonderen Schatz – oft sehr regionaler – menschlicher Kulturleistung. Die Sortenvielfalt ist trotz vieler staatlicher Versuche der Sortengleichschaltung und Nivellierungsbemühungen der Landschaft in der Vergangenheit immer noch beeindruckend. Heute gilt es, diese Vielfalt so weit wie möglich zu erhalten. Dies allerdings sollte nicht nur in Gendatenbanken und speziellen Sortengärten mit musealem Charakter erfolgen, sondern auch auf eingefriedeten Obstweiden direkt an den westfälischen Höfen. Aber auch dann sollten auf diesen "Appelhoffs" nicht nur Elstar, Gloster und Braeburn angepflanzt werden. Viel mehr gilt es, auch ursprünglich westfälische Apfelsorten, die schon unsere Altvorderen aus vielfältigen Gründen ausgewählt hatten, anzupflanzen. Einige dieser alten Sorten besitzen durch ihre Namensgebung ein unverkennbares Merkmal ihrer westfälischen Herkunft.
 

Abb. 1: Dülmener Rosenapfel (Foto: S. Grote)

Westfälische Apfelsorten

Die wohl europaweit bekannteste Apfelsorte, deren Namen einen direkten Bezug zu einer Ortschaft in Westfalen hat, ist der Dülmener Rosenapfel (Abb. 1). Er soll um 1870 von einem Lehrer namens Jäger aus einem Samen der Sorte Gravensteiner gezogen worden sein. Der sehr robuste, breitkronige Baum hat eine erstaunliche Anbaubreite. Er ist sowohl geeignet für den Streuobstanbau als auch für die Anpflanzung im Hausgarten. Mit seinem feinzelligen, saftig-aromatischen Geschmack findet er sowohl als Tafel- wie auch als Wirtschaftsapfel, z.B. für die Kelterung und als Backapfel, Verwendung. Neben dem Dülmener Rosenapfel fand die Osnabrücker Renette große Verbreitung. Sie ist eine typische graue Renette, die wegen ihrer langen Haltbarkeit und ihres süßsäuerlichen Geschmacks als Tafelapfel sehr geschätzt wurde. Der Baum bildet mittelgroße, breitkronige Kronen aus. Er ist auch für den Hausgarten geeignet. Die Sorte war wohl früher in ganz Deutschland wie auch in Österreich und der Schweiz verbreitet. Sie wurde im 17. Jh. im Osnabrücker Land gefunden und war bereits um 1800 in ganz Westfalen verbreitet und gut bekannt. Heute ist es, im Gegensatz zum Dülmener Rosenapfel, nicht mehr selbstverständlich, einen Stamm der Osnabrücker Renette in westfälischen Baumschulen zu bekommen.

Eine weitere Apfelsorte, die überregionale Verbreitung gefunden hat, ist der Wettringer Taubenapfel. Seine Herkunft ist nicht vollständig geklärt. Verschiedene Autoren schreiben ihn der Gemeinde Wettringen im Kreis Steinfurt zu. Der Wettringer Taubenapfel findet ebenso als Tafelapfel wie auch als Saftapfel Verwendung. Der Baum ist aufgrund seiner Wuchsstärke nicht für den Hausgarten geeignet. Mit seiner glatten, sonnenseits beinahe scharlachroten Schale und einem weißen Fruchtfleisch verfügt dieser fast kugelförmige Apfel über herausstechende optische Merkmale.

Neben diesen Sorten gibt es noch fünf weitere in der Literatur erwähnte Sortennamen mit Bezug zu westfälischen Ortschaften. Dazu zählen der Schöner aus Wiedenbrück, der Brakeler, das Paderborner Seidenhemdchen, der Geseker Klosterapfel und der Bürener Zitronenapfel. All diese Sorten haben außerhalb ihrer Heimatregion keine weitere Verbreitung gefunden. Beispiele für Apfelsorten mit Namensbezug zu einer westfälischen Region sind z.B. der Ravensberger und der Rote Münsterländer Borsdorfer. Einige Apfelsorten tragen auch Westfalen im Namen wie z.B. der Westfälische Gülderling (Abb. 2).

Abb. 2: Westfälischer Gülderling (Foto: S. Grote)

Der Nordkirchener Kernapfel

Immer noch tritt der seltene Fall auf, bei dem eine alte unbekannte lokale Obstsorte mit Namen überliefert ist. Im Sommer 2009 entdeckte der Autor auf einer ca. 70 Jahre alten Obstwiese in Seppenrade (Stadt Lüdinghausen, Kreis Coesfeld) Apfelbäume, die auf einem alten Pflanzplan als Nordkirchener Kernapfel (Abbn. 3 u. 4) bezeichnet wurden. Nach Überprüfung durch verschiedene Pomologen konnte keine Verbindung zu einer bislang bekannten Apfelsorte hergestellt werden. Auch weitere Recherchen (z.B. Obstsortendatenbank des BUND Lemgo) ergaben keine verwertbaren Ergebnisse. Somit kann angenommen werden, dass es sich bei dem Nordkirchener Kernapfel um eine Lokalsorte handelt, die in der Fachliteratur bislang noch nicht beschrieben wurde. Umso erstaunlicher ist der glückliche Umstand, dass ein Pflanzplan erhalten blieb, der einen Sortennamen für diese Apfelbäume enthielt.

Es handelt sich um relativ schwachwüchsige Bäume, die auch nach 70 Jahren immer noch erstaunlich gesund erscheinen. Von den Besitzern der Bäume wurde der Apfel früher vorwiegend als Back- und Kompottapfel verwendet und konnte im Keller bis in den März gelagert werden. Aber auch als Tafelapfel ist die Sorte nach kurzer Lagerung durchaus schmackhaft, was von Apfelkennern bestätigt wurde.

In Seppenrade konnten mittlerweile zwei weitere Apfelsorten entdeckt werden, die zwar offensichtlich veredelt und gepflanzt wurden, aber heute über keinen bekannten Namen mehr verfügen. Welch großes Potenzial für die Entdeckung alter Sorten in Westfalen besteht, ist ausgehend von dieser kleinen Ortschaft kaum abzusehen.

Abb. 3: Nordkirchener Kernapfel (Foto: S. Grote)

Alte Obstsorten si­chern die genetische Vielfalt

In der entsprechenden Fachliteratur um 1900 sind allein in Deutschland ca. 1.000 verschiedene Apfelsorten dokumentiert. Das Verschwinden der Sortenvielfalt seit dieser Zeit hat viele Gründe, u.a. auch die (politisch motivierte) monetäre Förderung der Obstbaumbeseitigung in den 1960er Jahren. Mit dem Verlust alter Sorten sind auch viele wichtige Qualitätsmerkmale verlorengegangen, wie z.B. die Resistenz gegen Schädlinge sowie Toleranzen gegenüber regionalen Witterungen und Bodenverhältnissen. Auch spezielle in früheren Zeiten nachgefragte Eigenschaften und Verwertungsarten (u.a. eine lange Lagerfähigkeit im Naturlager, Äpfel für die Saft- und Mostherstellung, Back- und Dörräpfel) sind heute vielerorts nahezu unwiederbringlich verschwunden.

Die moderne Apfelzüchtung beruht überwiegend auf den Erbanlagen von drei bis vier Apfelsorten, deren Qualitätsmerkmale (u.a. Geschmack, Fruchtgröße und Ertragshöhe) den Anforderungen des heutigen Obstanbaues und des Marktes am ehesten entsprechen. Moderne Pflanzenschutzmittel und Anbausysteme sichern dabei den Ertrag. Will man zukünftig wieder eine Apfelsortenzucht auf eine vielfältigere genetische Basis stellen, so hat der Erhalt der alten Sorten mit ihren speziellen Eigenschaften und Ansprüchen oberste Priorität.

Das Wiederfinden und der Erhalt der noch vorhandenen Regionalsorten soll also nicht nur die Sammelleidenschaft historisch und landschaftskulturell interessierter Menschen befriedigen. Es geht auch darum, eine über Jahrhunderte entstandene genetische Vielfalt zu erhalten und für zukünftige Sortenzüchtungen nutzbar zu machen.

Abb. 4: Nordkirchener Kernapfel – der Baum (Foto: S. Grote)

Fazit

Es ist eine erfreuliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, dass sich von Seiten der Politik wieder der wichtigen Funktion von Obstwiesen für das Landschaftsbild und die Natur in der Kulturlandschaft besonnen wurde. Förderprogramme aus dem "Europäischen Landwirtschaftsfonds zur Erhaltung und Verbesserung des ländlichen Erbes" (ELER) können zumindest für eine Pflege und Neuanlage von Obstwiesen und -weiden sorgen. Ein weiterer Schritt wäre jetzt, Programme einzuleiten, die nicht nur für die Erhaltung der Obstwiesen als Landschaftsbestandteil sorgen, sondern auch das Auffinden vergessener Regionalsorten finanzieren und deren anschließenden Erhalt durch gärtnerische Vermehrung sichern.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2011