Die Emscher bis zum Ende des 20. Jahrhunderts

01.01.2012 Peter Wittkampf

Die Emscher entspringt bei Holzwickede (Kreis Unna) im Haarstrang, südöstlich von Dortmund, auf einer Höhe von 147 m ü. NN. Sie umgeht den Dortmunder Rücken südlich und dann westlich, danach durchfließt sie das eigentliche Emschertal weiter in nord-westlicher, von Castrop-Rauxel an in südwestlicher Richtung. In der Nähe der Städte Recklinghausen, Herten und Gelsenkirchen münden einige Bäche, die sogar eigene Nebentäler ausgebildet haben, in die Emscher: der Hellbach, Holzbach und Resser Bach, wobei letzterer nunmehr in den Holzbach umgeleitet wird, außerdem der Lanfer- und Schwarzbach. Bei Dinslaken mündet gegenwärtig die Emscher in den Rhein, die ursprüngliche Flussmündung lag bei Duisburg (Abb. 1).

Abb. 1: Verbandsgebiet Emscher (Quelle: verändert nach www.eglv.de/emschergenossenschaft/emscher/emscher.html)

Der Ober- und Mittellauf der Em­scher bildete im Mittelalter eine na­türliche Territorialgrenze, zum Beispiel zwischen dem Vest Recklinghausen im Norden und der Grafschaft Mark sowie dem Stift Essen im Süden.

Die ursprüngliche Länge der Fließstrecke betrug knapp 109 km. Durch den geringen Höhenunterschied von 120 m zwischen Quellteich und Mündung mäandrierte die Emscher ursprünglich sehr stark, zwischen Herten und Wanne-Eickel beispielsweise innerhalb eines etwa 5 km breiten Tales. Die durch feuchte Heiden, durch Aue- und Bruchwälder geprägte Flussaue war häufig von Überschwemmungen betroffen. Die Unwegsamkeit des Geländes hatte im Mittelalter dazu beigetragen, dass der Emscherbereich zum territorialen Grenzland wurde.

Im Zuge der Nordwanderung des Steinkohlebergbaus, der Industrialisierung und der damit verbundenen enormen Bevölkerungszunahme seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s wurde der Emscherraum zu einer Kernzone des rheinisch-westfälischen Industriegebietes. Zechen, Kokereien, Stahlindustrie und Chemische Industrie waren wesentliche Elemente dieser Industrielandschaft. Die Emscher jedoch zu einem schiffbaren Fluss auszubauen, wurde bereits 1774 durch den preußischen König Friedrich II. abgelehnt. Auch ein weiterer Vorstoß (1873) in diesem Sinne blieb erfolglos. Der dann aber in den Jahren 1906 bis 1914 parallel zur Emscher gebaute Rhein-Herne-Kanal (Abb. 1) nutzte die Emscherniederung als natürliche Trassenvorgabe. Er gab der Industrie des Raumes weiteren Auftrieb.

Die Abwässer aus dem Bergbau, der Industrie und den Städten des Emscherraumes ließen die in die Emscher mündenden Bäche, die Emscher selbst und die Region insgesamt zu außerordentlichen ökologischen Problemzonen werden. Immer mehr häusliche und gewerbliche Abwässer mit einem sehr hohen Anteil an Fäkalien und toxischen Substanzen, darunter zum Beispiel das hochgiftige Phenol aus den Kokereien, wurden in die Emscher geleitet. Welche Bedeutung insbesondere auch die Nebenläufe der Emscher hatten, mag folgendes Beispiel verdeutlichen: Die Abwässer aus den zentralen und den nördlichen Stadtteilen Dortmunds flossen bis 1994 über den Aalbach, den Roßbach und den Uniongraben (Abb. 1) ungeklärt in die Emscher, ursprünglich sogar einschließlich der Abwässer aus den Dortmunder Brauereien und der Hoesch-AG.

Selbst Nebengewässer, in die nur wenige industrielle oder häusliche Abwässer eingeleitet wurden, hatten oft eine sehr schlechte Wasserqualität, weil sich durch das Grundwasser gefährliche Kontaminationen ergaben.

Die Probleme wurden dadurch verschärft, dass sich durch Bergsenkungen der Emscherbereich teilweise um mehrere Meter eintiefte (s. Beitrag Harnischmacher), sodass man die Emschermündung deshalb im Laufe der Jahrzehnte zweimal nach Norden, also rheinabwärts, verlegen musste, um sie überhaupt als solche zu erhalten. Ursprünglich mündete die Emscher in Duisburg, heute etwa 10 km nördlich bei Dinslaken (Abb. 1).

Abb. 2: Die Emscher während der ''Blüte'' der Industrialisierung (Foto: EMSCHERGENOSSENSCHAFT)

Im Emscherverlauf entstanden durch die Bergsenkungen "Polder", also Senkungsmulden, aus denen das Wasser mit Hilfe von – inzwischen über 100 – Pumpwerken erst wieder herausgepumpt werden muss, damit es weiter fließen kann. In diesen "Poldern", die insgesamt 37% der Region ausmachen und stellenweise 20 m unter dem ursprünglichen Oberflächenniveau liegen, kam es durch die Fäkalabwässer zu Fäulnisbildungen, bei denen die entstehenden Geruchsbelästigungen noch zu den "harmloseren" Folgen zählten.

Auf stärkere Regenfälle folgten außerdem oftmals Überschwemmungen, wobei die Hochwassersituationen sich u. a. dadurch verschlimmerten, dass immer mehr Flächen versiegelt waren und die Niederschläge deshalb kaum mehr versickern konnten, sondern unmittelbar in die Vorfluter flossen. Die Emscher trat dann rasch über die Ufer (Abb. 2). Das sich in der Emscher und in den tiefer liegenden Arealen der Emscherregion sammelnde Wasser enthielt eine Fülle ge­fährlicher Substanzen und Erreger, diese breiteten sich über weite Flächen aus und ließen Seuchen entstehen. So starben allein in Gelsenkirchen im Jahre 1901 infolge einer Typhusepidemie 350 Menschen.

Da die einzelnen Städte und Unternehmen mit den Problemen nicht alleine fertig werden konnten, schlossen sie sich 1899 zur Emschergenossenschaft zu­sammen. 19 Kommunen, 17 Bergwerksgesellschaften und 123 weitere Unternehmen nahmen nun in den folgenden Jahren und Jahrzehnten gemeinsam die Aufgaben der Entwässerung, des Hochwasserschutzes und der Abwasserbehandlung in Angriff.

Abb. 3: Frühere Kanalisierung der Emscher mit Betonschalen (Foto: EMSCHERGENOSSENSCHAFT)

Da eine unterirdische Abwasserableitung zu teuer geworden wäre und man fürchten musste, dass Bergsenkungen sehr oft zu Schäden an einem eventuellen unterirdischen Leitungssystem führen würden, wurden die Emscher und ihre Nebenbäche oberirdisch kanalisiert und betoniert, es entstand eine "offene Abwasserleitung" (Abb. 3). Eine Folge dieser Kanalisierung war u. a. die Verkürzung des Emscher-Flusslaufes von ursprünglich 109 auf nur noch 85 km.

Um die Region vor Hochwasser zu schützen, wurden entlang der Emscher auf etwa 40 km Flusslänge bis zu 8 m hohe Deiche gebaut. Der Emscherverlauf bildet somit heute eine markante Linie, zumal sich die flussnahen Bereiche im Laufe des 20. Jh.s durch weitere Bergsenkungen stellenweise noch mehr eingetieft haben.

Der künstlich geschaffene, begradigte, kanalisierte und großenteils in Betonschalen gelegte Emscher-Flusslauf führte bis gegen Ende des 20. Jh.s praktisch nur Abwasser, und zwar das von 2,3 Mio. Einwohnern bzw. 3 Mio. Einwohnerwerten aus einem Einzugsgebiet von 865 km2. Um die Menschen vor einem Kontakt mit diesem gefährlichen Abwasser zu schützen, wird der Zutritt zur Emscher großenteils durch Zäune und Warntafeln zu verhindern versucht.

Wie bereits erwähnt, besteht das Emscher-System nicht nur aus der Emscher selbst, sondern auch aus den zahlreichen Nebenbächen, die in den Fluss münden. Da auch viele dieser Bäche große Mengen an Abwasser aufnehmen mussten, wurden sie zu einem erheblichen Teil ebenfalls betoniert und so zu "geschlossenen Abwasserkanälen" eingefasst.

Die Emschergenossenschaft betreut heute insgesamt 343 km Gewässerläufe, davon sind über 200 "geschlossene Kanäle" (s. Beitrag Wittkampf).

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2012