Einzigartig auf der ganzen Welt – Endemiten in Westfalen

01.01.2008 Götz Heinrich Loos

weiterer Autor: Peter Gausmann

Inhalt

Was sind Endemiten?

Endemiten sind Organismen (Pflanzen, Tiere, Pilze, Bakterien u. a.), welche nur ein sehr kleines Verbreitungsgebiet aufweisen und nirgendwo anders vorkommen als in diesem meist kleinräumig ausgebildeten Areal. Das entsprechende Phänomen wird als Endemismus bezeichnet, die betreffenden Arten (oder innerartlichen Einheiten) sind endemisch. Häufig wird ein Betrachtungsraum genannt, für den die jeweilige Art endemisch ist, was besonders bei Endemiten sinnvoll erscheint, die ein größeres Areal besitzen (so kann eine Art ein westfälischer Endemit sein, kommt aber in mehreren Großlandschaften vor und ist somit z. B. für die Großlandschaft Süderbergland kein Endemit). Bei Organismen mit einem extrem kleinen Verbreitungsraum, der beispielsweise nur eine Bergkuppe betrifft (im Extremfall sogar nur einen Abschnitt von wenigen Metern), spricht man von Punktendemiten. Unter evolutionsbiologischen und historisch-pflanzengeographischen Aspekten lassen sich Neoendemiten, welche innerhalb eines historischen Zeitraums entstanden sind, von den evolutionär relativ alten Paläo- oder Reliktendemiten unterscheiden. Die Erforschung der endemischen Arten Westfalens ist vor allem bei den Samenpflanzen fortgeschritten, während bei anderen Organismengruppen entweder keine wirklich "Westfalen-endemischen" Arten vorkommen oder (z. B. bei Wirbellosen-Tiergruppen und niederen Pflanzen) zumindest Teile dieser Gruppen unzureichend untersucht und hinsichtlich ihrer Verbreitung fast gar nicht bekannt sind oder zumindest nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob entsprechende, bislang nur aus Westfalen bekannte Arten nicht auch woanders vorkommen.

Abb. 1: Das Naturschutzgebiet Bleikuhlen und das Wäschebachtal

Die Bleikuhlen bei Blankenrode

In Ostwestfalen südlich von Lichtenau-Blankenrode im Kreis Paderborn liegt das Naturschutzgebiet "Bleikuhlen" (Abb. 1). In den hier anstehenden Kalkgesteinen der Oberkreide (Cenoman) finden sich Zink- und Bleierze, welche auch oberflächennah vermutlich seit dem 12. Jh. bis zum Jahre 1939 abgebaut wurden (Abb. 2). Weitere solcher natürlicherweise durch Schwermetalle geprägten Standorte existieren z. B. im Aachener Raum bei Stolberg. Bei Botanikern sind die "Bleikuhlen" besonders bekannt, da es hier eine Reihe von an diesen Extremstandort angepassten Pflanzenarten gibt. Dazu zählen u. a. Galmei-Frühlingsmiere (Minuartia caespitosa), Galmei-Leimkraut (Silene vulgaris s.l. var. humilis), Wiesen-Schaumkresse (Arabidopsis halleri) sowie Galmei-Hellerkraut (Thlaspi calaminare), die alle auch an anderen Schwermetallvorkommen in Mitteleuropa wachsen. Die große Besonderheit ist das hier punktendemische Westfälische Galmei-Veilchen (Viola guestphalica, Abb. 3), welches weltweit nirgendwo anders vorkommt als in den "Bleikuhlen" und an einer Stelle im Wäschebachtal in nur 1,5 km Entfernung (Abb. 1). Auch der vorhandene Schaf-Schwingel ist eine endemische, noch nicht gültig beschriebene Art (Festuca pseudaquisgranensis ined.), die sonst vielleicht noch im nahen Briloner Raum vorkommt, wogegen die ähnlichen Aachener Schwermetall-Populationen nur zu einer sehr nahen Verwandten (Festuca aquisgranensis) gehören.

Abb. 2: Schwermetallrasen im NSG "Bleikuhlen" in Lichtenau-Blankenrode (Foto: P. Gausmann)

Schwermetallpflanzen als Relikt der Vegetationsgeschichte

In Mitteleuropa gibt es nur wenige Standorte, die von Natur aus waldfrei sind, da hier die Standortbedingungen so extrem sind, dass Bäume nicht wachsen können. Dazu zählen z. B. Binnensalzstellen und Schwermetallstandorte, deren chemisch-toxische Belastung so hoch ist, dass hier nur wenige angepasste Pflanzenarten überleben können. Interessanter Weise ähnelt diese Schwermetallvegetation in ihrem Charakter der Vegetation, welche sich während der letzten Kaltzeit (Würm- / Weichsel-Eiszeit) vor ca. 12.000 Jahren in Teilen Mitteleuropas einstellte. Damals entwickelte sich in den Periglazialgebieten eine ausgedehnte Steppentundra, da die niedrigen Temperaturen eine Waldbildung nicht zuließen. Nach Ende dieser Eiszeit blieben solche Schwermetallbereiche wegen ihrer toxischen Belastung jedoch von der Wiederbewaldung ausgenommen, da sie ein Aufkommen von Bäumen nicht zuließen. Man geht davon aus, dass solche Standorte als Refugialraum für ehemalige Arten dieser Steppentundra dienten und diese dort bis heute überdauern konnten.

Das Westfälische Galmei-Veilchen kreuzt sich sehr leicht mit verwandten Arten, z. B. mit dem Acker-Stiefmütterchen (Viola arvensis) am benachbarten Ackerrand, was zeigt, dass die Art evolutionär wohl noch recht jung ist. Trotzdem dürfte es sich um einen Reliktendemiten handeln, zumal die Art gewiss älter als die agamospermen Neoendemiten sein dürfte. Die leichte Kreuzbarkeit kann auch darauf hindeuten, dass die Art früher keinen Kontakt mit verwandten Arten hatte und dadurch die Ausbildung einer Kreuzungsbarriere für die Arterhaltung nicht notwendig war. Die Hybride mit dem Acker-Stiefmütterchen (Viola x preywischiana) ist ebenso wie das Westfälische Galmei-Veilchen punktendemisch im NSG Bleikuhlen sowie im benachbarten Wäschebachtal. Untersuchungen von Nauenburg (1986) zur Systematik des Westfälischen Galmei-Veilchens lassen den Schluss zu, dass es wie das Acker-Stiefmütterchen in den Verwandtschaftkreis des Wilden Stiefmütterchens (Viola tricolor) gehört. Die Tatsache, dass das Westfälische Galmei-Veilchen auf der ganzen Welt nur an den erwähnten zwei Lokalitäten vorkommt, berechtigten die Aufnahme in die Rote Liste der gefährdeten Pflanzenarten Nordrhein-Westfalens mit dem Gefährdungsgrad R (= durch extreme Seltenheit gefährdet).

Abb. 3: Westfälisches Galmei-Veilchen (Viola guestphalica) (Foto: P. Gausmann)

Endemiten in der westfälischen Flora

Außer dem Westfälischen Galmei-Veilchen und dem Blankenroder Schaf-Schwingel sind keine weiteren westfälischen Reliktendemiten in der Flora bekannt, zumindest, wenn die Artebene betrachtet wird und die genetische Unterschiedlichkeit von Populationen der Arten ausgeklammert bleibt. Dagegen existieren zahlreiche Neoendemiten, insbesondere in den Gattungen Rubus (Brombeere), Taraxacum (Löwenzahn) und Hieracium (Habichtskraut). Trotzdem ist es schwierig, eine genaue Zahl anzugeben, weil z. B. bei den Brombeeren nicht eindeutig ist, was in der Wissenschaft als Art anerkannt wird und was nicht. Bei kleinräumiger Betrachtungsweise existieren mindestens 200 endemische Brombeerarten in Westfalen. In der Gattung Löwenzahn sind es - grob geschätzt - etwa 30 bis 40 wirklich endemische Arten. Bei den Habichtskräutern ist die genaue Zahl noch unklarer; mit großer Sicherheit endemisch ist Hieracium guestphalicum (Westfälisches Habichtskraut) aus der H. wiesbaurianum-Gruppe. Da diese Art ein Kalkfelsbewohner mit eng begrenztem Areal im Hönnetal (Märkischer Kreis) ist, kann es sich allerdings auch um eine bereits ältere, reliktendemische Pflanze handeln. Oftmals zeigt sich nach genauerer Erforschung, dass zunächst als Neoendemiten für ein Gebiet eingestufte Arten doch ein größeres Verbreitungsgebiet aufweisen. Pflanzen, deren Areale nur relativ geringfügig über den Bezugsraum hinausreichen, sind subendemisch. Hierzu zählen einige Arten, die die Bezeichnung "Westfalen" in ihrem Namen tragen (z. B. Westfälische Brombeere, Rubus guestphalicus). Neben den Endemiten bei agamospermen Gruppen treten solche auch bei Pflanzen mit Selbstbefruchtung (Autogame) auf, deren Artbildungsprozesse in der Konsequenz denjenigen bei Agamospermen gleichen; nur sind diese Gruppen noch sehr viel ungenügender erforscht.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2008