Die Wohnraumversorgung und -entwicklung in Westfalen

16.03.2015 Peter Wittkampf

Im Zuge der Zensuserhebung vom 9. Mai 2011 wurden, 24 Jahre nach der Volkszählung vom Mai 1987, erstmals auch die Wohngebäude und Wohnungen in Nordrhein-Westfalen statistisch wieder genauer erfasst. Abgesehen von der Möglichkeit einer sachgerechteren Kommunal-, Regional- und Landesplanung bietet die neue Gebäude- und Wohnungszählung auch eine sehr gute Basis für eine bessere Einschätzung wichtiger sozioökonomischer Strukturen und Prozesse, für die die Wohnraumsituation ein wesentlicher Baustein sein kann.

Vor 2011 musste man sich mit einer Fortschreibung der Daten von 1987 behelfen, wobei man die Bautätigkeitsstatistik zugrunde legte. Es zeigte sich jedoch, dass die Ergebnisse des Zensus z. T. deutlich von den Fortschreibungszahlen abwichen. So ergab sich beispielsweise für Nottuln (Kreis Coesfeld), dass der tatsächliche Bestand an Wohngebäuden ge­genüber der Fortschreibung um 21,6% höher lag, in Lü­dinghausen (Kreis Coesfeld) waren es 19,7%.

Statistisch unterscheidet man u.a. "Gebäude mit Wohnraum", "Wohngebäude" und "Wohnungen". In "Wohngebäuden" muss mehr als die Hälfte der Nutzfläche aus Wohnungen bestehen und der Anteil von Läden, Büros usw. darunter liegen. Wohnungen müssen zum Wohnen bestimmt, abgeschlossen und zur Führung eines eigenen Haushalts geeignet sein.

Abb. 1: Zunahme der Wohnungen 1987–2011 und fertiggestellte Wohnungen 2013 (Quelle: eigene Berechnungen nach IT.NRW)

Die Anzahl an "Gebäuden mit Wohnraum" nahm in Westfalen-Lippe von 1987 bis 2011 um 418.651 zu. Dies bedeutet ein Plus von 28,7% (zum Vergleich: Rheinland +25,7%). Innerhalb von Westfalen-Lippe führt der Regierungsbezirk Münster diese Statistik an (+35,9%).

Stark ausgeprägte räumliche Disparitäten zeigen sich innerhalb von Westfalen-Lippe vor allem bei der Zu­nahme der Anzahl der Wohnungen zwischen 1987 und 2011 (Abb. 1). Besonders hohe Steigerungsraten von über 50% weisen die beiden Westmünsterland-Kreise Borken und Coesfeld auf. Da­nach folgen die Kreise Paderborn, Steinfurt und Gütersloh, wo die Steigerungsrate immerhin noch zwischen 43% und 50% liegt. Die geringste Wohnungszunahme er­reichten die Städte Herne (+4,9%) und Gelsenkirchen (+1,7%).

Für die genannten Entwicklungen sind im We­sentlichen drei Gründe zu nennen:
1.  Die Deindustrialisierung und der teilweise noch nicht bewältigte Strukturwandel führen vor allem in den altindustrialisierten Städten und Regionen zu wirtschaftlichen Problemen, während beispielsweise die Münsterlandkreise und auch der Kreis Paderborn einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen. Seit langem glänzt ja beispielsweise die Region Coesfeld mit der niedrigsten Arbeitslosenquote innerhalb Nordrhein-Westfalens (s. Beitrag Wittkampf). Eine höhere Wirtschaftskraft führt zum Bau von mehr bzw. komfortableren Wohngebäuden.

Abbn. 2 u. 3: Durchschnittliche Wohnungszahl je Gebäude mit Wohnraum 2011 und vom Eigentümer selbst bewohnte Wohnungen 2011; Durchschnittliche Wohnungsgrößen 2011 und Wohnungsleerstandsquoten 2011 (Quellen: IT.NRW, Statistisches Jahrbuch 2013)

2.  Teilweise gekoppelt an die Wirtschaftsentwicklung ist die Bevölkerungsentwicklung. Innerhalb von Westfalen-Lippe weisen hierbei zwischen 1987 und 2011 wiederum die Kreise Paderborn und die Müns­terlandkreise die höchsten Positivwerte auf: Um etwa 20% steigt hier die Be­völke­rungszahl an, wäh­rend Gelsenkirchen (-10%), Herne (-10,9%), Bochum, Dortmund, Hagen, der Kreis Recklinghausen, der Ennepe-Ruhr-Kreis und der Kreis Siegen-Wittgenstein in dieser Zeit jeweils durch Bevölkerungsrückgang geprägt sind (s. Beitrag Krajewski).

3.  Teilweise können auch die Baulandpreise eine Rolle spielen, vor allem wenn viele Ein- oder Zweifamilienhäuser errichtet werden. Im Jahr 2012 kostete ein Quadratmeter Bauland im Durchschnitt z.B. in Münster 274,68 Euro, im Kreis Borken 85,32 Euro und im Kreis Höxter 37,81 Euro. Gerade in den eher ländlichen Kreisen wurden sehr viele Einfamilienhäuser gebaut. Dies bestätigen die Werte zur durchschnittlichen Wohnungszahl je "Gebäude mit Wohnraum" (Abb. 2): In den Münsterlandkreisen liegen diese Werte bei 1,5 bis 1,7, und auch die meisten Kreise Ost- und Südwestfalens weisen Durchschnittswerte von unter zwei Wohnungen pro Gebäude auf. In den Ruhrgebietsstädten (außer Hamm) ist dies anders, und auch hier nimmt wiederum Gelsenkirchen mit 3,7 eine Sonderstellung ein.

Dem entsprechen die Prozentzahlen der vom Eigentümer selbst bewohnten Wohnungen (Abb. 2): 50–60% sind es im Münsterland und in einigen Kreisen Ostwestfalens und des Sauerlandes, aber nur 22,1% in Gelsenkirchen.

Wenn relativ viele Menschen in Eigenheimen wohnen, schlägt sich dies bei der durchschnittlichen Wohnungsgröße nieder (Abb. 3): In den Kreisen Borken und Coesfeld beträgt sie über 107 m2, im Kreis Höxter so­gar 108,4 m2. In Gelsenkirchen, Bo­chum, Dortmund, Hagen und Herne liegen die durchschnittlichen Wohnungsgrößen dagegen nur bei 70–80 m2. In Münster beträgt der entsprechende Wert 85,7 m2, weil hier zwar in den peripheren Stadtteilen etliche Einfamilienhäuser gebaut wurden, andererseits aber viele Alleinstehende oder Paare in der Kernstadt angesichts des sehr knappen Wohnungsangebotes und sehr teurer Durchschnittsmieten nur eine relativ kleine Wohnung bewohnen (s. Beitrag Fennhoff).

Abb. 4: Einfamilienhaus und Mehrfamilienmietshaus in Telgte (Foto: P. Wittkampf)

Angesichts der beschriebenen Szenarien verwundert es kaum, dass in Münster und im Münsterland, also in begehrten bzw. prosperierenden Teilregionen, kaum Wohnungen leer stehen (Abb. 3). Hier beträgt die Leerstandsquote 2011 lediglich um die 2%. In den Ruhrgebietsstädten liegt sie dagegen deutlich höher: In Hagen stehen 6,9% aller Wohnungen leer, in Gelsenkirchen 6,6% und in Herne 5,4%.

Außerhalb des Münsterlandes ist die Leerstandsquote auch in den Kreisen Gütersloh und Paderborn noch relativ niedrig, weil dort die wirtschaftlichen Entwicklungen zu deutlichen Wanderungsgewinnen geführt haben. Anders ist dies z.B. im Kreis Höxter: Dieser nimmt zwar bei den durchschnittlichen Wohnungsgrößen einen Spitzenwert ein, aber die Leerstandquote beträgt hier immerhin 4,7%. Die Bevölkerungsverluste sind in diesem strukturschwachen Kreis in den letzten Jahren relativ hoch. Sehr viele Menschen wandern ab, vor allem jüngere. Dies trägt mit dazu bei, dass auch die Geburtenrate hier sehr viel geringer ist als die Sterberate. Nicht selten werden hier Einfamilienhäuser, in denen früher eine Familie lebte, nur noch von alten Menschen bewohnt.

In jüngster Zeit gibt es, außer im Kreis Höxter, Bevölkerungsverluste auch in anderen Teilregionen, die im Zeitraum von 1987 bis 2011 insgesamt noch ein Bevölkerungswachstum aufwiesen. Dies ist z.B. in den Kreisen Herford, im Ennepe-Ruhr-Kreis und im Märkischen Kreis der Fall. Auch diese Bevölkerungsverlus­te können sich evtl. auf die Zahl der neu fertiggestellten Wohnungen auswirken. Im Jahr 2013 wurden nicht nur in einigen Ruhrgebietsstädten, sondern auch in den gerade genannten Kreisen jeweils pro 10.000 Einwohner nur verhältnismäßig wenige neue Wohnungen ge­baut, z.B. im Märkischen Kreis 7,1 (zum Vergleich: Kreis Steinfurt: 47,8; Abb. 1; s. Beitrag Krajewski).

Einen aktuelleren Beitrag zu diesem Thema aus dem Jahr 2021 finden Sie hier.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2015