Traditionelle Formen der Waldnutzung in Westfalen

20.03.2017 Till Kasielke

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Wald · Forstwirtschaft

Inhalt

Vom Neolithikum bis ins 19. Jh. nahm der Wald eine zentrale Stellung im bäuerlichen Wirtschaftsleben ein. Er musste nicht nur den Holzbedarf decken, sondern bildete auch die Grundlage der Viehwirtschaft. Daneben diente der Wald zur Gewinnung von Gerberlohe, lieferte Einstreu für die Ställe und Plaggen zur Düngung der Felder. Die über Jahrtausende anhaltende extensive Nutzung veränderte die Wälder grundlegend in Struktur und Artenbestand. Durch Devastierung, Rodung und Umwandlung in moderne Forste verschwanden diese traditionell genutzten Wälder weitgehend aus der westfälischen Landschaft. Die verbliebenen Bestände haben eine hohe kulturhistorische und ökologische Bedeutung.

Abb. 1: Struktur und Nutzung traditionell bewirtschafteter Wälder (Entwurf: T. Kasielke; Quelle: Burrichter/Pott 1983 u. Burrichter 1986)

Der Wald als Grundlage der Viehwirtschaft

Seit dem Beginn der Viehhaltung im Neolithikum musste der Wald die Ernährung des Viehs über das ganze Jahr hinweg gewährleisten. Zwar trug ab der Eisenzeit auch bewirtschaftetes Grünland zur Ernährung des Viehs bei, doch konnten Grünland und Brachweide den Futterbedarf nicht decken. So blieben Waldweide und Laubheufütterung bis weit in die Neuzeit hinein existenzielle Formen der Waldnutzung.

Im Wald wurden u.a. Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe und Pferde gehütet (Viehhude), was zu tiefgreifenden Veränderungen der Vegetationsdecke führte. Durch den Verbiss der Keimlinge und des Jungwuchses in Kombination mit dem Holzeinschlag waren die Hudewälder relativ licht, was das Wachstum von Gräsern und anderen krautigen Arten begünstigte und damit die Weidemöglichkeiten verbesserte. Generelle Konkurrenzvorteile hatten die vom Vieh gemiedenen Weideunkräuter, so etwa die mit dornigen Blättern bewehrte Stechpalme (Ilex aquifolium), die in unseren heutigen Wäldern wohl deutlich stärker vertreten ist, als es natürlicherweise der Fall wäre (Pott 1983).

Unersetzlich für die Schweinehaltung war die Nutzung der Waldmast aus Eicheln und Bucheckern (Obermast), ergänzt durch die Erdmast in Form von Wurzeln, Würmern, Insekten und Pilzen. Alte Mastbäume lassen heute noch erkennen, dass diese häufig oberhalb der Reichweite des Viehs gekappt wurden, um breite, reichlich masttragende Kronen zu erzielen. Die Bedeutung des herbstlichen Eintriebs der Schweine in den Wald zur Eckern- und Eichelmast kann kaum überschätzt werden, waren doch Schweine bis in die Neuzeit hinein der hauptsächliche Lieferant von Fleisch. Die zunehmende Übernutzung und der meist rechtswidrige Einschlag von Eichen entzog der Schweinehaltung immer mehr die wirtschaftliche Grundlage. Vom 15. Jh. an mussten Schweineherden aus den Hellwegstädten und der Grafschaft Mark zur Mast in die Wälder des Hochsauerlandes getrieben werden (Becker 1998). Im Jahr 1635 klagte der Rat der Stadt Dortmund darüber, dass das "Eichenholz früher 2.000–3.000 Schweine ernährt habe, jetzt aber nur noch zur Mast von höchstens 200 ausreiche" (Hesmer 1958, S. 97). Mit dem Schwinden der Eichenwälder und einer Zunahme an Heiden erfolgte in der Neuzeit schließlich die Entwicklung hin zu einer schweinearmen Rinder- und Schafhaltung als letzte Phase der extensiven Viehwirtschaft in Westfalen (Müller-Wille 1952).

Während Schweine auch im Winter im Wald gehütet und in begrenzter Zahl auch durch Fütterung von gesammelten Eicheln über die kalte Jahreszeit gebracht werden konnten, musste das Vieh im Stall mit Laubheu gefüttert werden. Hierzu wurden den Bäumen periodisch, etwa alle 3–4 Jahre, kurz vor der Laubverfärbung im Herbst die jungen Triebe abgeschnitten und getrocknet. Je nach Verfügbarkeit und unter Schonung der Mastbäume wurden alle Laubbaumarten geschneitelt. Die besonders geschätzten Schneitelbäume waren aber zunächst wohl Eschen und Ulmen. Mit der Einwanderung der Hainbuche (s. Beitrag Kasielke) wurde auch dieses Gehölz bevorzugt genutzt. Gängige Schneiteltypen waren die Kopf- und Astschneitelung (Abb. 1). Im Gegensatz zur niederwaldartigen Stockschneitelung hatten sie den Vorteil, dass die Triebe oberhalb der Reichweite des Viehs lagen und damit dasselbe Waldstück zeitgleich zur Viehhude und Laubheugewinnung genutzt werden konnte. Während sich bei der Kopfschneitelung die belaubten Triebe relativ einfach vom Boden aus mithilfe eines Schneitelmessers abtrennen ließen, lieferte die Astschneitelung eine höhere Produktivität und es konnte später der gesamte Stamm als Bauholz verwendet werden (Burrichter und Pott 1983, Burrichter 1986).

Abb. 2: Buchen-Niederwald im Teutoburger Wald (Foto: T. Kasielke)

Holzwirtschaftliche Nutzung

Neben der viehwirtschaftlichen Nutzung mussten die Wälder natürlich seit jeher den Bedarf an Bau-, Werk-, Brenn- und Kohlholz decken. In historischer Zeit stellte die Niederwaldwirtschaft die gängige Form der Holzgewinnung dar. Die Gehölze wurden hierbei turnusmäßig wenige Dezimeter über dem Boden abgeschlagen, wonach aus dem Stamm durch Stockausschlag neue Stämme heranwuchsen. Stockausschläge wurden sicher auch in Westfalen bereits im Neolithikum genutzt. Ein geregelter Niederwaldbetrieb setzte aber erst in der Eisenzeit ein (Pott 1985, Conrady et al. 2007).

Die Umtriebszeiten variierten von wenigen Jahren bis zu vier Jahrzehnten und orientierten sich am Verwendungszweck des Holzes und der Gehölzart. Besonders gefördert wurden die stockausschlagfähigen Gehölze mit hoher Regenerationskraft. Hierzu zählen vor allem Hainbuche, Linde, Ahorn, Esche und Hasel. Eichen besitzen eine etwas schlechtere Ausschlagfähigkeit, lieferten dafür aber bei einer Umtriebszeit von etwa 18 Jahren auch Eichenlohe für die Gerbereien. Rotbuchen weisen lediglich auf guten Böden und im jungen Alter eine recht hohe Regenerationsfähigkeit auf. Dauerhaft halten sie sich nur bei Umtriebszeiten von über 30 Jahren (Ellenberg 1996). Daher entwickelten sich viele Rotbuchenwälder durch Niederwaldnutzung zu eichen- und birkenreichen Wäldern oder wurden von Hainbuchen ersetzt (Pott 1981 und 1985). An geeigneten Standorten konnte sich die Rotbuche hingegen als vorherrschendes Gehölz behaupten (Abb. 2).

In den Niederwäldern wurden meist einige Bäume als Überhälter zur Samenverjüngung, Bauholzgewinnung und als Mastbäume vom Umtrieb ausgenommen. Viele Niederwälder trugen somit eher den Charakter von Mittelwäldern. Wo die Niederwaldwirtschaft mit Waldweide kombiniert wurde, mussten die "auf den Stock gesetzten" Parzellen einige Jahre von der Beweidung ausgeschlossen werden, um die jungen Stockausschläge vor Verbiss zu schützen. Eine besondere Form der Niederwaldnutzung stellt die einst in Teilen des südwestfälischen Berglandes weit verbreitete Haubergswirtschaft dar, bei der Holz- und Lohenutzung mit Ackerbau und Waldweide kombiniert werden (s. Beitrag Pott).

Relikte traditioneller Waldbewirtschaftung

Die übermäßige Nutzung der gemeinschaftlich bewirtschafteten Marken (Allmende) führte im Laufe des Mittelalters und der Neuzeit zu verheerenden Verwüstungen der Wälder und degradierte sie zu offenen Triften und Heiden. Nach der Privatisierung der Allmende im Zuge der Markenteilungen des 18. und 19. Jh.s wurden die heruntergewirtschafteten Waldbestände in Niederwälder umgewandelt, mit Nadelbäumen aufgeforstet oder zur Schaffung von Grünland, Acker- und Siedlungsfläche endgültig gerodet. Im Bereich der herrschaftlichen Privatwälder sowie den Bannwäldern (s. Beitrag Gausmann/Haeupler/Loos) , in denen Nutzungseinschränkungen eine Verwüstung verhindert hatten, konnte sich der mehrhundertjährige Baumbestand in Einzelfällen bis in die heutige Zeit erhalten. So bezeugen im Naturschutzgebiet "Hiddeser Bent – Donoper teich" bei Detmold zahlreiche alte Hudeeichen, Mastbuchen und Schneitelbäume die jahrhundertelange, extensiv betriebene Waldwirtschaft (Pott 1982). Im Hudewald Ramsdorf bei Borken lassen krüppelwüchsige, mehrstämmige oder ehemals geköpfte Eichen und Buchen die ehemalige Waldnutzung erkennen. Beweidete Altwälder existieren in Westfalen heute nicht mehr. Allerdings werden Waldflächen der Wistinghauser Senne seit 2011 wieder beweidet, um gefährdete Arten der ehemaligen Heidelandschaft zu fördern.

Häufiger als die Relikte ehemaliger Hude- und Schneitelwirtschaft finden sich heute Reste von Niederwäldern, die bis in die erste Hälfte des 20. Jh.s weit verbreitet waren. Im Jahr 1927 betrug der Niederwaldanteil in Westfalen noch 37,4% der gesamten Laubwaldfläche (Müller-Wille 1938). Zur Gewinnung von Heizholz werden Niederwälder auch heute noch vor allem im Kreis Siegen-Wittgenstein im Kurzumtrieb bewirtschaftet. Häufig wurden die Stockausschlagswälder in Hochwälder überführt, indem man sie "durchwachsen" ließ. Die ehemalige Nutzung lässt sich dann noch an teils mehrstämmigen Bäumen mit wulstartigen Verdickungen an der Stammbasis, den sog. Elefantenfüßen, erkennen.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

↑ Zum Seitenanfang

Erstveröffentlichung 2016