Der Strontianitbergbau im Münsterland
"Dat Liäben in [Ascheberg] wor ümmer weheriger un rugger. De "Strunz-Käls" verdeinden viell Geld un laiten auk viell drup gaohen; se trusselden män so met de blanken Dahlers harüm, wenn Löhnunk west was, un de Wien flaut von de Diske harunner."
Augustin Wibbelt, westfälischer Heimatdichter und Priester schrieb kurz nach 1900 "Ne Industrie- un Buern-Geschicht ut'n Mönsterlanne" mit dem Titel "De Strunz" ("Der Strontianit"), der im 19. Jh. im Münsterland eine große Rolle spielte.
Was ist Strontianit?
Wo kommt Strontianit vor?
Die Entdeckung des Strontianits bei Nienberge
1834 fand ein Bauer bei Nienberge, heute ein Stadtteil von Münster, ein unbekanntes Mineral. Von seiner Entdeckung berichteten die "Berlinischen Nachrichten" am 23.6.1834:
"Münster. In unserer Nähe, bei Nienberge [ ... ], findet sich ein Mineral, (das) aus reinem krystallisirten kohlensauren Strontian besteht, welcher im Handel einen beträchtlichen Werth besitzt, indem [ ... ] das Pfund zu 2 Thlrn. verkauft wird. [ ... ] Am Sichersten kann es erkannt werden, wenn ein erbsengroßes Stückchen in Salzsäure aufgelöst, die Auflösung mit Weingeist versetzt und sodann angezündet wird. Der Weingeist brennt, im Fall es kohlensaurer Strontian war, mit lebhaft carminrother Flamme" (Berlinische Nachrichten 1834).
Wenige Jahre später stieß einige km nördlich von Hamm ein Schüler bei der Suche nach Mineralien erneut auf Strontianit:
"Hier wurde das Mineral im Winter des Jahres 1839/40 in dem Steinbruch auf dem Herrensteinberg" an der heutigen B63 zwischen Hamm und Drensteinfurt-Walstedde "von dem Gymnasiasten Hermann Tross [ ... ] des Gymnasiums Hammonense entdeckt" (Menneking 1974).
Der Strontianitbergbau im Münsterland
Vor 1871 wurde Strontianit nur in relativ kleinen Mengen im Münsterland aufgelesen und wegen seiner karminroten Flammenfärbung an Apotheker verkauft. Es gab noch keine Strontianitgruben.
Das Interesse am Strontianit des Münsterlandes änderte sich schlagartig, als 1871 in Dessau (Sachsen-Anhalt) eine Zuckerfabrik begann, aus der Melasse mit Hilfe von Strontianit den Restzucker zu gewinnen. Mit Beginn der Melasse-Entzuckerung kam es im Münsterland zu einer kalifornischen Goldgräberstimmung, die reichlich 10 Jahre anhielt. Insgesamt gab es etwa 700 Gruben mit maximal 2.200 Bergleuten (Abbn. 3 und 4). Später hatten die Gruben oft mehrere Sohlen; den tiefsten Schacht hatte die Grube Alwine in Ahlen-Vorhelm mit 110 m (Muth 1989).
Melasse-Entzuckerung
Bei der Zuckergewinnung aus Zuckerrüben fällt ein dunkelbrauner, unangenehm riechender und schlecht schmeckender zäher Sirup an, die Melasse. Sie enthält noch 50% Zucker, der aber nicht mehr auskristallisiert. Deshalb hatte man schon lange nach Methoden gesucht, den "Restzucker" aus der Melasse zu isolieren. "Dies war besonders in jenen Ländern ein Problem, in denen die Zuckersteuer nicht an der tatsächlichen Zuckerproduktion bemessen wurde, sondern an der Menge der verarbeiteten Rüben, wie dies zum Beispiel in Deutschland und Österreich-Ungarn der Fall war. Jede Steigerung der Zuckerausbeute bedeutete hier in zweifacher Hinsicht Gewinn" (Gesing 1995).
"Vom Jahre 1883 an flaute der große Strontianitboom ab. 1886 waren die Dr. H. Reichardt'schen Gruben (in Drensteinfurt) sämtlich geschlossen. Ihnen folgten im Laufe der Jahre die übrigen, bis im Januar 1945 die letzten 70 Tonnen Strontianit aus der Grube Wickesack [ ... ] in Ascheberg zu Tage gefördert wurden. Denn die große Nachfrage für die Melasse-Entzuckerung hatte in dem Coelestin (SrSO4), der in England und in der Nähe von Arolsen [ ... ] in mächtigen Lagern abgebaut und aus Sizilien und Spanien ebenso billig geliefert werden konnte, eine nicht zu schlagende Konkurrenz entstehen lassen" (Menneking 1974). Aber nicht nur der geringe Preis des Coelestins machte den Strontianit-Unternehmern zu schaffen, sondern auch die Tatsache, dass sie gar nicht in der Lage waren, die großen Mengen Strontianit für die sich schnell ausweitende Melasse-Entzuckerung zu liefern (Gesing 1995).
Reste der Vergangenheit
Und nicht zuletzt bevölkern Weinbergschnecken den kalkhaltigen Boden der Mergelhalden.
Strontianit und Strontium in der Gegenwart
Seit den 1980er Jahren wird Strontianit in Tongling (VR China) abgebaut. Heute findet Strontianit Verwendung in Hartferrit-Magneten, in Fernseh- und Computer-Bildschirmglas, in pyrotechnischen Erzeugnissen und in Medikamenten.
Das metallische Strontium, das Davy 1808 aus Strontianit durch Schmelzfluss-Elektrolyse herstellte, findet in hoch spezialisierten Aluminium-Legierungen Verwendung. Und nicht zuletzt werden heute z. B. in der Universitäts-Klinik Münster Melanome mit künstlich hergestelltem Strontium-90 bestrahlt.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Berlinische Nachrichten (1834): Von Staats- und gelehrte Sachen (23.06.1834). Berlin (Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz) | |
• | Falbe, J. und M. Regitz (Hg.) (1989-1992): Römpp Chemie-Lexikon. Stuttgart/New York | |
• | Gesing, M. (1995): Der Strontianitbergbau im Münsterland, Kreis-Geschichtsverein Beckum-Warendorf e. V. Warendorf | |
• | Hong, W. (1993): Celestite and strontianite – Review of ore processing and exploration: Industrial Minerals. London | |
• | Jatzkowski, M. und G. Unland (1986): Die Strontianitlagerstätten im Münsterland. Haltern (=Emser Hefte, 7, Nr. 4) | |
• | Menneking, F. (1974): Hamms frühe Beziehungen zum Bergbau. Hamm (Sparkasse der Stadt Hamm, Ausstellung bergbaulicher Gegenstände vom 06.-18. Mai 1974) | |
• | Muth, W. (1989): Ahlen 1870–1914. Ahlen | |
• | Wibbelt, A. (1907): De Strunz. 3. Aufl. Essen | |
• | www.mdr.de/geschichte/kalenderblatt/139634.html (abgerufen am 24.09.2006) |
Erstveröffentlichung 2007