Westfalen im Schulbuch des thematischen Erdkundeunterrichts

01.01.2007 Klaus Hackenberg

Inhalt

Abb. 1: Didaktisches Grundgerüst der Thematischen Schulgeographie (Entwurf: K. Hackenberg, Quellen: Unterrichtsempfehlungen, Richtlinien und Lehrpläne im Fach Erdkunde für die SI und SII an den weiterführenden Schulen in NRW seit 1973)

Von der Länderkunde zur Thematischen Geographie – die schulpolitische Weichenstellung

Die Vorträge und Diskussionen auf dem Kieler Geographentag 1969 und verschiedene in der Folge erschienene Beiträge in der Geographischen Rundschau (K. Ruppert/F. Schaffer, 1969; A. Schultze und H. Hendinger, beide 1970) bildeten erste Meilensteine auf dem Weg zu einer neuen Schulgeographie. Hier zuerst in Frage gestellt und bald durch erste neue amtliche Unterrichtsempfehlungen für den Erdkundeunterricht in der S I  in NRW (1973) abgeschafft wurde das Paradigma der Länderkunde, die den Erdkundeunterricht bis dahin eindeutig dominiert hatte: "Im Mittelpunkt des Erdkundeunterrichts steht die Länderkunde" (Richtlinien für den Unterricht in der Höheren Schule, 1963, S. 1). Bezogen auf Deutschland, das im länderkundlichen Durchgang durch die verschiedenen Jahrgänge im Erdkundeunterricht des Gymnasiums dreimal behandelt wurde, in den Klassen "Sexta", "Obertertia" und "Oberprima", geschah dies in der Unterstufe weitgehend auf der Ebene naturräumlich abgegrenzter Landschaften (vgl. dazu die Titel der Lehrbücher im Klett- und im Schöningh Verlag, "Länder und Völker", Band 1, "Deutsche Landschaften", bzw. "Erdkunde für Höhere Lehranstalten", Band 1, "Deutsche Landschaften"). Damit war auch der Erfassung und Darstellung westfälischer Landschaften breiter Raum gegeben.

Dieser regionale, idiographische Ansatz wurde in der didaktischen Wende zu Anfang der 70er Jahre gekippt zugunsten einer gesellschaftswissenschaftlich orientierten, nomothetisch ausgerichteten thematischen Geographie im Erdkundeunterricht ("Teilbereich der Gesellschaftswissenschaften", Unterrichtsempfehlungen für Erdkunde S I, 1973, S. 46). In Anlehnung an die Daseinsgrundfunktionen der Sozialgeographie wurden zentrale Themen- und Inhaltsfelder festgelegt (Abb. 1). Nach einer  Übergangszeit mit globaler Öffnung hinsichtlich der Bezugsräume wurde die traditionelle Bezugsraumstaffelung für die S I wieder aufgenommen: Klasse 5, Deutschland, Klasse 7/8, Außereuropa, Klasse 9, Europa (einschließlich Deutschland).

Der Erdkundeunterricht in den Jahrgangsstufen 6 und 10 war inzwischen gestrichen worden. Für die Oberstufe wurden keine Bezugsräume festgelegt. Erst mit der Einführung der "Raumanalyse" (Richtlinien und Lehrpläne für Erdkunde am Gymnasium, S I, 1978 und S II, 1981) erhielt die idiographische Betrachtungsweise einen neuen, wenn auch stark begrenzten Stellenwert. An diesen Voraussetzungen und Bedingungen für eine mögliche Einbringung auf Westfalen bezogener Inhalte in Themen in den Erdkundeunterricht der S I und S II des Landes NRW hat sich grundsätzlich bis heute nichts geändert.

Das Bild Westfalens in den Lehrbüchern des thematischen Erdkundeunterrichts

Das Lehrbuch ist neben dem Atlas trotz einer Flut neuer Medien im Erdkundeunterricht immer noch das zentrale Medium in der Hand der Lernenden. Es bestimmt deshalb weitgehend das Bild der in ihm angesprochenen und vermittelten Sachverhalte und Räume in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler.

Wie sieht das Bild Westfalens aus, das in den Lehrbüchern des thematischen Erdkundeunterrichts vermittelt wird? Grundlage für den Aufbau des Bildes sind die per Richtlinien hauptsächlich festgelegten Sachbereiche der Arbeitsfelder "Siedlung und Gesellschaft", "Wirtschaft", "Freizeit" und "Ökologie". Es bleibt den Verlagen und ihren Autoren der Erdkundebücher weitgehend überlassen, anhand welcher Teilräume bzw. Standorte sie die einzelnen Themen aufgreifen und lernzielorientiert aufarbeiten und vermitteln.
Abb. 2: Westfalen im Schulbuch der thematischen Erdkunde (Entwurf: K. Hackenberg, Quellen: ausgewählte Erdkundeschulbücher, Schwerpunkt Gymnasium, nach 1970)

Die Abb. 2 zeigt das Ergebnis einer Analyse verschiedener Lehrbuchgenerationen der letzten 30 Jahre unterschiedlicher Schulbuchverlage. Insgesamt wurden ca. 30 Einzelbände der Jahrgangsstufen S I und S II in die Untersuchung einbezogen, die zusammen jeweils weitgehend den Markt beherrschten.

Das Ergebnis der Analyse in seiner kartographischen Form zeigt ein inhaltlich wie räumlich differenziertes Bild. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass die klassischen, für Westfalen repräsentativen Teilregionen der länder- und landschaftsbezogenen Schulerdkundebücher vor der didaktischen Wende, das Münsterland, das Sauerland, das Weserbergland und das Ruhrgebiet auch im Rahmen der Thematischen Geographie nach 1970 als Bezugsregionen, wenn auch nur ausnahmsweise, vertreten sind.

Bis auf das Weserbergland, das nicht als geschlossene Teilregion für ein bestimmtes Themenfeld herangezogen wird, werden die anderen Räume  Westfalens, besonders das Ruhrgebiet, flächenhaft thematisiert: das Ruhrgebiet als Industrieraum, das Münsterland als landwirtschaftlicher Versorgungsraum und das Sauerland als Wasserbereitstellungs- und Erholungsraum.

Entsprechend sind dann auch bei den punktuell behandelten Standortbeispielen die relevanten Themenbereiche am stärksten vertreten. Beim Weserbergland steht dagegen in dieser Kategorie die Dominanz der Bereiche Stadt und Zentralität sowie Dorfentwicklung im Vordergrund. Relativ gleich anteilig im Hinblick auf die westfälischen Teilregionen ist der Bereich Erholung und Freizeit vertreten.

Insgesamt tritt jedoch unter Bezug auf die Frage und das Ergebnis der Untersuchung des Westfalenbildes in den Schulbüchern des Thematischen Erdkundeunterrichts ein sehr problematisches Ergebnis zu Tage.

Ein Gesamtbild des Raumes entsteht auf keinen Fall, nicht einmal mehr das eines seiner traditionellen Teilräume, auch wenn diese im Zusammenhang einzelner Themen angesprochen werden. Vielmehr bleibt es bei einem thematisch zusammengesetzten Konglomerat von punktuell herausgegriffenen Standorten, zwischen denen nur sporadisch Zusammenhänge hergestellt werden.

Im Laufe ihrer Erdkunde-Schullaufbahn begegnen die Lernenden zwar immer wieder einmal einem westfälischen Raumbeispiel, einem landwirtschaftlichen Betrieb, einem Dorf im Wandel, einer historisch oder gegenwärtig interessanten Stadt, dem Strukturwandel im Ruhrgebiet usw. Aber entwickelt sich dabei ein Gesamtbild der Teilregion Westfalen ihres Bundeslandes Nordrhein-Westfalen? Es sei denn, ihr Fachlehrer stellt das westfälische räumliche Kontinuum von sich aus her.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007