Westfalen im Schulbuch des thematischen Erdkundeunterrichts
Von der Länderkunde zur Thematischen Geographie – die schulpolitische Weichenstellung
Dieser regionale, idiographische Ansatz wurde in der didaktischen Wende zu Anfang der 70er Jahre gekippt zugunsten einer gesellschaftswissenschaftlich orientierten, nomothetisch ausgerichteten thematischen Geographie im Erdkundeunterricht ("Teilbereich der Gesellschaftswissenschaften", Unterrichtsempfehlungen für Erdkunde S I, 1973, S. 46). In Anlehnung an die Daseinsgrundfunktionen der Sozialgeographie wurden zentrale Themen- und Inhaltsfelder festgelegt (Abb. 1). Nach einer Übergangszeit mit globaler Öffnung hinsichtlich der Bezugsräume wurde die traditionelle Bezugsraumstaffelung für die S I wieder aufgenommen: Klasse 5, Deutschland, Klasse 7/8, Außereuropa, Klasse 9, Europa (einschließlich Deutschland).
Der Erdkundeunterricht in den Jahrgangsstufen 6 und 10 war inzwischen gestrichen worden. Für die Oberstufe wurden keine Bezugsräume festgelegt. Erst mit der Einführung der "Raumanalyse" (Richtlinien und Lehrpläne für Erdkunde am Gymnasium, S I, 1978 und S II, 1981) erhielt die idiographische Betrachtungsweise einen neuen, wenn auch stark begrenzten Stellenwert. An diesen Voraussetzungen und Bedingungen für eine mögliche Einbringung auf Westfalen bezogener Inhalte in Themen in den Erdkundeunterricht der S I und S II des Landes NRW hat sich grundsätzlich bis heute nichts geändert.
Das Bild Westfalens in den Lehrbüchern des thematischen Erdkundeunterrichts
Wie sieht das Bild Westfalens aus, das in den Lehrbüchern des thematischen Erdkundeunterrichts vermittelt wird? Grundlage für den Aufbau des Bildes sind die per Richtlinien hauptsächlich festgelegten Sachbereiche der Arbeitsfelder "Siedlung und Gesellschaft", "Wirtschaft", "Freizeit" und "Ökologie". Es bleibt den Verlagen und ihren Autoren der Erdkundebücher weitgehend überlassen, anhand welcher Teilräume bzw. Standorte sie die einzelnen Themen aufgreifen und lernzielorientiert aufarbeiten und vermitteln.
Die Abb. 2 zeigt das Ergebnis einer Analyse verschiedener Lehrbuchgenerationen der letzten 30 Jahre unterschiedlicher Schulbuchverlage. Insgesamt wurden ca. 30 Einzelbände der Jahrgangsstufen S I und S II in die Untersuchung einbezogen, die zusammen jeweils weitgehend den Markt beherrschten.
Das Ergebnis der Analyse in seiner kartographischen Form zeigt ein inhaltlich wie räumlich differenziertes Bild. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass die klassischen, für Westfalen repräsentativen Teilregionen der länder- und landschaftsbezogenen Schulerdkundebücher vor der didaktischen Wende, das Münsterland, das Sauerland, das Weserbergland und das Ruhrgebiet auch im Rahmen der Thematischen Geographie nach 1970 als Bezugsregionen, wenn auch nur ausnahmsweise, vertreten sind.
Bis auf das Weserbergland, das nicht als geschlossene Teilregion für ein bestimmtes Themenfeld herangezogen wird, werden die anderen Räume Westfalens, besonders das Ruhrgebiet, flächenhaft thematisiert: das Ruhrgebiet als Industrieraum, das Münsterland als landwirtschaftlicher Versorgungsraum und das Sauerland als Wasserbereitstellungs- und Erholungsraum.
Entsprechend sind dann auch bei den punktuell behandelten Standortbeispielen die relevanten Themenbereiche am stärksten vertreten. Beim Weserbergland steht dagegen in dieser Kategorie die Dominanz der Bereiche Stadt und Zentralität sowie Dorfentwicklung im Vordergrund. Relativ gleich anteilig im Hinblick auf die westfälischen Teilregionen ist der Bereich Erholung und Freizeit vertreten.
Insgesamt tritt jedoch unter Bezug auf die Frage und das Ergebnis der Untersuchung des Westfalenbildes in den Schulbüchern des Thematischen Erdkundeunterrichts ein sehr problematisches Ergebnis zu Tage.
Ein Gesamtbild des Raumes entsteht auf keinen Fall, nicht einmal mehr das eines seiner traditionellen Teilräume, auch wenn diese im Zusammenhang einzelner Themen angesprochen werden. Vielmehr bleibt es bei einem thematisch zusammengesetzten Konglomerat von punktuell herausgegriffenen Standorten, zwischen denen nur sporadisch Zusammenhänge hergestellt werden.
Im Laufe ihrer Erdkunde-Schullaufbahn begegnen die Lernenden zwar immer wieder einmal einem westfälischen Raumbeispiel, einem landwirtschaftlichen Betrieb, einem Dorf im Wandel, einer historisch oder gegenwärtig interessanten Stadt, dem Strukturwandel im Ruhrgebiet usw. Aber entwickelt sich dabei ein Gesamtbild der Teilregion Westfalen ihres Bundeslandes Nordrhein-Westfalen? Es sei denn, ihr Fachlehrer stellt das westfälische räumliche Kontinuum von sich aus her.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Ernst, E. (1970): Lernziele in der Erdkunde. In: Geographische Rundschau, Nr. 5/1970. Braunschweig, S. 186-194 | |
• | Hendinger, H. (1970): Neuorientierung der Geographie im Curriculum. In: Geographische Rundschau, Nr. 1/1970. Braunschweig, S. 10-18 | |
• | Partzsch, D. (1964): Daseinsgrundfunktionen. In: Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, Band 1. Hannover, S. 424-430 | |
• | Ruppert, K. und F. Schaffer (1969): Zur Konzeption der Sozialgeographie. In: Geographische Rundschau, Nr. 6/1969. Braunschweig, S. 205-214 | |
• |
Schultze, A. (1970): Allgemeine Geographie statt Länderkunde. In: Geographische Rundschau, Nr. 1/1970. Braunschweig, S. 1-10 |
Erstveröffentlichung 2007