Der Schieferbergbau im südwestfälischen Bergland

01.01.2012 Reinhard Köhne

Inhalt

Vom Tonstein zum Dachschiefer

Im Erdaltertum während des Devons wurde durch Flüsse feines Bodenmaterial in einem ruhigen Meerestrog abgelagert. Vor 380 Mio. Jahren wurden diese horizontal geschichteten Sedimente durch den Druck der benachbarten Kontinentalplatten zu einem Hochgebirge aufgefaltet. Die Tonschichten entwässerten und verhärteten unter dem wachsenden Druck durch Umlagerung der Kristalle zu Tonschiefern (s. Beitrag Temlitz). Die Schieferung führte durch die neuen Gesteinsstrukturen zu einer leichten Spaltbarkeit entlang der Oberflächen.

Aufgrund dieser geologischen Entwicklung lassen sich nach Bedarf zentimeterdicke Platten zu Bauzwecken gewinnen. Die schwarzgraue bis blaue Färbung ermöglicht eine architektonische Gestaltung. Als Dachschiefer eignen sich nur wasserundurchlässige Gesteinspartien mit geringem Kalkgehalt, da sie sonst unter dem Einfluss von saurem Regen leicht verwittern. Die eigentlich nutzbaren Gesteinspakete sind daher selten mehr als 20 m mächtig. Somit hinterlassen Gruben, die längere Zeit in Betrieb waren, größere Abraumhalden vor den Stollenmundlöchern.

Abb. 1: Ehemalige Schiefergrube Silbacher Bruch (Foto: R. Köhne)

Tonschiefer: landschaftsprägende Gesteinsschicht

Der Reliefwechsel von Höhenrücken und angelagerten Längs- bzw. Binnenmulden ist typisch für die landschaftliche Grundstruktur im Schiefergebirge. Im Gegensatz zu den härteren Sandsteinen oder Kieselschiefern ist der relativ weichere Tonschiefer von der Erosion stärker ausgeräumt worden und begünstigt die Ausbildung von Mulden und Senken. Da die unterschiedlich harten Gesteinsschichten durch die Gebirgsbildung hochgestellt wurden, entstand eine wellenförmige Schichtrippenlandschaft.

Die Tonschieferverwitterungsböden boten der landwirtschaftlichen Nutzung von jeher gute Voraussetzungen und waren die bevorzugten Siedlungslagen.

Die Schieferreviere

Die Dachschiefervorkommen konzentrieren sich im Sauerland auf den Raum Nuttlar/Antfeld, Bad Fredeburg, Hallenberg und das Biggetal südlich von Attendorn. Im Siegerland war der Bereich Raumland im Edertal bei Bad Berleburg bedeutsam.
Abb. 2: Schieferbergbau in Südwestfalen (Entwurf: R. Köhne)

Die Anfänge des Abbaus überliefern archivalische Quellen aus dem Spätmittelalter. Demnach ist schon im 14. Jh. im Umland von Siegen Schiefer gewonnen worden. 1574 wurde Schiefer aus dem Hallenberger Revier nach Raumland geliefert. Die Schiefergruben von Antfeld und Nuttlar waren bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s in Betrieb. 1578 wurden von Hallenberg "42 Wagen Schieberstein nach Arnsberg (zum Schlossbau) gelibert" (Stadtarchiv Hallenberg). Die Gewinnung von Blauschiefer im Biggetal südlich von Attendorn zwischen Stade und Sondern begann bereits im 18. Jh. Die Klöster Grafschaft und Bredelar verfügten im 18. Jh. über eigene "Schiefer-Kaulen" bei Silbach und Giershagen. Weltliche und kirchliche Bauten mit ihren ausgedehnten Dachflächen erforderten eine stärkere Unterkonstruktion, um das Gewicht der Schiefersteine zu tragen. Wehranlagen, Hütten- und Hammerwerke erhielten wegen der Brandgefahr ein Schieferdach. So überliefert die archäologische Grabung des Wartturms der Briloner Landwehr auf dem Bilstein die Schieferdeckung aus dem 14. und 15. Jh.

Anfangs wurden die Schiefervorkommen im Tagebau in Form von "Schieferkuhlen" angegraben. Später erfolgte die Gewinnung durchweg im Untertagebau mit Stollen und Querschlägen. Der bergfrische Schiefer ließ sich dann über Tage leichter spalten und zurichten. Das Oberbergamt Bonn bewertete 1890 den Fredeburger Dachschiefer als leicht spaltbar, von vorzüglicher Qualität und wetterbeständig.

Brandschutz verändert die Dachlandschaft Südwestfalens

Im 18. und 19. Jh. überwog in den südwestfälischen Städten und Dörfern das strohgedeckte Fachwerkhaus mit offener Feuerstelle in der Küche, die nicht vom Stall getrennt war. Infolgedessen gab es fast keine Ortschaft, die nicht wiederholt von Brandkatastrophen betroffen war. Die verdichtete Bebauung und die Strohdächer begünstigten die Ausbreitung von Flächenbränden. Die Einführung der Feuerversicherungsordnung 1778 für das Herzogtum Westfalen und die damit verbundenen präventiven Bauvorschriften veränderten die Ortsbilder. Neubauten durften nur noch mit Schiefer oder Tonpfannen gedeckt werden. Indirekt bewirkten die höheren Versicherungsprämien für die Leichtdächer eine Umrüstung auf Hartdächer mit Schiefer, Dachpfannen oder Blech. Da aber kaum Tonlager für Dachpfannen verfügbar waren und Wärmeenergie zum Brennen nur aus den knappen Holzvorräten teuer zu gewinnen war, begann der Dachschiefer seinen Siegeszug, der bis heute als Schwarz-Weiß-Gegensatz die Siedlungsbilder prägt. Auch nach Übernahme des Herzogtums Westfalen durch Hessen-Darmstadt 1802 und später durch Preußen 1815 wurde diese Reform des Städtebaus fortgesetzt. 1816 und 1836 untersagte die preußische Verwaltung erneut die Strohdeckung und schrieb stattdessen Schiefer oder Tonziegel vor. Diese Auflagen wurden allerdings durch Ausnahmen unterlaufen, die aus finanziellen Gründen trotzdem Strohdächer erlaubten. Diese soziale Nachsicht und der Altbestand führten noch 1876 in Schmallenberg-Oberhenneborn nach einem Brand zum Verlust der meisten Bauernhäuser. Weiterhin folgten nach Stadtbränden häufig Flächensanierungen, um durch eine gelockerte Bebauung einen gewissen Brandschutz zu gewährleisten. Nach dem Brand der Stadt Fredeburg 1810 entschied sich der Landbaumeister Ernst Plassmann aus Arnsberg nach klassizistischen Planungsgrundsätzen die Bebauung von der abgebrannten Oberstadt in die Unterstadt zu verlagern, mit der zentralen Höhenstraße und drei Querstraßen. Der Schiefer als regionales Produkt bei der Dachgestaltung wurde zum integralen Bestandteil des Wiederaufbaus.

Abb. 3: Schieferdachvariationen im historischen Ortskern Eversberg (Foto: R. Köhne)

Aufschwung und Niedergang

Der Umbruch bei der Dachdeckung gab dem Schieferbergbau neue Impulse. Von 1841 bis 1888 stieg im Revier Arnsberg die Produktion exponentiell von 873 m2 auf 22.052 m2 im Jahre 1877, um in den 1880er Jahren wieder auf 14.702 m2 abzusinken. Die Ursachen dafür sind in der Ablösung der Churkölnischen Bergordnung durch das allgemeine preußische Berggesetz von 1865 zu sehen. Darin wurde der Schiefer aus dem staatlichen Bergrecht herausgenommen und zu einem Grundeigentümermineral umgewidmet. Weiterhin verbilligte der Eisenbahnbau im Bergland in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s (s. Beitrag Tschorn) die Transportkosten und erschloss neue Absatzmärkte in den wachsenden Stadtregionen an Rhein und Ruhr. Außer Dachschiefer wurden in zahlreichen Gruben auch Plattenschiefer zu Grabsteinen, Bodenplatten, Fensterbänken und Schiefertafeln für die Schulen verarbeitet.

Um die Jahrhundertwende leiteten steigende Lohnkosten, die Konkurrenz anderer Bedachungsmaterialien und Importe aus Großbritannien, Belgien, Spanien und Frankreich den Niedergang des Schieferbergbaus ein. Nach einer kurzen Erholungsphase durch den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Schieferbergbau in den 1970er Jahren zum Erliegen. Überlebt hat nur die Grube Magog bei Bad Fredeburg durch Zusammenlegung von Grubenfeldern, Einführung der Sägetechnik anstelle der Sprengtechnik und Ersatz der manuellen Zurichtung durch Roboterfertigung. Heute hat der Dachschiefer nur noch einen Marktanteil von 4%, davon entfallen 60% auf Modernisierung, 25% auf Neubau und 15% auf Denkmalpflege.

Neben- und Folgenutzungen

Als im April 1945 im Zuge der Einkesselung des Ruhrgebietes die Amerikaner Fredeburg belagerten und der deutsche Kampfkommandant bis zum "letzten Mann" kämpfen wollte, blieb der Bevölkerung nur die Flucht in die nahen Schieferstollen, da während der sechstägigen Straßenkämpfe keine Schutzräume zur Verfügung standen (s. Beitrag Köhne). Etwa 2.500 Einwohner überlebten in der Grube Magog, während die Stadt zu 75% zerstört wurde.

Die Grube "Delle" im Raumländer Revier, die bereits 1923 geschlossen worden war, konnte 1982 als Besucherbergwerk wieder erschlossen werden (s. Beitrag Wittkampf). 2011 erhielten die ehemaligen Gruben "Felicitas" (1863–1972) in Bad Fredeburg und "Brandholz" (1866–1972) in Schmallenberg-Nordenau das Zertifikat "Orte mit Heilstollenkurbetrieb". Hintergrund waren medizinisch-klimatologische Gutachten, die Asthmatikern und Allergikern die Heilwirkung des Stollenklimas bestätigten (s. Beitrag Rohleder).

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2012