Die religiöse Lage in Westfalen

01.01.2007 Volkhard Krech

Kategorie: Gesellschaft und Politik

Schlagworte: Westfalen · Religion

Abb. 1: Verteilung und Differenzierung der Religionsgemeinschaften in Westfalen (Entwurf: V. Krech, Quelle: www.religion-plural.org)

Die Menschen in Westfalen sind - verglichen mit dem Bundesdurchschnitt - relativ religiös. Die Religiosität nimmt hier zwar nicht zu, wird aber vielfältiger. Insgesamt sind rund 78 Prozent der westfälischen Bevölkerung Mitglieder einer Religionsgemeinschaft oder, wo es keine formale Mitgliedschaft gibt, engagieren sich in einer: von den christlichen Großkirchen sowie den islamischen Verbänden und Moscheevereinen über kleine christlichen Gemeinschaften, orthodoxe Kirchen (s. Beitrag Katsaros) und das Judentum bis zu den östlichen Religionen und neureligiösen Strömungen. In Abb. 1 ist anhand der linken Säulen die prozentuale Verteilung zu sehen, die Säulen rechts daneben geben Auskunft über die organisatorische Differenzierung. Der römische Katholizismus ist mit 40,65 Prozent stärker als im Bundesdurchschnitt vertreten, die evangelischen Landeskirchen liegen mit 33,36 Prozent leicht darüber. Angehörige islamischer Organisationen machen 2,7 Prozent aus, Mitglieder kleiner christlicher Religionsgemeinschaften etwa ein Prozent, Angehörige orthodoxer Kirchen kommen auf 0,14 Prozent, jüdische Gemeinden auf 0,11, östliche Religionen auf 0,05 und weitere Religionen aus dem neureligiösen Spektrum auf 0,08 Prozent. Solche Zahlen sagen allerdings wenig über religiöse Differenzierung aus, denn bei den kleinen christlichen Gemeinschaften ist sie mit 73 Organisationen am stärksten.

Schaut man sich die regionale Verteilung und Ausprägung der Religionsgemeinschaften an, so ergibt sich folgendes Bild:

Der Römische Katholizismus ist besonders stark im Münsterland und im Sauerland vertreten, schwach hingegen in Ostwestfalen, im Siegerland und im Ruhrgebiet. Die Präsenz variiert zwischen 72 (im Hochsauerlandkreis) und 9 Prozent (im Kreis Minden-Lübbecke).

Für die Evangelische Kirche von Westfalen gilt geradewegs das Umgekehrte: Sie ist stark ausgeprägt in Ostwestfalen, im Siegerland, im Märkischen Kreis sowie relativ stark im Ruhrgebiet. Die Präsenz variiert zwischen 63,6 (im Kreis Minden-Lübbecke) und 13 Prozent (im Kreis Olpe). Die Lippische Landeskirche und die Landeskirche Schaumburg-Lippe vertreten nahezu 55 Prozent der im Kreis Lippe ansässigen Bevölkerung (s. Beitrag Wittkampf).

Das Gemeindeleben beider christlichen Großkirchen ist folgendermaßen zu charakterisieren: So genannte Kernmitglieder, d.h. solche, die sich mit der Kirchenorganisation stark verbunden fühlen, den christlichen Glauben in seinem traditionellen Bestand teilen, regelmäßig zum Gottesdienst gehen und an Gemeindeveranstaltungen vergleichsweise häufig teilnehmen, machen etwa 15 Prozent aller Kirchenmitglieder aus. Weitere 15 Prozent fühlen sich der Kirchenorganisation kaum oder gar nicht verbunden, gehen sehr selten oder gar nicht zum Gottesdienst und nehmen auch sonst nicht am Gemeindeleben teil. Die restlichen 70 Prozent der Kirchenmitglieder hegen ein ambivalentes Verhältnis zur Kirchenorganisation, besuchen sporadisch den Gottesdienst und nehmen gelegentlich an Gemeindeveranstaltungen teil.

Von den ca. 1 Mio. in Nordrhein-Westfalen lebenden Muslimen - das sind 5,5 Prozent der Gesamtbevölkerung - ist die Hälfte in Moscheegemeinden engagiert. Das gilt in etwa auch für Westfalen. Religiöse islamische Gemeinschaften sind im westfälischen Raum besonders stark in Gelsenkirchen vertreten, aber auch im nördlichen und östlichen Ruhrgebiet (Hamm) sowie im Märkischen Kreis. Die Präsenz variiert zwischen 6,63 (in Gelsenkirchen) und 0,31 Prozent (in Coesfeld).

Die Herkunftsländer der Muslime reichen von der Türkei (mit dem größten Anteil von nahezu 77 Prozent) über Jugoslawien, Bosnien-Herzegowina, den Kosovo, Albanien, arabische Länder, Marokko und andere afrikanische Länder, den Libanon und Aserbaidschan bis zum Irak und Afghanistan. Neben dieser ethnischen Pluralität gibt es eine Vielfalt religiöser Richtungen. Zwar dominieren die Sunniten, zu denen mehr als 86 Prozent der Gemeinden und etwa 95 Prozent der Muslime gehören. Darüber hinaus sind aber zahlreiche weiterer Gruppen vertreten: unter anderem die Aleviten mit fünf Prozent der Gemeinden sowie die Ahmadiyya und die Schiiten mit jeweils drei Prozent.

Den größten Anteil vertritt die "Türkisch Islamische Union" (DITIP) mit 41 Prozent aller in Nordrhein-Westfalen lebenden türkischen Muslime (das sind 26 Prozent aller Muslime in Nordrhein-Westfalen). Die zweitgrößte Organisation stellt der "Verband der Islamischen Kulturzentren" dar; in ihm engagieren sich 9,5 Prozent aller in Nordrhein-Westfalen lebenden türkischen Muslime (das sind sechs Prozent aller Muslime in Nordrhein-Westfalen), und in der Vereinigung "Milli Görüs" (IGMG) als der drittgrößten Organisation sieben Prozent der türkischen Muslime (das sind 4,5 Prozent aller in Nordrhein-Westfalen lebenden Muslime). Außerdem gibt es zwei Dachverbände und 29 weitere Organisationen und Strömungen sowie viele Moscheegemeinden, die nicht organisiert sind.

Die kleinen christlichen Gemeinschaften sind besonders stark in Ostwestfalen, im Siegerland, im südöstlichen Ruhrgebiet und im Märkischen Kreis vertreten. Die Präsenz variiert zwischen 3,4 (in Bielefeld) und 0,1 Prozent (in Olpe und Coesfeld). Die Vielfalt der - mehrheitlich evangelikal ausgerichteten - kleineren christlichen Gemeinschaften ist wesentlich größer, als bisher angenommen (s. Beitrag Altevogt).

Das evangelikale Spektrum wird in Westfalen stark von Russlanddeutschen geprägt. Von den in ganz Nordrhein-Westfalen lebenden ca. 700000 Russlanddeutschen gehört etwa ein Siebtel kleinen protestantischen Gemeinschaften an, vor allem den Baptisten (etwa den Evangeliumschristen-Baptisten), aber auch den Mennoniten und Methodisten. Das Gemeindeleben ist im Vergleich zu den christlichen Großkirchen sehr intensiv. Insgesamt wird man sagen können, dass jeder Mensch, der einer Gemeinde angehört, in ihr stark engagiert ist - und zwar durch alle Generationen hindurch. Die russlanddeutschen Gemeinden haben sehr viel bewegt: Sie haben Gemeinden gegründet, große Versammlungshäuser gebaut, Jugendarbeit, Inlands-Mission und Sozialarbeit initiiert, Schulen in eigener Trägerschaft geschaffen, Verlage und Zeitschriften aufgebaut und Ausbildungsschulen für gemeindliche Führungskräfte errichtet. Allerdings stagnieren die Mitgliederzahlen beziehungsweise gehen trotz intensiver Missionsbemühungen zurück.

Abb. 2: Ausprägung der religiösen Vielfalt in Westfalen (Entwurf: V. Krech, Quelle: www.religion-plural.org)

Angehörige östlicher Religionen (vor allem Hindu-Religionen und Buddhismus, darunter wiederum der tibetische Buddhismus als eigene Strömung, aber auch die Sikh-Religion), sind überwiegend Migrantinnen und Migranten. Sie kommen aus fast allen Ländern Fern- und Südost-Asiens, vor allem aber geht es um Hindu-Tamilen aus Sri Lanka und um vietnamesische Boatpeople buddhistischen Glaubens. Aufgrund der religiösen Praxis - etwa in den privaten Riten der Shinto-Frömmigkeit - oder der infrastrukturellen Situation - so sind die wenigen Hindu-Tempel weit verstreut - findet das religiöse Leben nur zu einem geringen Teil an großen lokalen Tempeln statt. Allerdings kommen zu hohen Festen häufig sehr viele Menschen. Beispielsweise zieht der Hindu-Tamilen-Tempel in Hamm, der größte südindische Tempel Europas, zu Hochfesten etwa 20000 Gläubige an, die überwiegend jedoch nicht aus Westfalen stammen. Alle diese Migranten finden in ihren religiösen Versammlungsorten, sei es der hinduistische Tempel oder der Sikh-Gurdwara, nicht nur ein religiöses Zuhause, sondern auch eine Oase der Vertrautheit; ihre Religionspraxis besitzt mithin - und dies teilen sie mit vielen Migranten - nicht nur religiöse, sondern weit darüber hinausreichende soziale Funktionen.

Neue Religionen und Esoterik-Anbieter schließlich sind in Westfalen insgesamt im Vergleich etwa zum nordrheinischen Gebiet relativ schwach vertreten. In einem nennenswerten Ausmaß sind sie nur in Münster, im Ruhrgebiet, im Märkischen Kreis sowie im Soester Gebiet und Siegerland anzutreffen. Im Gegensatz zur geringen quantitativen Ausprägung ist das Angebot äußerst differenziert: So reicht etwa das esoterische Angebot von Divinationspraktiken (Astrologie, Kartenlegen, Handlesen etc.) bis zu Körperpraktiken (z.B. Yoga).

Die religiöse Vielfalt insgesamt ist in Westfalen unterschiedlich ausgeprägt. Mit einem zu diesem Zweck entwickelten Diversitätsindex (Abb. 2), der sich aus der Anzahl der Organisationen und der Zahl der Angehörigen zusammensetzt, lässt sich feststellen, dass die religiöse Vielfalt im Ruhrgebiet (insbesondere in Dortmund, Gelsenkirchen und Hamm) am höchsten, in Ostwestfalen, im Siegerland sowie im nördlichen Münsterland mäßig und im westlichen Münsterland, im Hochsauerlandkreis sowie im Landkreis Olpe am geringsten ausgeprägt ist.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007