Alternative Nahversorgungsmodelle in ausgewählten Städten Westfalens
Auch wenn Nahversorgung mehr als die Lebensmittelversorgung umfasst, gehen von dieser jedoch die höchsten Impulse für die Besucherfrequenz eines Standortes aus. Diese "Magnetbetriebe" des Lebensmitteleinzelhandels erhöhen auch die Besucher- und Nutzerzahlen in benachbarten kulturellen oder öffentlichen Einrichtungen. In einer zentralen, städtischen Lage spricht ein Nahversorgungsbetrieb mit etwa 600 m2 Verkaufsfläche täglich durchschnittlich 800–1.200 Kunden an. Treten dort rückläufige Frequenzen auf, sind davon auch andere zentrenrelevante Nutzungen betroffen.
Der ungebrochen dynamische Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel hin zu höherer Sortimentstiefe und mehr Verkaufsfläche hat die Standortanforderungen für Lebensmitteleinrichtungen stark verändert. Sie führten zu Standortverlagerungen in Bereiche außerhalb gewachsener Zentren mit hoher Parkplatzanzahl, guter Anbindung des Individualverkehrs und günstigen Bodenmieten.
Besonders die Discounter treten mit ihrem wöchentlich wechselnden Zusatzsortiment an Non-Food-Artikeln in starke Konkurrenz zu den städtebaulich gewachsenen Zentren. Bei den Vollsortimentanbietern ist ebenfalls eine Verschiebung der Standortwahl zu erkennen. Bestehende Vollsortimenter weisen durchschnittlich eine Verkaufsfläche von 800 m2 auf, während Markteintrittsgrößen an neuen Standorten abhängig von der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit bei durchschnittlich ca. 1.500 m2 liegen und somit deutlich die Grenze zur Großflächigkeit überschreiten. Mit diesen Größenordnungen finden sie häufig keinen Platz in den funktionalen Zentren. Deshalb mehren sich Agglomerationen von Betrieben unterschiedlicher Branchen oder mehrere Lebensmittelanbieter entlang von Ausfallstraßen, denn sie bieten zusätzlich zum breiten und tiefen Sortiment für die Kunden eine erhöhte Kopplungsattraktivität.
Dadurch bekommen aber auch die städtebaulich gewachsenen Lagen das Problem, dass sowohl ihre ökonomische Bedeutung als auch ihre Attraktivität im Vergleich zu den neuen Standorten schrumpft. Besonders kleine Zentren haben häufig eine nicht ausreichende Kopplungsattraktivität, um mit den neuen und attraktiveren Standorten konkurrieren zu können.
Das kleinteilige Netz an Nahversorgungsangeboten wird also durch die Standortpräferenzen des Einzelhandels ausgedünnt, und die wohnortnahe Versorgung wird gefährdet. Dies trifft besonders die weniger mobile Bevölkerung, darunter vor allem finanziell schwache Bevölkerungsgruppen und ältere Menschen. Zwar wird gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (s. Beitrag Reiche) und der wohnortnahen Versorgungswünsche älterer Menschen eine Rückkehr kleiner Nahversorgungsläden prognostiziert, jedoch müssen diese auch dauerhaft wirtschaftlich betrieben werden können.
Nahversorgungsmodelle sollten auf Basis der zuvor beschriebenen Ausgangslage versuchen, besonders kleinere Versorgungsstandorte zu stärken. Dazu gibt es eine Bandbreite verschiedenster bereits existierender Modelle, die von Nahversorgungsläden über Wochenmärkte (s. Beitrag Kusch) bis zu Zentrenumbau und Steuerungskonzepten reicht.
Auch an Standorten, die für Supermärkte oder Discounter nicht mehr attraktiv sind, gibt es erfolgreiche Modelle zur Sicherung der Nahversorgung. Allerdings muss beachtet werden, dass die verschiedenen Konzepte nicht auf alle Standorte übertragbar sind. Nahversorgungsläden sollten sich beispielsweise nach den Kunden vor Ort und der lokalen Situation richten. Des Weiteren sind Integration von Dienstleistungen, das Angebot von regionalen Produkten und Frischware sowie eine starke Serviceorientierung häufig wichtiger Bestandteil für ein erfolgreiches Konzept.
Im Folgenden werden Beispiele aus Westfalen für verschiedene erfolgreiche Konzepte vorgestellt:
Kleinflächenkonzepte – Dortmund-Löttringhausen und Bielefeld
Neben den von Großhandelsseite entwickelten Betriebsformen, wie etwa "IK – Ihr Kaufmann" oder "Um’s Eck", die teilweise bundesweit mit dreistelligen Zahlen von Verkaufsstellen vertreten sind, bieten manchmal auch Wohnungsunternehmen Handlungsoptionen zur Ansiedlung von Nahversorgungsanbietern, um die Standortqualität in ihren Wohnanlagen zu verbessern.
Ein Beispiel hierfür ist das Quartiersversorgungszentrum Löttringhausen in Dortmund (Abb. 1).
Ein anderes Beispiel ist die BGW, eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft aus Bielefeld. Sie bewirtschaftet 12.000 Wohnungen in der Stadt und hat bei ihrer regelmäßigen Kundenbefragung erfahren, dass die Nahversorgung, vor allem die Dinge des täglichen Bedarfs, besonders wichtig für die Mieter ist.
Die BGW versucht mit weiteren Kooperationspartnern die ausreichende Nahversorgung der Mieter zu gewährleisten, indem sie die Betreibermodelle von Nahversorgungseinrichtungen durch günstige Mieten unterstützt. Durch die gute Nahversorgung verbessert sich auch die Wohnqualität der Kunden, und diese ziehen nicht so schnell weg. Dies spart wiederum die Kosten für die BGW, die bei einem Umzug entstehen.
Flächenmobilisierung im Bestand – Unna-Königsborn
Viele Stadtteilzentren besitzen häufig nur ein begrenztes Entwicklungspotenzial mit dichter Baustruktur, veralteten Ladenzuschnitten und schlechter Pkw-Erreichbarkeit. Dabei sind in der Regel auch Neuansiedlungen von großflächigen Nahversorgungsbetrieben in städtebaulich-integrierten, zentralen Lagen möglich, wenn vorhandene Potenziale genutzt werden und Kommunen die Flächenmobilisierung im Bestand aktiv begleiten. Ein Beispiel hierfür findet sich im Stadtteil Königsborn in Unna, wo der Marktplatz das ursprüngliche Stadtteilzentrum mit einer Lage abseits der Hauptverkehrsachse und nur geringen Geschäftsgrößen bildete. Durch die Mobilisierung der Fläche eines benachbarten Sportplatzes entstanden zwei neue Lebensmittelmärkte, ein Edeka und ein Lidl, die eine funktionale Verbindung zu den bestehenden Versorgungsangeboten entlang der Durchgangsstraße bilden (Abb. 3).
Schutz durch Konzeption – Einzelhandels- und Nahversorgungskonzepte in Münster
Einzelhandels- und Nahversorgungskonzepte dienen der Steuerung des Einzelhandels und können somit Nahversorgungseinrichtungen an integrierten Standorten schützen. Durch eine Ausrichtung der Einzelhandelsentwicklung auf städtebaulich-integrierte Zentren mit Hilfe von Einzelhandelskonzepten wird die Nahversorgung dort gesichert, da die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels durch die rechtliche Verbindlichkeit der Konzepte außerhalb gewachsener Zentren eingedämmt wird.
Das Einzelhandels- und Zentrenkonzept der Stadt Münster hat beispielsweise neben den drei in §24a Landesentwicklungsprogramm NRW vorgegebenen zentralen Versorgungsbereichen "Innenstadt", "Stadtbereichszentrum" und "Grundversorgungszentrum" noch einen vierten Bereich definiert, die "Nahbereichszentren" mit Geschäftslagen der Nahversorgung des umliegenden Siedlungsbereichs. Diese Nahbereichszentren gehen in ihrer Versorgungsfunktion nicht über den umliegenden Siedlungsbereich hinaus, womit sie nicht durch §24a abgedeckt, aber trotzdem durch die kommunale Selbstverpflichtung zum Erhalt der in diesen Räumen befindlichen Einrichtungen und deren Funktion als wichtige Standorte der Nahversorgung geschützt sind. Somit sind sie von öffentlichem Belang, und diese Belange sind von der Bauleitplanung beim Aufstellen von Bebauungsplänen zu berücksichtigen.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Beckmann, R. (2007): Entwicklung der Nahversorgung im städtischen Umfeld. In: ILS NRW Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Nahversorgung im Quartier. Dortmund/Essen, S. 8–19 (www.ils-forschung.de/down/nahversorgung_quartier.pdf) | |
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Eichholz-Klein, S. (1995): Der Strukturwandel des Lebensmitteleinzelhandels – Das Beispiel Nordrhein-Westfalens. In: Halver, W. und C. Bauerschmitz (Hg.): Wirtschaftsgeographische Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen. Köln, |
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• | ILS NRW Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2002): Einzelhandel – stadt- und regionalverträglich. Diskussionsforum zur Weiterentwicklung der Landesplanung in NRW. Dortmund (www.ils-forschung.de/down/einzelhandel-landespln.pdf) | |
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ILS NRW Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2007): Nahversorgung im Quartier. Dortmund/Essen, S. 8–19 |
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• | Stadt Dortmund, Stadtplanungsamt (Hg.) (2007): Masterplan Einzelhandel – Schlussbericht. Dortmund | |
• | Stadt Münster, Amt für Stadtentwicklung, Stadtplanung, Verkehrsplanung (Hg.) (2008): Einzelhandels- und Zentrenkonzept Münster. Fortschreibung 2008. Münster | |
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www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Bevoelkerung/Generationswechsel |
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www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Siedlung/Wochenmarkt_Funktion |
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www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Wirtschaft/Einzelhandel |
Erstveröffentlichung 2010