Wie aus einer Kaserne der ''Sauerlandpark Hemer'' wird

01.01.2011 Rudolf Grothues

Vom 17. April bis zum 24. Oktober 2010 fand in Hemer die 15. NRW-Landesgartenschau statt. Auf dem ehemaligen Areal der Blücher-Kaserne (Abb. 1) besuchten unter dem offiziellen Motto "Zauber der Verwandlung" genau 1.050.326 Besucher die erste Landesgartenschau (LGS) im Sauerland. An 191 Öffnungstagen wurden knapp 2.900 Veranstaltungen durchgeführt. Über 2.000 ehrenamtliche Helfer aus Hemer und Umgebung haben sich beteiligt. Und auch zukünftig wird die Stadt Hemer sowohl vom Imagegewinn als auch vom neuen "Sauerlandpark Hemer" profitieren können. Der Name wurde im Dezemer 2010 in einer geheimen Ratsabstimmung festgelegt, nachdem eine Jury aus insgesamt über 1.000 Namensvorschlägen eine Auswahl getroffen hatte. Schon ab April 2011 wird der Sauerlandpark nach erheblichen Umbauten wieder für Besucher geöffnet. Das Gelände wird zukünftig als Parklandschaft auch für kleine und große Events zur Verfügung stehen.

Der besucherstärkste Tag der Landesgartenschau war der 3. Oktober 2010 mit mehr als 20.000 Gästen; an 26 von 28 Gartenschau-Wochenenden zählten die Organisatoren immerhin mehr als 10.000 Besucher.

Abb. 1: Luftbild des LGS-Geländes in Hemer (Foto: LGS Hemer/Tölle)

Themengärten präsentierten zahlreiche Gestaltungsvarianten, vom asiatischen Bambuswald bis zur Wellnessoase mit Außensauna: naturnah oder architektonisch anspruchsvoll, mediterrane Teichlandschaften oder Wasserläufe aus Edelstahl. Diese Angebote werden auch zukünftig einen wichtigen Bestandteil des Parks darstellen. Weit sichtbar war und ist der 23 m hohe Jübergturm (Abb. 2), eine der Hauptattraktionen der LGS. Nach 125 Treppenstufen erreicht man die Aussichtsplattform, auf dann 278 m ü. NN. Der Turm wurde nach dem Prinzip der hyperbolischen Gitterschalen des russischen Ingenieurs Schuchow gebaut, der auf diese Art schon vor 110 Jahren zahlreiche Wassertürme und Strommas­ten errichten ließ, allerdings aus Stahl, während der Jübergturm aus Holz gefertigt wurde. Das Felsenmeer (s. u.) und insbesondere die Sage um seine Entstehung standen Pate bei der Entwicklung eines neuartigen Spielplatzes unter dem Namen "Wald­spiel­platz Zwergengold". Zentrum ist der sieben Meter hohe Förderturm, den man u.a. über einen begehbaren Drachenkopf be­steigen kann. Zipfelmützendächer, ge­schwun­gene Tunnel, Schaukelnester, Klet­terpfade und Baumbrücken bieten spannende Bewegungsan­reize und regen die Phantasie der Kinder an. Für die älteren Besucher bietet der "Garten der Bewegung" zahlreiche Möglichkeiten zum Training. Die Idee eines Outdoor-Fitness-Platzes kommt aus China langsam auch in einige deutsche Städte. Ein Ort für die ganze Familie ist der Wasserspielplatz, auf dem man mit Muskelkraft und Geschicklichkeit zahlreiche Mühlräder, Wasserpumpen und Spritzen in Bewegung bringen kann. Im "Park der Sinne" erwarten die Besucher neun Heckenkabinette, die zu einer Entde­ckungsreise einladen. An die industrielle Entwicklung Hemers erinnern soll der "Garten der Lüfte", der in Zusammenarbeit mit dem ansässigen Unternehmen Sundwiger Messingwerke entstanden ist. Wie an einem überdimensionalen Schlagzeug kann man mit Klöppeln die unterschiedlich gestimmten Rohlinge anschlagen. Der Hans-Prinzhorn-Irrgarten, der vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) gesponsert ist, besteht aus 2.070 etwa 1,80 m hohen Hainbuchen, die auf knapp 2.000 m2 aneinandergereiht sind und eine Weglänge von 650 m ergeben, wobei der kürzeste Weg bis zur Mitte 180 m misst, falls man sich in diesem Irrgarten nach Art der klassischen Renaissance nicht verläuft (Abb. 3). Er ist einer der größten Irrgärten in NRW und wird zukünftig von der LWL-Klinik in Hemer gärtnerisch be­treut.

Abb. 2: Der Jübergturm auf der LGS in Hemer (Foto: R. Grothues)

Neben zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen brachte das Illuminations-Spektakel "Lichtgarten" im September/Oktober einen großen Erfolg: durchschnittlich 3.000 abendliche Besucher, die mit Leuchten, Lichtspielen und Projektionen die Anlage in einem ganz anderen Licht erleben konnten. Dieses Highlight ist auch schon für 2011 im neuen Sauerlandpark gebucht.

Die Geschichte des Standortes als Kaserne wird im neuen Bundeswehr-Traditionsraum dokumentiert. Als Teil des Hemeraner Stadtarchives, welches hier seinen neuen Standort fand, erinnert er an die Zeit von 1956 bis 2007, als hier die Bundeswehr mit bis zu rd. 1.500 Soldaten und ca. 100 Zivilbeschäftigten stationiert war. 1939 wurde die noch nicht fertiggestellte Kaserne zum größten Kriegsgefangenenlager auf deutschem Reichsgebiet. In dem Stalag VI A wurden bis zu 106.000 Gefangene (zu­meist aus Russland) zeitgleich verwaltet, vor allem eingesetzt in der Montanin­dus­trie des Ruhrgebietes und des Sauerlandes. Bis zum Kriegsende verloren unzählige Menschen unter verheerenden Haftbedingungen und bei Fluchtversuchen ihr Leben. An diese – auch für Hemer – schlimme Zeit erinnert die Stalag-Gedenkstätte auf dem Parkgelände. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Lager bis 1955 als Kaserne von belgischen Besatzungstruppen, später teilweise auch von Kanadiern und Briten genutzt. Für deren Familien entstanden weitläufige Wohnsiedlungen, auch "Klein-Kanada" genannt.

Mit der Umwandlung des ehemaligen Kasernengeländes ("Blumen statt Panzer") hat sich die Stadt die Grundlage für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Stadtentwicklung sowie weitere Entwicklungspotenziale ge­schaffen. Im Zusammenhang mit der Landesgartenschau erhielt das angrenzende Biotop Felsenmeer mit EU-Mitteln barrierefreie Zugänge für Personen mit eingeschränkter Mobilität wie Behinderte und ältere Menschen. Dadurch werden die imposanten Felsblöcke, Schluchten und Verwerfungen noch besser erschlossen. Gefördert wurden eine barrierefreie Aussichtsplattform, eine barrierefreie Brücke, ein Holzsteg, eine Naturerlebnisstation und ein Informationssystem. Die Gelder kamen aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) über den Landeswettbewerb "Ziel2.NRW" im Bereich Naturerlebnis nach Hemer.

Das Felsenmeer gehört zum devo­nischen Massenkalkgebiet und ist zum einen durch natürliche Gegebenheiten (Klüftigkeit, Verkarstung und Erosion), zum anderen aber durch menschliche Abbautätigkeiten über einige Jahrhunderte entstanden. Bis heute nicht geklärt ist die Frage, warum der Abbau von Erzen 1250 endete, obwohl die Vorkommen noch nicht erschöpft waren. Damit wurde das Felsenmeer zu einer der ersten "Industriebrachen" im Sauerland. Der Sage nach ist es nach einem Zauberspruch des Zwergenkönigs Alberich durch ein Erdbeben entstanden, nachdem der Riese Wuppert die Zwingburg der Zwerge zerstört hat. Dadurch wurden die Gold- und Silberschätze der Zwerge gerettet. Noch heute soll manchmal in mondhellen Nächten der König Alberich auf einer Klippe im Felsenmeer sitzen und angeblich auch schon einmal einem ein Goldstück freundlich zuwerfen.

Abb. 3: Der Hans-Prinzhorn-Irrgarten auf dem LGS-Gelände in Hemer (Foto: LGS Hemer/Tölle)

Nicht weit entfernt, im Ortsteil Sundwig, liegt die Heinrichshöhle. Sie wurde 1812 von Heinrich von der Becke entdeckt und befindet sich ebenfalls im Massenkalkstein. Die Tropfsteinhöhle beeindruckt durch bizarre Klüfte und Grotten, zahlreiche fossile Knochen sowie durch ein 150.000 Jahre altes, vollkommen erhaltenes Höhlenbärenskelett.

Hemer kann auf eine starke mittelständische Wirtschaft blicken, die sich teilweise seit Jahrhunderten am Markt behaupten konnte. Viele dieser Firmen sind noch inhabergeführt und drücken bei zahlreichen Gelegenheiten ihre Verbundenheit zur Felsenmeerstadt sowie zur Region aus. Schon bis zum Dreißigjährigen Krieg erlebte die Region einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, vor allem in der Verarbeitung von Eisenerzen und der Bearbeitung von Eisen. Bis heute sind über 100 Rennfeuerstellen zur Eisenverhüttung gefunden worden. Im 18. Jh. kamen auch zahlreiche Papiermühlen dazu. Um 1800 war die Fingerhutfabrik der von der Beckes die größte auf dem Kontinent und produzierte rd. 5 Mio. Fingerhüte und Nähringe. Weitere Gebrauchsprodukte waren Nadeln, Nieten oder Schusterahlen. Im Zuge der industriellen Revolution und der Einführung der Dampfmaschine schlossen kleinere Be­triebe. Mitte des 19. Jh.s ging mit der Einführung von Neusilber, einer Kupfer-Nickel-Zink-Legierung, die insbesondere für Sporen, Möbelbeschläge und Bestecke verwendet wurde, eine Gründungsphase einher. Aus einer dieser Firmen entwi­ckelte sich dann die Firma Grohe Armaturen, heute der größte Arbeitgeber am Ort.

Mit dem neuen "Sauerlandpark" erhält Hemer, welches erst 1936 die Stadtrechte erhielt, aber urkundlich als "Hademare" schon 1072 erstmals ge­nannt wurde, neben der industriellen Prägung einen weiteren Schwerpunkt im Bereich Tourismus. Auch wenn heute der Stadtrechtstitel keine direkten Vor- oder Nachteile mit sich bringt, war es für die Stadt wichtig, sich auf Augenhöhe mit anderen Städten zu befinden. Das zeigt sich beispielhaft beim "Städtenetzwerk im nördlichen Märkischen Kreis", das die Städte Balve, Iserlohn, Menden und eben Hemer im Jahr 2001 gründeten.

Ein weiterer Schritt für die Stadt ist die Ausrichtung der Regionale 2013, gemeinsam mit den Städten und Gemeinden in Südwestfalen. Für dieses alle drei Jahre stattfindende Strukturförderprogramm des Landes haben sich erstmals fünf Kreise und 59 Kommunen gemeinsam um die Ausrichtung beworben. Sie wollen die Regionale nicht nur zum Ausbau vorhandener Strukturen, sondern regelrecht zur Bildung einer neuen regionalen Identität in NRW einsetzen, und zwar der Region "Südwestfalen" (s. Beitrag Grothues). Damit knüpft die Region u.a. schon an die gute Zusammenarbeit Anfang des 20. Jh.s an: Von 1900 bis Ende 1959 wurden die Städte Iserlohn, Altena, Letmathe, Hohenlimburg und Hemer mit einer elektrisch betriebenen Straßenbahn, der Westfälischen Kleinbahnen AG, verbunden. Erst mit dem verstärkten Individualverkehr in den 1950er Jahren verlor die "Elektrische" ihre Bedeutung, und immer mehr Teilabschnitte wurden geschlossen. Die überregionale Zusammenarbeit aller ist auch für die Zukunft von großer Bedeutung.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2011