Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 2010

01.01.2010 Heinz Heineberg

Inhalt

Abb. 1: Ergebnisse der Landtagswahlen in NRW 1950–2010 (Quellen: Die Welt, 18.05.2006; http://wahlergebnisse.nrw.de/landtagswahlen/2010)

Abwahl von Schwarz-Gelb

Umfragen vor der Landtagswahl 2010 in NRW ließen eine Bestätigung der seit 2005 amtierenden Schwarz-Gelben Regierung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und seines Vize Andreas Pinkwart (FDP) immer unwahrscheinlicher werden; es wurde auch ein "Kopf-an-Kopf-Rennen" zwischen Rüttgers und der Herausforderin Hannelore Kraft, Spitzenkandidatin der SPD, vorausgesagt. Dies bestätigte sich am Wahlabend des 09.05.2010, als bereits in der ersten Hochrechnung die CDU-FDP-Koalition als abgewählt galt und zudem zwischen den beiden großen Volksparteien eine Patt-Situation deutlich wurde. Mit einem Verlust von -10,3% der Zweitstimmen gegenüber 2005, d. h. mit 34,6% der Zweitstimmen (allerdings 38,5% der Erststimmen), erlebte die CDU ein Fiasko und damit – nur fünf Jahre nach dem "triumphalen schwarzgelben Machtwechsel" (N. Tiemann 10.05.2010) – das schlechteste Wahlergebnis bei  Landtagswahlen in NRW seit 1950 (Abb. 1). Die SPD lag am ende mit nur 6.200 Stimmen weniger bzw. 34,5% der Zweitstimmen nahezu gleich auf mit der CDU (gleicher Erststimmenanteil von 38,5% und gleiche Anzahl von jeweils 67 Sitzen im Landtag, Abb. 6) und fühlte sich als "Wahlgewinner", wenngleich es auch für diese zweite große Volkspartei eines der schlechtesten Landtagswahl-ergebnisse in NRW war. Der Stimmenverlust der SPD gegenüber 2005 war jedoch mit -2,6% vergleichsweise gering (Abb. 1).

Abbn. 2–4: Landtagswahl in NRW 2010, Zweitstimmenanteile von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und "Linken" (Quelle: Information und Technik NRW 2010b)

Deutlich zugelegt haben demgegenüber einige kleinere Parteien, allen voran Bündnis 90/Die Grünen, die mit 12,1% der Zweitstimmen (10,1% Erststimmen) ihr Wahlergebnis gegenüber 2005 nahezu verdoppeln konnten und damit drittstärkste politische Kraft in NRW wurden. Die FDP verfehlte ihr selbst gestecktes Wahlziel "10% + X" mit nur 6,7% der Zweitstimmen (+0,6%; Erststimmenanteil 4,7%) klar. "Die Linken" legten mit +4,7% gegenüber 2005 (noch unter der Kurzbezeichnung PDS) erheblich zu und konnten mit 5,6% der Zweitstimmen (5,4% Erststimmen) 2010 erstmals in den Landtag einziehen. Unter den zahlreichen sonstigen Parteien mit insgesamt 6,5% der Zweitstimmen erreichte keine die 5%-Marke.

Abb. 5: Landtagswahl in NRW 2010, Mehrheiten von SPD und CDU, Zweitstimmenanteile (Quelle: Information und Technik NRW 2010b)

''Kleine Bundestagswahl''

Die Landtagswahl NRW 2010 wurde in den Medien häufig als "erster großer Stimmungstest für die im Herbst gewählte schwarz-gelbe Regierung in Berlin" (Die Welt, 10.05.2010), häufig auch als "kleine Bundestagswahl" bezeichnet (z. B. Frankfurter Allgemeine Zeitung/FAZ, 08.05.2010, Süddeutsche Zeitung, 10.05.2010), – dies nicht nur wegen der Größe des Landes und dessen Wählerschaft (rd. 13,3 Mio. Wahlberechtigte unter den knapp 18 Mio. Einw.), sondern u. a. auch wegen ihrer bundespolitischen Bedeutung. Aufgrund der Abwahl der CDU-FDP-Koalition in NRW haben Union und FDP keine Mehrheit mehr im Bundesrat. Damit wird das Regieren in Berlin schwieriger, denn es sind u. a. wichtige Wahlziele der Regierungsparteien, insbesondere der FDP, wahrscheinlich nicht mehr oder nur mit Kompromissen durchsetzbar. Die Bundesregierung mit ihrem "miserablen Start" und die aktuelle europäischen Finanzkrise (Griechenland-Finanzierung) haben den Stimmenverlust der CDU bei der Landtagswahl 2010 wohl erheblich mit beeinflusst; allerdings haben für die Abwahl der CDU-FDP-Koalition in NRW u. a. auch wohl deutliche Unzufriedenheiten der Wähler mit den häufig schwach artikulierten landespolitischen Zielen, in der letzten Phase des Wahlkampfes z. B. auch eine "Rote-Socken-Kampagne" (gegen eine mögliche Rot-Rot-Grüne Koalition) oder auch hausgemachte Probleme der CDU (Sponsoring-Affäre), eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Dies erklärt auch mit, dass der bisherige Ministerpräsident Rüttgers seinen "Amtsbonus" nur wenig nutzen konnte und die Wahlbeteiligung noch schlechter war als 2005 (59,3%, d. h. 3,7%-Punkte weniger als 2005). Von der geringen Wahlbeteiligung profitierten die kleineren Parteien.
Abb. 6: Sitzverteilung und Minderheitsregierung (umrandet) nach der Landtagswahl 2010 (Quellen: Landtag intern, 12.05.2010; Wahlentscheid im Landtag vom 14.07.2010)

Wählerstimmenverteilungen in NRW

Ähnlich der Landtagswahl 2005 erzielte die CDU ihre höchsten Stimmenanteile v. a. in den eher ländlich und mittelständisch geprägten Landesteilen außerhalb des größten Verdichtungsraumes NRWs, des Ruhrgebietes, wo die SPD – zusammen mit den ebenfalls traditionell industriell ausgerichteten Nachbarkreisen im Südosten des Reviers (z. B. im Märkischen Kreis) – stärkste Kraft wurde (Abb. 5); allerdings konnte die SPD nur in einem Wahlkreis (Unna III-Hamm II) die absolute Mehrheit erringen. Weitere Schwerpunkte der Stimmenverteilung bestehen für die SPD im nordöstlichen Westfalen (Lippe) oder etwa in Wahlkreisen von Köln und Aachen.

Die räumliche Verteilung der Wählergunst für die Grünen (Abb. 2) war stark durch relativ hohe, großenteils gewachsene Stimmenanteile in Großstädten (insbes. in Universitätsstädten wie Münster, Bielefeld, Düsseldorf, Köln, Bonn oder Aachen) gekennzeichnet. Innerhalb des Ruhrgebietes kam die FDP auf sehr geringe Quoten (Abb. 3), ihre Schwerpunkte lagen meist in rheinischen Wahlkreisen. Deutlich konnten sich jedoch "Die Linken" im Ruhrgebiet profilieren (mit dem höchsten Wählerstimmenanteil im Wahlkreis Duisburg III von 10,1%), darüber hinaus vor allem auch in den Großstädten Bielefeld, Wuppertal und Köln (Abb. 4).

Neue Minderheitsregierung unter Rot-Grün

Aufgrund des Wählerentscheids und nach zweimonatigem Ringen um eine Regierungskoalition haben sich die Spitzenkandidatinnen der SPD, Hannelore Kraft, und der Grünen, Sylvia Löhrmann, sowie ihre Parteigremien zu einer neuen Minderheitsregierung in NRW entschieden. Am 14.07.2010 wurde Hannelore Kraft im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit und deutlicher Unterstützung der "Linken" (denn 11 Abgeordnete – vermutlich dieser Partei – enthielten sich der Stimme) zur ersten Ministerpräsidentin des Landes NRW gewählt. Die Zukunft der neuen Regierung erscheint ungewiss (vorgezogene Neuwahlen?), da ihr ein Landtagssitz zur absoluten Mehrheit fehlt und somit ihre zukünftige Abhängigkeit von Zustimmungen der "Linken" bei Parlamentsentscheidungen offensichtlich ist.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010