Mortalität in Westfalen – an Krebs Gestorbene 2020

07.03.2022 Peter Wittkampf

Inhalt

Gesamtsituation und -entwicklung

Krebs! Diese Diagnose wirkt noch immer bei vielen Menschen wie ein Schock, obwohl sich in den letzten Jahren die Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten deutlich verbessert haben.

Die Sorgen erscheinen verständlich: Bei den insgesamt etwas mehr als 100.000 Menschen, die 2020 in Westfalen starben, war immerhin in 24,2% der Fälle Krebs – offiziell "bösartige Neubildungen" genannt – die Todesursache. Im Vergleich zu 2010 nahm damit die Zahl der an Krebs Gestorbenen leicht zu (+3,3%), obwohl die Einwohnerzahl von Westfalen von 2010 bis 2020 um 0,6% abnahm. 2010 entsprach dies 283 Krebstoten je 100.000 Einwohner, im Jahr 2020 waren es 294 je 100.000 Einwohner.

Eine wichtige Ursache für diesen Anstieg ist die zunehmende Lebenserwartung (s. Beitrag Wittkampf). Die Menschen wurden im Durchschnitt immer älter, und Krebserkrankungen nehmen generell in höheren Altersgruppen sehr deutlich zu. Je höher der Anteil älterer Menschen in der Gesamtbevölkerung ist, desto größer ist das Risiko, an Krebs zu erkranken und – falls eine rechtzeitige Erkennung und Behandlung nicht erfolgt, daran zu sterben.

Laut Robert Koch-Institut lag 2016 in Deutschland bei Frauen das mittlere Erkrankungsalter bei 69 Jahren, bei Männern bei 70 Jahren (RKI 2019, S. 18).

Abb. 1: An Krebs Gestorbene in den Kreisen / kreisfreien Städten Westfalens im Jahr 2020 (Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen)

Regionale Unterschiede

Die Anzahl der an Krebs Gestorbenen in den Kreisen bzw. kreisfreien Städten Westfalens hängt, vereinfacht und verallgemeinernd gesagt, im Wesentlichen von der jeweiligen Einwohnerzahl ab (Abb. 1). Hierbei gibt es jedoch Besonderheiten. So stehen beispielsweise der Ennepe-Ruhr-Kreis, der Kreis Soest und die Stadt Gelsenkirchen in Bezug auf die Einwohnerzahl auf den Plätzen 11, 15 und 18, durch die jeweils relativ hohe Anzahl an Krebstoten nehmen sie in dieser Hinsicht jedoch die Ränge 7, 11 und 14 ein. Umgekehrt steht Münster hinsichtlich der Einwohnerzahl an 12. Stelle, bei der – relativ geringen – Anzahl der an Krebs Gestorbenen aber erst auf Platz 20.

Einerseits sind für solche Besonderheiten die in manchen Kreisen bzw. kreisfreien Städten tatsächlich hohen oder niedrigen Zahlen an Krebserkrankungen ursächlich. Hierauf wird weiter unten näher eingegangen. Andererseits spielt die Altersstruktur der jeweiligen Bevölkerung eine Rolle, denn Krebs tritt verstärkt im Alter auf. In Münster etwa betrug 2019 der Anteil der Menschen im Alter von 65 oder mehr Jahren 17,3%, während es z.B. in Gelsenkirchen, trotz der dort besonders starken Zuwanderung meist jüngerer Migranten, 20,7% waren (IT.NRW Kommunalprofile 2020; s. Beitrag Wittkampf).

In diesem Zusammenhang ist auch die zahlenmäßige Entwicklung der an Krebs Gestorbenen in den einzelnen Teilregionen wichtig (Abb. 1). Die deutlichsten Zuwächse verzeichneten – von 2010 bis 2020 – die Kreise Coesfeld (+18,9%), Paderborn (+16,7%), Gütersloh (+14,4%), Borken (+12,5%) sowie die Stadt Bottrop (+12,6%). Im Münsterland, in Paderborn und im Kreis Gütersloh gab es vor allem auch in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jh.s jeweils einen sehr starken wirtschaftlichen Aufschwung, sodass viele jüngere Menschen dorthin zogen. Am Beispiel des Kreises Coesfeld lässt sich eine solche Bevölkerungsentwicklung sehr gut verdeutlichen: Dort wuchs die Einwohnerzahl von 162.980 im Jahr 1975 auf 221.001 im Jahr 2005 (Kreis Coesfeld 2021, S. 6). Seither stagniert dort die Bevölkerungszahl (ebd.). Die vielen Menschen, die im letzten Viertel des 20. Jh.s dorthin zuwanderten, sind jetzt im Rentenalter – und damit besonders anfällig für Krebserkrankungen. Dies erklärt zum großen Teil die hohe Steigerungsrate an Krebstoten in diesem Kreis und in vergleichbaren anderen Kreisen.

Wegen der unterschiedlichen Bevölkerungszahlen werden häufig nicht die jeweiligen absoluten Zahlen der an Krebs Gestorbenen genannt, sondern meist bezieht man die Zahl der Todesfälle auf je 100.000 Einwohner. Das Bild, das sich für 2020 bei dieser Verfahrensweise ergibt, zeigt ebenfalls Abbildung 1. Sofort werden auch hier signifikante regionale Unterschiede deutlich: Münster weist lediglich 210 an Krebs Gestorbene je 100.000 Einwohner auf, und auch der Kreis Paderborn steht mit 239 je 100.000 noch relativ gut da (beide Kreise mit der hellsten Flächenfarbe). Zur Klasse mit den zweitniedrigsten Werten gehören – neben einigen weiteren Teilregionen – alle Münsterlandkreise.

Negativ fallen dagegen die meis­ten Städte und Kreise des Ruhrgebietes bzw. in dessen Randzone auf: Gelsenkirchen (330 an Krebs Gestorbene je 100.000 Einw.), der Kreis Recklinghausen und der Ennepe-Ruhr-Kreis (je 337), Hagen (344) und Bottrop (365) bildeten 2020 die Klassen mit den höchsten Werten in dieser Reihe.

Mögliche Gründe für höhere Mortalitätsraten

Über die möglichen Ursachen dieser Disparitäten gibt es Vermutungen, aber auch einige Studien. Zwei dieser Studien seien hier besonders erwähnt.

Bereits 2011 hat das Robert Koch-Institut – zusammen mit dem Statistischen Bundesamt – eine Arbeit unter dem Titel "Sterblichkeit, Todesursachen und regionale Unterschiede" herausgegeben. Darin werden die damals vorliegenden Forschungsergebnisse zusammengefasst. Als mögliche Ursachen für die regionalen Unterschiede in der Sterblichkeit z.B. durch Krebs werden auf Makroebene u.a. Umweltaspekte und sozioökonomische Gegebenheiten genannt, wobei der Einfluss der Umweltfaktoren auch schon längere Zeit zurückliegen kann (S. 20–22). Im Individualbereich, also auf der Mikroebene, zählen z.B. Bildung, Einkommen, Beruf, Wohnverhältnisse, Migrationseffekte und der individuelle Lebens- und Ernährungsstil zu den Mortalitätsdeterminanten.

Den bisher jüngsten "Onkologie-Report" hat 2021 die AOK Rheinland/Hamburg vorgelegt. Auch hierin werden einerseits Umweltaspekte, z.B. Belastungen durch krebserregende Stoffe, andererseits Individualfaktoren (relativ geringes Einkommen, Ernährungsverhalten, Rauchen u.a.) als mögliche Ursachen für Krebserkrankungen genannt (S. 16). Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status leben – laut dieser Studie – weniger gesundheitsbewusst, nehmen die Früherkennungsangebote weniger wahr, und sie erkranken im Durchschnitt sieben Jahre früher an Krebs als Menschen mit höherem Sozialstatus, höherer Bildung etc. Der Unterschied betreffe, so wird dargelegt, alle Krebsarten gleichermaßen.

Betrachtet man beispielhaft die prozentualen Anteile derjenigen Krebspatienten, die wegen Bronchial- bzw. Lungenkrebs im Krankenhaus behandelt wurden, so lag laut IT.NRW diese Art der Erkrankung im Jahr 2019 in Gelsenkirchen und Hamm an zweiter Stelle der Gründe für einen Krankenhausaufenthalt, im Märkischen Kreis, in Bochum, Hagen, Herne sowie im Kreis Unna und im Ennepe-Ruhr-Kreis an vierter bis sechster Stelle. In 16 der insgesamt 27 Kreise bzw. kreisfreien Städte tauchte Lungenkrebs dagegen nicht einmal unter den jeweils ersten zehn Gründen für einen Klinikaufenthalt auf.

Dass speziell in Bottrop die Quote der Krebstoten (365 je 100.000 Einw.) besonders hoch war und ist, wurde u.a. mit der Belastung durch krebserregende Stoffe in Verbindung gebracht, ohne dass hierzu abschließende Untersuchungen vorliegen. Sensibilisiert in Bezug auf mögliche Gefahren durch Umwelteinflüsse, wurde in den Medien zuletzt über eventuell krebserregende Emissionen z.B. der Kokerei Prosper diskutiert (vgl. u.a. ruhr24.de, 13.05.2019; waz.de, 04.02.2020; bild.de, 03.03.2020; wp.de, 03.03.2020; zdf.de, 16.06.2020).

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Weiterführende Literatur/Quellen

  • AOK Rheinland/Hamburg (Hg.) (2021): Onkologie-Report 2021. Analysen zur Versorgung krebskranker Patientinnen und Patienten im Rheinland und in Hamburg. Düsseldorf (www.aok.de/pk/fileadmin/user_upload/AOK-Rheinland-Hamburg/05-Content-PDF/aok-rh-themenreport-onkologie-2021.pdf)
  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2021): Aus nordrhein-westfälischen Krankenhäusern entlassene Patientinnen und Patienten im Jahr 2019. (www.it.nrw.de)
  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2022): An bösartigen Neubildungen Gestorbene in Nordrhein-Westfalen. (www.it.nrw.de)
  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2022): Kommunalprofile 2020. (https://www.it.nrw/kommunalprofile-82197)
  • Landeskrebsregister Nordrhein-Westfalen gGmbH (Hg.) (2021): Jahresbericht Krebsgeschehen in Nordrhein-Westfalen 2018. Bochum (www.landeskrebsregister.nrw/fileadmin/user_upload/dokumente/veroeffentlichungen/JB_2018_Druck_final.pdf)
  • Robert Koch Institut (Hg.) (2019): Krebs in Deutschland für 2015/2016. Korrigierte Fassung vom 17.08.2020. Berlin (https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/kid_2019/krebs_in_deutschland_2019.pdf?__blob=publicationFile)
  • Robert Koch Institut/Statistisches Bundesamt (Hg.) (2011): Sterblichkeit, Todesursachen und regionale Unterschiede. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 52. Berlin
  • https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/ krebs_in_deutschland_node.html
  • https://www.kreis-coesfeld.de/fileadmin/Kreis_Coesfeld/downloads/01-12/Statistikportal/ 20211012_zahlenspiegel_2021_inet.pdf
  • https://www.westfalen-regional.de/de/aeltere_menschen
  • https://www.westfalen-regional.de/de/lebenserwartung

Erstveröffentlichung 2022