Die Wege ins Krankenhaus in Stadt und Land: Die nächste Klinik ist nicht immer nah!

26.08.2019 Rudolf Grothues

Inhalt

Die Situation auf Bundesebene

"Experten fordern Schließung zahlreicher Krankenhäuser"! So oder ähnlich ging es im Juli 2019 durch die Medien der Bundesrepublik Deutschland. Keine geringere Institution als die Bertelsmann-Stiftung aus Gütersloh kam in einer Studie zu diesem Ergebnis. Demnach soll von derzeit rd. 1.400 Krankenhäusern mehr als die Hälfte schließen. "Nur Kliniken mit größeren Fachabteilungen und mehr Patienten haben genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung", schreiben die Gutachter. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Bündelung von Ärzten und Pflegepersonal sowie Geräten in weniger Krankenhäusern vermeiden. Kleine Kliniken verfügten dagegen häufig nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall (s. Beitrag Wittkampf) angemessen behandeln zu können. Nur in ausreichend großen Krankenhäusern könnten Facharztstellen rund um die Uhr besetzt werden, heißt es in der Studie weiter. Auch Computertomografen und andere wichtige Geräte könnten dann in allen Kliniken bereitstehen. Zudem könne der Mangel an Pflegekräften gemindert werden. Derzeit gebe es zu wenig medizinisches Personal, um die Klinikzahl aufrechtzuerhalten.

Ärzte- und Patientenvertreter äußerten sich sehr kritisch zu diesen Ergebnissen und warfen der Stiftung vor, in erster Linie rein ökonomische Kriterien angelegt zu haben. Der Präsident der Ärztekammer Dr. Klaus Reinhardt findet es mehr als befremdlich, wenn pauschal die Schließung von rd. 800 Krankenhäusern gefordert wird: "Wer auch immer mit welchen Ideen den Krankenhaussektor verändern will, muss dem grundgesetzlichen Auftrag der Daseinsvorsorge, der Gleichheit der Lebensverhältnisse und dem Feuerwehrwehr-Prinzip der Krankenhäuser im Katastrophenfall gerecht werden."

Gesundheitsminister Jens Spahn wird mit den Worten zitiert, dass Krankenhäuser vor Ort "für viele Bürger ein Stück Heimat" seien. Gerade in gesundheitlichen Notlagen brauche es eine schnell erreichbare Versorgung. Kliniken in ländlichen Regionen würden von den Krankenkassen auch künftig unterstützt, so Spahn weiter.

Abb. 1: Krankenhäuser mit allgemeinen Fachabteilungen in Westfalen 2016 (Quelle: Krankenhausatlas 2016)

Die Krankenhaus-Versorgung in Westfalen

In Westfalen existiert grundsätzlich eine flächendeckende Versorgung mit Krankenhäusern mit allgemeinen Fachabteilungen, doch fällt schon beim ersten Blick auf die schematische Überblicksgrafik (Abb. 1) auf, dass sich die Krankenhäuser vor allem in den Ballungsräumen und den größeren Städten konzentrieren. So sind hier das Ruhrgebiet, aber auch die Solitärzentren Münster, Bielefeld und Siegen leicht auszumachen. Der ländliche Raum des Münsterlandes sowie Ost- und Südwestfalen sind im Gegenzug deutlich schlechter abgedeckt.

Abbildung 2 zeigt die zeitliche Erreichbarkeit von Krankenhäusern mit allgemeinen Fachabteilungen im Jahr 2016. Eine Fahrtstrecke von mehr als 20 Minuten bis zum nächsten Krankenhaus müssen demnach Einwohner/innen vor allem aus dem Kreis Lippe und des südlichen Kreises Paderborn hinnehmen. Auch in einigen Gebieten des Siegerlandes muss diese Fahrzeit einkalkuliert werden. Für das Gebiet zwischen Netphen und Bad Laasphe wird sogar eine Mindestanfahrt von mehr als 30 Minuten bis zum nächsten Krankenhaus mit allgemeiner Fachabteilung errechnet. Deutschlandweit gibt es nur wenige Bereiche (v.a. in Ostdeutschland), die ähnlich abseits oder noch peripherer liegen. Einige wenige nicht optimal erschlossene Gebiete gibt es jedoch auch im Münsterland, z.B. im Bereich Ostbevern und Dorsten/Reken.

Abb. 2: Zeitliche Erreichbarkeit von Krankenhäusern mit allgemeinen Fachabteilungen in Westfalen 2016 (Quelle: Krankenhausatlas 2016)

Fakt ist, dass die Krankenhäuser im ländlichen Raum oftmals kleiner sind und nicht immer den aktuellsten medizinischen Gerätebestand vorweisen können. Niemand wird aber die Frage abschließend beantworten können, ob diese vermeintlichen Defizite nicht durch die schnellere Erreichbarkeit ausgeglichen werden können?

Bedeutend für die Menschen vor Ort ist vielmehr, dass eine nahe, schnelle und gute Krankenversorgung ein Gefühl der Sicherheit mit sich bringt. Angesichts des bestehenden Ärztemangels im ländlichen Raum sind die Krankenhäuser wichtige Notfalleinrichtungen und Daseinsgrundversorger. Wenn diese zuguns­ten zentraler Standorte wegfallen, entsteht bei den Menschen ein Gefühl der Benachteilung. Das gesellschaftliche Leben nimmt Schaden. Arbeitsplätze gehen verloren. Helfende Vereine und Patientenbetreuer verlieren ihre Grundlage.

Abbildung 2 zeigt, dass schon heute viele Bewohner/innen Westfalens einen (zu) langen Anfahrtsweg zu einem Allgemeinkrankenhaus haben. Eine Reduzierung der Standorte um rd. die Hälfte würde diese Erreichbarkeit dramatisch verschlechtern und den Menschen das Gefühl des Abgehängtseins vermitteln.

NRW-Gesundheitsminister Laumann sieht einen Teil der Lösung im Abbau von Überkapazitäten – vor allem in den Ballungsräumen. Dennoch schließt er Korrekturen auch im ländlichen Bereich nicht aus. Ihm schwebt eine stationäre und ambulante Versorgung für jeden Bürger "innerhalb von 20 bis 30 Minuten" vor (Die Glocke, 06.08.2019). Damit gäbe es zukünftig allerdings noch mehr Regionen mit längeren Anfahrtswegen. Entscheidungsgrundlage wird ein Gutachten sein, das im Herbst 2019 veröffentlicht werden soll.

Eine gute ärztliche Versorgung ist eine wichtige Daseinsvorsorge, auch – und gerade – im ländlichen Raum. Möge sich das Missverhältnis bei der Krankenhausversorgung zwischen Stadt und Land nicht weiter verschlechtern. Statt die Qualität kleinerer Einheiten zu kritisieren, sollte vielmehr das Ziel sein, die Standards in allen Häusern auf ein ordentliches Niveau anzuheben.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2019