Hochwasser und Hochwasserschutz an der Oberen Stever

01.01.2007 Manfred Nolting

Im Sommer des Jahres 2006 sind die Hochwasserschutzmaßnahmen an der Oberen Stever im Nottulner Ortsteil Appelhülsen zum Abschluss gebracht worden. Sie wurden ausgelöst durch das Ereignis des so genannten "Jahrhundertregens" vom 28.10.1998, der weite Flächen an der Oberen Stever überflutet und vor allem auch den Nottulner Ortsteil Appelhülsen unter Wasser gesetzt hatte. Die tieferen Ursachen für die erforderlich gewordenen Schutzmaßnahmen lagen in der Geländebeschaffenheit des Einzugsgebietes der Oberen Stever im südwestlichen Vorland der Baumbergeregion (s. Beitrag Göbel) und in der in den letzten Jahrzehnten erfolgten massiven Siedlungsausweitung.

Die Stever, die in Haltern in die Lippe mündet, ist der Hauptfluss im südwestlichen Sektor der Baumbergeregion. Die Quellen liegen nordöstlich des Ortes Nottuln in der Bauerschaft Uphoven am Südhang des Westerberges. Als Oberlauf  kann der Abschnitt zwischen dem Nottulner Ortsteil Stevern und der Gemeinde Senden angesehen werden. Der Brulandbach, der Salmbreitenbach, der Roggenbach, der Worthbach und der Nonnenbach stecken mit ihren Zuläufen das westliche Einzugsgebiet der Oberen Stever ab. Davon ist der Nonnenbach der bedeutendste. Er entspringt nordwestlich des Nottulner Ortskerns in der Hanloer Mark und mündet südlich des Dortmund-Ems-Kanals in der zu Senden gehörigen Bauerschaft Schölling in die Stever.

Während in den Quellbereichen von Stever und Nonnenbach am Südwesthang der Baumberge noch ein relativ starkes Geländegefälle (15-20 m/km) besteht, schwächt es sich  in der planen Fußfläche im südwestlichen Vorland der Baumberge deutlich ab (5 m/km). Die natürliche Folge sind im Flachland nur gering eingetiefte Fluss- und Bachbetten, mit der Landoberfläche fast auf gleicher Höhe oder sogar noch höher liegende Wasserspiegel und im Gelände nur schwach bis gar nicht ausgeprägte Wasserscheiden. Daraus ergibt sich, dass bei Extremniederschlag im Zuge von Stark- und/oder Dauerregen die Fließgewässer über die Ufer treten, sich mit den Nachbargewässern vereinigen und eine gemeinsame Wasseroberfläche bilden. Der Abfluss des Oberflächenwassers folgt dann einer Geländeneigung von Nordwest nach Südost, die vom Nonnenbach an der westlichen Peripherie des Stevereinzugsbietes bis hin zur Stever 1,5 m beträgt, und über jene Bäche, die über die nächste Erosionsbasis zur Stever verfügen. Ein weiteres Problem liegt im vorherrschenden Kleiboden, der sich bei lang anhaltendem Niederschlag vollsaugt und zusätzlichen Niederschlag als Oberflächenwasser abfließen lässt.

Für die alten an der Stever gelegenen Orte Appelhülsen und Senden bedeutete diese Konstellation eine latente Hochwassergefahr. Die Gefährdung verstärkte sich allerdings mit dem forcierten Siedlungsausbau nach dem Zweiten Weltkrieg (s. Beitrag Henkel), der neue Wohnsiedlungen auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stever entstehen ließ. Der mit dem Siedlungsausbau verbundene vermehrte direkte Abfluss von Regenwasser von Dächern, Straßen und anderen versiegelten Flächen über die Kanalisation in die Stever wie auch in deren Nebenbäche erhöhte zudem deren Wasservolumen und damit die Überschwemmungsgefahr. Die bis zum Beginn der 1970er Jahre an Stever und Nonnenbach bestehenden Dämme, Wehre und Umleitungsgräben wurden den gewachsenen Anforderungen nicht mehr gerecht, lag ihre Hauptfunktion doch auch darin, den verschiedenen Mühlen und Gräften Wasser zuzuführen und anliegende Wiesen zu bewässern. Deshalb kam es in Appelhülsen und Senden vor allem ab den 1950er Jahren regelmäßig zu Überschwemmungen durch Ausuferung der Stever und ihrer Nebenbäche.

Extremniederschläge und ein nachfolgendes Hochwasser Ende der 1960er Jahre, das große Teile von Appelhülsen und Senden überschwemmte und besonders in Senden hohe Schäden angerichtet hatte, gaben den schließlichen Anstoß zu grundlegenden Wasserbaumaßnahmen an der Oberen Stever, die eine Vertiefung und Verbreiterung des Flussbettes der Stever, die Anlage von Staustufen und Stauwehren und eine Erweiterung der Straßendurchlässe in Senden und Appelhülsen umfassten. Ziel war, die Aufnahmefähigkeit des Flusses zu erhöhen, den Abfluss zu regulieren und einen schnelleren Abfluss der Stever und ihrer Nebenbäche zu erreichen. In Appelhülsen waren mit der Regulierung des Brulandbaches und der Verlegung seiner Einmündung in die Stever nördlich der L551 (damaligen B 51) schon vorher Wasserbaumaßnahmen erfolgt. Sie zielten auf eine Entschärfung der Stausituation vor dem Bahndurchlass und auf eine geschlossene Neubaufläche im Pastorskamp südlich der L 551. Im Zuge des weiteren Ortsausbaus und der Ortserweiterung und des Baus der A 43 erfolgten die des Salmbreitenbaches, die Schaffung von Regenrückhaltebecken im Einzugsgebiet des Brulandbaches und die Vertiefung und Neuanlage von Entwässerungsgräben nördlich und südlich der Autobahn.
Abb. 1: Fließgewässer in Appelhülsen nach den Wasserbaumaßnahmen (Entwurf: M. Nolting, Quelle: TK 25, LVA NRW)

Die Maßnahmen bewirkten insgesamt, dass die sonst regelmäßig bei länger anhaltendem Niederschlag und Starkregen auftretenden Überschwemmungen für fast 20 Jahre ein Ende fanden. Trotzdem blieb für den Ort Appelhülsen mit dem Bahndurchlass und dem Salmbreitenbach potentiell eine kritische Lage bestehen.

Am 28.10.1998 kam es zu einem von Nordwesten heranziehenden Unwetter mit stundenlangem Starkregen, der durch die Stauwirkung an der West- und Südflanke der Baumberge noch verstärkt wurde und auf einen Boden traf, der sich von den vorangegangenen wochenlangen Niederschlägen vollgesogen hatte. In der Folge traten die Stever und ihre Zuflüsse über die Ufer und verbanden sich mit dem Oberflächenwasser zu einer gemeinsamen Wasserfläche. Im Ortsteil Appelhülsen wurde die Situation zusätzlich verschärft durch die Stauwirkung von Straßen- und Bahndurchlass sowie durch die Einmündung von Salmbreiten- und Brulandbach. Die Stever uferte südlich des Autobahndurchlasses nach rechts aus, vereinigte sich mit dem Brulandbach, überquerte die L 551 und sammelte sich in der Senke des ehemaligen Laufs des Brulandbaches. Unter Wasser gesetzt wurden dabei nicht nur die Straßenverbindung nach Münster, sondern auch große Teile des gerade im Ausbau befindlichen Ortsteils Steveraue und der gesamte Pastorskamp, beides Ortsteile (Abb. 1), die in nur geringem Abstand zur Stever angelegt waren. Ebenso betroffen waren die Ansiedlungen entlang des Salmbreitenbaches mit dem Schulgelände und der Bahnhofstraße, die ebenfalls zeitweise unpassierbar war.

Die Gemeinde Nottuln nahm das Ereignis nicht als einmaliges, so genanntes "Jahrhundertereignis" hin, sondern beauftragte in Absprache mit dem Kreis Coesfeld und dem Wasserwirtschaftsverband Obere Stever eine Ingenieurfirma aus Münster, ein Gutachten zu erstellen, das die Ursachen der neuerlichen Überschwemmung im Ortsteil Appelhülsen untersuchen und Vorschläge für einen künftigen Hochwasserschutz enthalten sollte.

Die grundlegende Aussage des Gutachtens bestand darin, dass die Werte für die Wasser- bzw. Hochwassermengen, die man beim Ausbau der Stever in den 1970er Jahren angesetzt hatte, auf Grund des weiteren Siedlungsausbaus und einer Klimaänderung, die Extremniederschläge als künftig häufigere Erscheinung wahrscheinlich macht, überholt sind. Das Flussbett der Stever reicht im Bereich des Ortsteils Appelhülsen nicht aus, um solcherart Extremniederschläge, die durch den Abfluss von den versiegelten Flächen verstärkt werden, aufnehmen und abführen zu können. Als besonders kritische Punkte wurden die in Appelhülsen befindlichen Durchlässe der Stever bei der L 551 und vor allem an der Bahntrasse mit ihrer Stauwirkung ausgemacht. Hinzu kam das Übertreten des Nonnenbachhochwassers in den Salmbreitenbach, der damit den Staueffekt vor dem Bahndurchlass noch erhöhte. Da die kritische Situation wesentlich durch die spezifischen Gegebenheiten im Ortsteil Appelhülsen bedingt war, kam ein neuerlicher umfassender Ausbau der Oberen Stever nicht in Frage. Vielmehr war der Leitgedanke, mögliches Hochwasser im Einzugsbereich der Oberen Stever auf möglichst viele Bachläufe zu verteilen und es erst in zeitlich und räumlich größeren Abständen der Stever zuzuführen, um so die Situation in Appelhülsen zu entschärfen und die Stever in ihrem gesamten Oberlauf zu entlasten. Dazu wurde ein Vorschlagsbündel vorgelegt, das schließlich am Ende des folgenden Beratungs-, Beteiligungs- und Beschlussverfahrens als verbindlicher Maßnahmenkatalog verabschiedet wurde. Verfahrensbeteiligte waren neben der Gemeinde Nottuln der Kreis Coesfeld, der Wasserwirtschaftsverband Obere Stever und die Bezirksregierung Münster als Vertreterin der Landesregierung, die einen erheblichen Teil der Kosten übernahm.

Im Einzelnen wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:

Im Fall eines Extremhochwassers können Vorlandgebiete am Roggenbach überflutet und somit kurzzeitig, d. h. für den Zeitraum von wenigen Stunden, zu Rückhalteflächen werden.

Die Entscheidung der Gemeinde Nottuln zur Durchführung dieser Maßnahmen gründet in einem gemeindlichen Entwicklungskonzept, das den Ort mit seinen verschiedenen Ortsteilen als Wohn- und Gewerbeort in der Nachbarschaft zum Oberzentrum Münster attraktiv erhalten und ausgestalten will, um die Bindung der zahlreichen Neubürger in den Neubaugebieten zu festigen und Anreize für weitere Ansiedlungen zu schaffen. Bemerkenswert erscheint die Entscheidung aber auch deshalb, weil erstmalig in der Gemeinde aktive Vorsorge für eine Zukunft getroffen wurde, in der solche Extremniederschläge nicht mehr als singuläre Jahrhundertereignisse auftreten könnten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007