Regionale Obstsortenvielfalt – das Obstsortenmuseum Fliehburg in Tecklenburg

20.09.2016 Stephan Grote

Inhalt

Bereits vor über 30 Jahren wurde von der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land e.V. (ANTL) die Notwendigkeit erkannt, den Lebensraum "Obstwiese" zu schützen und alte lokale Obstsorten langfristig zu erhalten. Schon damals war vielen Naturschützern die aufkommende Sortenarmut nicht nur der Früchte in den Supermärkten, sondern auch des Sortenangebots in den Baumschulen aufgefallen. Der ehemalige Obstsortenreichtum der Streuobstwiesen schien zunehmend verloren zu gehen und mit ihm die vielen speziellen Verwendungsmöglichkeiten und genetischen Eigenschaften, die einen besonderen Wert für die Ernährung der lokalen Bevölkerung darstellen. Dieser besondere Schatz einer regionalen Biodiverstität sollte gerettet und erhalten werden (s. Beitrag Grote).

Abb. 1: Tecklenburger Zwiebelapfel (Foto: S. Grote)

Das Obstsortenmuseum Fliehburg entsteht

1992 konnte die ANTL zwei Grundstücke in Brochterbeck (Stadt Tecklenburg), die unter dem Flurnamen "Fliehburg" bekannt waren und direkt am Hermannsweg liegen, ankaufen. Die Gesamtgröße beider Flächen beträgt ca. 3,8 ha. Die vorhandenen Strukturen, wie etwa der nördlich gelegene Buchenwald, die Reste einer Heidefläche und verschiedene Feldhecken ließen den Wunsch entstehen, diese typische, kleinteilige Tecklenburger Kulturlandschaft dauerhaft zu erhalten und ferner hier eine Obstsortensammlung anzulegen.

Insgesamt wurden dafür rd. 1,5 ha Ackerland in Grünland umgewandelt, das bis 1993 mit ca. 130 Obstbäumen bepflanzt wurde. Neben der Erhaltung der Tecklenburger Lokalsorten wurde auch eine Auswahl seltener historischer Apfelsorten gepflanzt, wie z.B. der Eifeler Rambour und der Brakeler. In den Folgejahren ist die Sammlung sukzessive weitergewachsen, heute stehen hier rd. 150 Obstbäume: ca. 80 Apfelbäume, 30 Birnenbäume, 15 Pflaumen-, Zwetschen- und Mirabellenbäume sowie 15 Süß-Kirschen, ergänzt durch Walnussbäume, Echte Quitten, eine Mispel, eine Ess-Kastanie sowie einen Speierling.

Neben den ANTL-eigenen Flächen ist noch weiteres, südlich angrenzendes Grünland mit Heckenstrukturen und Kopfbäumen angepachtet und z.T. bereits mit Obstbäumen bepflanzt worden, um diese Sammlung zu erweitern.

Ein großer Teil der Apfelbäume besteht aus lokalen, regionaltypischen und z.T. einmaligen, bisher namenlosen Landsorten. Da häufig keine Namen überliefert waren, wurden diese Sorten nach ihren Ursprungsstandorten bzw. den Hausnamen der Besitzer der Bäume benannt. Eine besondere Apfelsorte tauchte im Tecklenburger Land an mehreren Standorten immer wieder auf, der Smerfenten (auch: Schmeerfänten) oder auch Osterberger Smerfenten. Diese Tecklenburger Landsorte soll eine Züchtung der Mönche des Klosters Osterberg sein. Rund um Osterberg (Ortsteil der Gemeinde Lotte) hat diese Apfelsorte früher auf jeder bäuerlichen Obstwiese gestanden. Gesichert ist diese Sorte auch in der Sortensammlung des LWL-Freilichtmuseums in Detmold.

Abb. 2: Infotafeln an der Obstwiese (Foto: S. Grote)

Projekt "Obstarche" – die Suche nach unbekannten Obstsorten

Um den zunehmenden und endgültigen Verlust des regionalen Sortenreichtums zu stoppen, wurde im Jahr 2014 das von der ANTL e.V. durchgeführte LEADER-Projekt "Obstarche" gestartet. Finanziert wurde das Projekt durch die Naturschutzstiftung Kreis Steinfurt und aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER).

In einem ersten Schritt wurde nach Veröffentlichung der Projektidee in den örtlichen Medien auf die Mitarbeit der Bevölkerung gesetzt. Es wurde dazu aufgerufen, besonders alte Obstbaumbestände zu melden. Diese Standorte (ca. 120) wurden alle aufgesucht und bewertet. Fachkräfte kartierten nicht nur bäuerliche Streuobstwiesen, sondern auch Einzelbäume in Privatgärten. So konnte eine erste, wenn auch nicht flächendeckende Bestandsaufnahme und Bewertung der Obstbestände im Tecklenburger Land vorgenommen werden.

Abb. 3: Die Bewohner des "Nützlingsturms" halten Obstbaumschädlinge fern (Foto: S. Grote)

Nach einer Einschätzung des Sortenpotenzials der Standorte (Hauptkriterium war das Baumalter) war der zweite Schritt, mit Hilfe eines Pomologen die vielversprechendsten Standorte (ca. 60) während der Reife der Apfel- und Birnenbäume nochmals zu besuchen. Ziel dabei war es, einen allgemeinen Überblick über die Sortenvielfalt zu bekommen und möglichst viele in der Literatur noch unbekannte, lokale Sorten ausfindig zu machen.

Insgesamt konnte der Pomologe über 20 für ihn nicht bestimmbare Sorten finden. Anschließend wurden 17 Apfel- und drei Birnenbäume ausgewählt, von denen Reiser geschnitten und zur Erhaltungsveredelung an eine örtliche Baumschule übergeben wurden. Für drei dieser Apfelbäume konnten die Besitzer Namen nennen: Kalkapfel, Breekapfel und Tecklenburger Zwiebelapfel (Abb. 1). Alle drei konnten an mindestens zwei Standorten nachgewiesen werden. Diese alten Regionalsorten mit ihren oft besonderen Eigenschaften werden zukünftig im Sortenmuseum ein neues Zuhause finden.

Neben der Kartierung und Erhaltung regionaler Sorten war ein weiteres Projektziel, die Öffentlichkeit für den Erhalt des im Tecklenburger Land vorherrschenden Kulturlandschaftsbiotops "Obstwiese" neu zu sensibilisieren und zu begeistern. Durch die Wiedereinführung des sog. Tecklenburger Apfeltages, die Einrichtung eines dauerhaften Informationsraums zu Obstbäumen und Obstwiesen auf dem Fliehburg-Gelände sowie die Erstellung von Informationsmaterial über das Museum konnten einige Maßnahmen umgesetzt werden, die sicherlich dazu beitragen, Obstwiesen dauerhaft als schützenswerte Kulturbiotope wahrzunehmen.

Abb. 4: Beschilderung mit Baumsortentafeln (Foto: S. Grote)

Die Fliehburg heute

Im Rahmen des LEADER-Projekts "Obstarche" wurden im April 2015 an der Obstwiese verschiedene Infotafeln zu den Themen "Obstsortenmuseum Fliehburg", "Pomologie", "Obstbaumschnitt", und "Lebensraum Obstwiese" aufgestellt (Abb. 2). Zudem wurde ein sog. Nützlingsturm errichtet (Abb. 3), der beispielhaft einen Wohn- und Lebensraum für viele Insekten, Spinnen, aber auch Säugetiere, Amphibien und Reptilien bereitstellt. Viele dieser Tierarten sind Nützlinge, d.h. sie sind die natürlichen Feinde von Obstbaumschädlingen.

Einige vom Hermannsweg (s. Beitrag Gerbaulet) aus direkt sichtbare Obstbäume wurden mit Baumsortentafeln beschildert (Abb. 4). Ein Baum der Sorte Ingrid Marie wurde neu gepflanzt, um an ihm in den kommenden Jahren beispielhaft die derzeit von Experten empfohlene optimale Erziehung eines Obstbaumhochstamms auf einer Obstwiese vorzustellen.

Die Obstwiesen sind zurzeit nicht durchgehend betretbar, da die Flächen zum Naturschutzgebiet Dörenther Klippen gehören. Damit unterliegen sie dem Betretungsverbot. Regelmäßige Führungen zur Obstbaumblüte und natürlich auch spezielle Sortenführungen zur Obstreife (August bis Oktober) sind jedoch in Planung. Einmal im Frühjahr findet bereits ein Obstbaumschnittkurs vor Ort statt. Die Grünlandflächen werden zwei Mal im Jahr durch die ANTL-eigene Schafherde gepflegt.

Ausblick

Im Herbst 2016 werden zusätzlich die Tecklenburger Regionalsorten aus der Erhaltungsveredelung auf den Grünflächen gepflanzt. Die Bäume sollen dann ebenfalls mit einem Sortensteckbrief ausgestattet werden.

Um die Fliehburg mittelfristig zu einem regionalen Umweltbildungsstandort auszubauen, ist die Errichtung einer Schutzhütte (z.B. aus einer alten Feldscheune) als Informations- und Lehrraum anvisiert. Denkbar sind darüber hinaus die Anlegung eines Wegenetzes und das weitere Aufstellen von Infotafeln, z.B. zu bereits vorhandenen Elementen der regionalen Kulturlandschaft (u.a. Hecken, Kopfbäume, Heideflächen und Feldsäume). Vorstellbar sind ebenfalls regelmäßig durchgeführte Veredelungs- und Sortenbestimmungskurse vor Ort. Für eine Fortführung des Projekts "Obstarche" ist nicht zuletzt auch eine Erweiterung des Obstsortiments denkbar. In Betracht kommen hierfür vor allem unbekannte Steinobstsorten wie Kirschen, Pflaumen oder Walnüsse, um auch diese lokalen Obstsorten vor Ort zu erhalten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016