Autobahnkirchen – Ruheorte für Reisende

15.03.2016 Nicolas Hendricks

Inhalt

Abb. 1: Autobahnkirchen in Deutschland (Stand 10/2014) (Quelle: Versicherer im Raum der Kirchen o. J., S. 10–11, verändert)

Autobahnkirchen boomen

Auf den ersten Blick erscheint es paradox: In Deutschland gehen immer weniger Menschen zur Kirche, trotzdem gibt es immer mehr Gotteshäuser an Autobahnen. Im Jahr 1994 existierten lediglich zehn Einrichtungen dieser Art – bundesweit. Zwanzig Jahre später eröffnete im Oktober des Jahres 2014 die 42. Autobahnkirche der Bundesrepublik. Sechs von ihnen befinden sich in Westfalen (Abb. 1).

Die aktuell größte und meistbesuchte Autobahnkirche Deutschlands steht an der A5 in Baden-Baden. Das zwischen Karlsruhe und Freiburg gelegene Gotteshaus weist jedes Jahr zwischen 200.000 und 300.000 Besucher auf. Ein imposantes Bauwerk, eine hochfrequentierte Autobahn, eine gute Erreichbarkeit von beiden Fahrtrichtungen aus sowie viele zusätzliche Angebote am angeschlossenen Rastplatz führen zu dieser hohen Frequentierung.

Grundsätzlich mündet ein erhöhtes Maß an Mobilität innerhalb der Gesellschaft zu einem angestiegenen Verkehrsaufkommen. Weitere Gründe für den zahlenmäßig starken Anstieg von Autobahnkirchen sind eine gestiegene Aufmerksamkeit bezüglich der Thematik in den Medien und in einzelnen Fällen auch eine durch die Weihung zur Autobahnkirche geschaffene neue Legitimationsgrundlage von Kirchen, die ohne den Thementitel "Autobahnkirche" vermutlich um ihre Existenz kämpfen müssten.

Definition Autobahnkirche

Der Versicherer im Raum der Kirchen (VRK) tritt in Deutschland als Dachorganisation der angesprochenen Einrichtungen auf und organisiert bzw. moderiert die jährliche Konferenz der Autobahnkirchen, die u.a. über die Aufnahme neuer Kirchen entscheidet. Das dafür wichtigste zu erfüllende Kriterium ist die direkte Anbindung an eine Bundesautobahn. Außer dem dürfen Kirchen an derselben Autobahn nicht näher als 80 km beieinander liegen, weil diese nicht in Konkurrenz zueinander stehen sollen. Neben Mindestöffnungszeiten gelten weitere Standards, beispielsweise für die Anzahl an Parkplätzen und sanitären Anlagen.

Autobahnkirchen können katholisch, evangelisch oder konfessionslos sein. Grundsätzlich sind jedoch Besucher aller Religionen eingeladen, sich einen (religiösen) Impuls für ihre Reise ab zuholen.

Abb. 2: Die Autobahnkirche Siegerland – eine architektonische Landmarke (Foto: N. Hendricks 2014)

Typen von Autobahnkirchen

Bei der genaueren Betrachtung der einzelnen Einrichtungen lassen sich drei unterschiedliche Typen von Autobahnkirchen feststellen (Abb. 1):

  1. Gotteshäuser, meist in Form von kleineren Kapellen, die an Rasthöfen oder Parkplätzen verortet sind und somit zumeist nur von Fahrern aus einer Reiserichtung befahren werden können.
  2. Gemeindekirchen oder ehemalige Gemeindekirchen, die zum Zweck der Autobahnkirche umfunktioniert wurden. Solche Kirchen wurden ursprünglich nicht als Autobahnkirche erbaut, teilweise sind sie heute Autobahn- und Gemeindekirche zugleich.
  3. Kirchen, die direkt an einer Autobahnabfahrt verortet sind und vor ihrem Bau bereits in erster Linie zum Zweck der Reisekirche geplant und anschließend eröffnet wurden.

Verteilung in Deutschland

Bezogen auf das Verteilungsmuster von Autobahnkirchen in Deutschland ist anzunehmen, dass unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. Im eher evangelischen und bevölkerungs ärmeren Norddeutschland gibt es überproportional wenige Einrichtungen (Abb. 1). Viele Autobahnkirchen befinden sich hingegen in Nordrhein-Westfalen und Mitteldeutschland. Hier existiert neben einem dichten Netz an Bundesautobahnen und einer generell höheren Bevölkerungsdichte auch eine heterogenere Mischung aus Katholiken, Protestanten und konfessionslosen bzw. andersgläubigen Personen (EKD 2012).

Abb. 3: Die Autobahnkirche Hamm-Rhynern (Foto: N. Hendricks 2014)

Autobahnkirchen in Westfalen

In Westfalen konzentrieren sich, bezogen auf das gesamte Bundesgebiet, überproportional viele Autobahnkirchen. Besonders hervorstechen die mit einigen architektonischen Preisen ausgezeichnete Autobahnkirche Siegerland (Abb. 2) an der A45 an der Ausfahrt Wilnsdorf und die Autobahnkapelle an der A2 in Hamm. Die Autobahnkirche Hamm (Abb. 3) befindet sich auf dem Gelände der Tank- und Rastanlage Hamm/Rhynern in dem denkmalgeschützten Gebäude der ehemaligen Tankstelle in Fahrtrichtung Dortmund – kaum eine Autobahnkirche verbindet so eindrucksvoll die Autofahrt mit einem Kirchenbesuch.

Die Autobahnkirche Siegerland an der Südspitze Westfalens wurde im Mai 2013 nach zwei jähriger Bauzeit fertiggestellt und von dem renommierten Frankfurter Architekturbüro Schneider & Schumacher entworfen. Impulsgebend für die außergewöhnliche Architektur des Kirchengebäudes sollte hierbei das Piktogramm der Autobahnkirche sein. Die Abbildung auf den Straßenschildern wurde somit zum Vorbild des Kirchenneubaus genommen, welcher im Bereich der Außenwände, der Dachtragwerke und der Turmbauten komplett aus Holz errichtet wurde.

Ebenfalls an der A2 gelegen, jedoch knapp 100 km nordöstlich von Hamm-Rhynern, befindet sich die Dorfkirche Exter, welche mit ihrer Weihung zur Autobahn kirche im Jahr 1959 die bundesweit zweitälteste Einrichtung ihrer Art nach der Autobahnkirche Adelsried (Eröffnung 1958) ist.

1998 wurde mit dem Bau der A31 an der Ausfahrt Gescher/Coesfeld die Gemeindekirche St. Antonius zur Autobahnkirche zweckerweitert. Der gotische Backsteinbau aus dem 15. Jh. diente im Mittelalter als Kranken- und Seucheneinrichtung, was die über 3 km entfernte Lage zum Ortskern der Stadt Gescher erklärt.

Auch die A40 – Pulsschlagader des Ruhrgebiets – hat seit 2010 eine Autobahnkirche direkt an ihrer Seite. Unmittelbar an der Autobahnausfahrt Bochum-Hamme befindet sich die Autobahnkirche Ruhr. Das Bauwerk der Epiphanias-Kirche erinnert mit seiner Bauweise an einen Förderturm aus der Zeit des Kohleabbaus und spiegelt damit in gewisser Weise den Charakter des Ruhrgebiets wider. Im Zuge der Feierlichkeiten zur europäischen Kulturhauptstadt wurde die Kirche am 18. Juli 2010 zur Autobahnkirche geweiht.

Blick in die Zukunft

Die Entwicklung von Autobahnkirchen scheint noch lange nicht beendet. Aktuell befinden sich in Süddeutschland zwei weitere Gebäude in der Planungs- bzw. der Bauphase. Um dabei auch in Zukunft Besucher anziehen zu können, gehen die Betreiber der Autobahnkirchen innovative Wege: Die Autobahnkirche Baden-Baden hat bereits eine eigene Smartphone-Applikation. Eine umfassende, bundesweite Autobahnkirchen-App könnte bereits bei der nächsten Konferenz der Autobahnkirchen auf den Weg gebracht werden.

 

Einen ergänzenden Beitrag über Wahrnehmungs- und verhaltensgeographische Aspekte bei Nutzern von Autobahnkirchen in Westfalen finden Sie hier.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2015, Aktualisierung 2016