Westfalens Bevölkerung – eine alternde Gesellschaft
Aus gutem Grund hat die Frage nach der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung hohe Aktualität gewonnen. Abhängig ist diese Entwicklung in starkem Maße vom Altersaufbau, und zwar in erster Linie vom Verhältnis der jüngeren zur älteren Generation. Es sind langfristige Trends, die sich auf die Altersstruktur und ihre Wandlungen auswirken. Einerseits handelt es sich um das Niveau von Geburtlichkeit und Sterblichkeit, andererseits um Wanderungen. Diese Komponenten bewirken das Altersgefüge der Einwohnerschaft jedes Raumes.
Während für die Kreise Westfalens Prognosen der Bevölkerungsentwicklung erstellt sind, wird hier für die kleinräumliche Basis der Gemeinden die Frage auf die für die Zukunft entscheidenden Altersklassen konzentriert. Grundlage sind die Fortschreibungen der Einwohnerzahlen der Gemeinden. Ausgangspunkt ist das Jahr 1976, als mit dem Abschluss der kommunalen Neugliederung die heutigen Gemeinden festgelegt waren. Endpunkt ist der 31.12.2003. Zwischen beiden liegt der Zeitraum knapp einer Generation, deren Entwicklung und Veränderung erfasst werden.
Billeter-Maß
Zur Analyse wird ein Indikator, das sog. Billeter-Maß, angewandt, das die noch nicht oder nicht mehr reproduktionsfähige Bevölkerung ins Verhältnis zur reproduktionsfähigen setzt. Der Index, der sich aus der Differenz von "Kindergeneration" und "Großelterngeneration" im Verhältnis zur "Elterngeneration" (BILLETER 1954) ergibt, schwankt zwischen plus 1 und minus 1. Ein positiver Wert bedeutet jugendliche, ein negativer alternde Entwicklungstendenzen der Bevölkerung. Bei letzterem ist der Anteil der mindestens 50-Jährigen größer als der der unter 15-Jährigen. Die Gesellschaft unterliegt einem von der Größe des Negativ-Index abhängigen Alterungsprozess. Dabei macht der Index keine Angaben über die zu erwartenden Bevölkerungszahlen, zeigt aber die Tendenz der künftigen Entwicklung.
Demographische Alterung 1976
1976 befindet sich die Bevölkerung Westfalens mit einem Index von minus 0,17 insgesamt in einem Alterungsprozess, im Einzelnen sind die Werte jedoch recht unterschiedlich. Der höchste Wert liegt mit plus 0,30 in der Gemeinde Saerbeck/ST, der niedrigste mit minus 0,41 in Bad Salzuflen/LIP (Abb. 1). Gemeinden, die aufgrund ihrer positiven Maßzahl eine "junge Zukunft" haben könnten, sind recht zahlreich an der Nordwestflanke des Münsterlandes und treten vereinzelt auch weiter ostwärts auf. Ungefähr gleich groß ist der Anteil der Gemeinden (ca. 20%), deren Index um Null schwankt. Dabei überwiegt ein leicht positiver Wert im Münsterland und in den Paderborner Bereich hinein, während die sauerländischen Gemeinden mehr einen negativen Trend aufweisen. Allerdings hat mehr als die Hälfte der Gemeinden 1976 bereits die Struktur der künftig alternden Bevölkerung. Dies betrifft in erster Linie die Städte des Ruhrgebietes (z.B. Herne minus 0,32), aber auch die Gemeinden des Ennepe-Ruhr-Kreises und des Märkischen Kreises. Ähnlich negative Werte herrschen in Lippe und in Minden-Ravensberg vor. Mitte der 1970er Jahre ist somit die künftige Entwicklung erkennbar; in einem kleinen Teil Westfalens ist Verjüngung möglich, andere Bereiche deuten auf künftige Alterung hin, während im überwiegenden Teil diese Alterung bereits klar vorgezeichnet ist.
Verstärkung der Alterung 2003
30 Jahre später hat dieser Alterungsprozess ganz Westfalen erfasst (Abb. 2). Es gibt keine Gemeinde mehr mit einer positiven Tendenz. Der Durchschnittswert liegt bei minus 0,41; die Extremwerte sind minus 0,05 (Augustdorf/LIP, Hopsten/ST) und minus 0,73 (Bad Sassendorf/SO). Die Alterung hat sich in jenen Räumen verstärkt, in denen sie bereits 30 Jahre zuvor offensichtlich war. Starken Einbruch haben auch die Gemeinden des Sauerlandes erfahren, die 1976 noch weitgehend in einer "verharrenden" Situation waren. Demgegenüber heben sich das Münsterland und der Westen des Paderborner Raumes durch bessere Werte ab, die allerdings ebenfalls im Negativen liegen. 2003 ist Westfalen eine alternd in die Zukunft gehende Gesellschaft.
Mit dem Ausklingen des demographischen Übergangs haben Geburten- und Sterbeziffern bereits ein niedriges Niveau erreicht. Ein erneuter Fruchtbarkeitsrückgang, der sog. zweite demographische Übergang, beginnt Mitte der 1960er Jahre und setzt sich in den folgenden zehn Jahren stark durch. Die Gründe für diesen weiteren Geburtenrückgang sind vielfältig. Sie hängen weniger mit gesellschaftlichem oder ökologischem Wandel zusammen als vielmehr mit Veränderungen im persönlichen Bereich. Eine betont individuelle Lebensgestaltung ist mit einer tiefgreifenden Umstellung im generativen Verhalten verknüpft. Die Geburtenziffern fallen auf einen Wert, der eine langfristig stabile Bevölkerungsentwicklung nicht mehr sichert. Demgegenüber wächst der Anteil der älteren Generation als Ergebnis einer allgemein steigenden Lebenserwartung (s. Beitrag Wittkampf) und als Folge des Rückgangs der Jüngeren.
Die Tendenz der Alterung zeigt sich bereits 1976, beschränkt sich aber mehr auf städtische, verstädterte und industrielle Räume, in denen sich die neuen Lebensbilder zuerst durchgesetzt haben. Dazu gehört auch der Wunsch nach "Wohnen im Grünen", was einen Auszug zumeist jüngerer Leute aus den Verdichtungsräumen in die Randgemeinden bedeutete. In den Ruhrgebietsstädten wird eine negative Bevölkerungsentwicklung zusätzlich durch die wirtschaftliche Entwicklung verstärkt. 30 Jahre später ist der Gegensatz zwischen städtischem und ländlichem Raum weitestgehend ausgeglichen. Allerdings nehmen Gemeinden im nordwestlichen Münsterland und im westlichen Paderborner Raum immer noch eine besondere Stellung ein. Gründe mögen in einem stärker traditionell bedingten Verhalten der Bevölkerung, aber wohl auch in einer stärkeren Zuwanderung junger Menschen zu suchen sein.
In sämtlichen Gemeinden Westfalens ist die Bevölkerung innerhalb von 30 Jahren gealtert, und sie wird als Folge der gegenwärtigen Struktur weiter altern.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Hg.) (2006): Die demographische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen? Daten, Fakten, Analysen. München | |
• | Billeter, E. P. (1954): Eine Maßzahl zur Beurteilung der Altersverteilung einer Bevölkerung. In: Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 90. Jg. Bern, S. 496-505 | |
• | Danielzyk, R. und B. Mielke (2006): Strukturwandel in den ländlichen Gebieten des westlichen Münsterlandes und Ostwestfalen-Lippes. In: Geographische Rundschau, Nr. 1/2006. Braunschweig, S. 56-63 | |
• | Institut für Länderkunde Leipzig (Hg.) (2001): Nationalatlas der Bundesrepublik Deutschland. Band 4: Bevölkerung. Heidelberg/Berlin | |
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Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (LDS) (Hg.) (2005): Statistiken zur Wohnbevölkerung nach dem Alter in den Gemeinden Westfalens am 31.12.1976 und 31.12.2003. Düsseldorf |
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• | https://www.westfalen-regional.de/de/lebenserwartung |
Erstveröffentlichung 2007