Verwaltungsräume in Westfalen unter sich ändernden Bedingungen

01.01.2007 Hans Friedrich Gorki

Kategorie: Gebiet und Identität

Schlagworte: Westfalen · Verwaltung · Geschichte

Als nach den Umwälzungen der Napoleonischen Zeit die Neuordnung Europas dauerhaft Form gewonnen hatte, erließ 1815 Friedrich Wilhelm III. die "Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden". In dieser wurde die Gliederung Preußens in 10 Provinzen und 25 Regierungsbezirke festgesetzt. Mit drei dieser Provinzen wurde Preußens Stellung in Nordwestdeutschland kompakt ausgebaut: zwei rheinische (schon 1822 zur Rheinprovinz zusammengelegt) und Westfalen. Damit erhielt der westfälische Raum, allerdings ohne seinen an Hannover und Oldenburg gefallenen Norden, erstmals die Gestalt eines Verwaltungsgebietes. Die Regierungen der Provinz - "im Münsterland" (Münster), "im Weserland" (Minden) und "von Mark und Westfalen" (zunächst Hamm, dann Arnsberg) - nahmen 1816 bzw. 1817, als über die Zuordnung des Siegerlandes entschieden war, ihre Tätigkeit auf. Eigenstaatlich blieb bis 1947 nur das Fürstentum Lippe (seit 1918 Freistaat, 1932 in zwei Kreise gegliedert).

Bezogen auf die Territorien am Ende des 18. Jh.s war die Provinz heterogen. Nur ein Viertel ihrer Fläche war "altpreußischer" Besitz gewesen: im Bezirk Münster 9% (Grafschaft Tecklenburg und Obergrafschaft Lingen), im Bezirk Minden 41% (Grafschaft Ravensberg und Fürstentum Minden), im Bezirk Arnsberg 33% (Grafschaft Mark). Eine Sonderstellung nahm der Bezirk Münster auch insofern ein, als das ehemalige Oberstift Münster 81% seiner Fläche ausmachte, hier also seit alters ein verhältnismäßig großes Territorium bestanden hatte.

Es kam nun darauf an, eine einheitliche Verwaltungsgliederung zu schaffen. Nach der genannten Verordnung sollte jeder Bezirk in Kreise eingeteilt werden. Dafür gaben die Ausführungsbestimmungen kaum zu vereinbarende Richtlinien: Größenordnung (20.000 bis 36.000 Einw.), Beibehaltung älterer Einteilung bzw. Rücksichtname auf diese, Erreichbarkeit des Kreisortes an einem Tage, Berücksichtigung natürlicher Beschaffenheit und wirtschaftlicher Zusammenhänge. Mit der Ausarbeitung wurde in jedem Regierungsbezirk ein sog. Organisationskommissar betraut. Für Münster zog der Oberpräsident Frhr. v. Vincke diese Aufgabe an sich, und zwar mit bestem Erfolg; denn seine Kreisgliederung erwies sich als stabil. Demgegenüber kam es im Bezirk Arnsberg schon 1819 zu Umgliederungen, und im Bezirk Minden war die Bildung der Kreise erst 1832 abgeschlossen.
Tab. 1: Bevölkerungsentwicklung 1818-1925 im westfälischen Ruhrgebiet und in Westfalen gesamt (Quelle: Volkszählungsstatistiken)

Von vornherein besaß Münster (15.000 Einw.) den Rang einer "Immediatstadt" (kreisfreien Stadt), während die Festungsstadt Minden diesen Status nur vorübergehend innehatte. Die Kreisfreiheit einer Stadt sollte Ausnahme sein, begründet "durch  ...  die Beträchtlichkeit und Wohlhabenheit einer mit Handel und Fabrikation beschäftigten Bevölkerung oder durch den Besitz solcher für den ganzen Staat wichtigen Anstalten". Erst im letzten Viertel des 19. Jh.s wurde mit dem starken Bevölkerungswachstum des Ruhrgebiets und weiterer gewerbereicher Städte das Problem der Auskreisung von Städten und der Teilung von Kreisen aktuell.

Der erste Schub betraf die Kreise Bochum, Dortmund und Hagen. 1875 wurde Dortmund (58.000 Einw.) kreisfrei, 1876 Bochum (29.000 Einw.), und 1887 folgte Hagen (30.000 Einw.). 1885 bis 1887 erfolgten die Kreisteilungen: Bochum in Bochum, Hattingen und Gelsenkirchen, Dortmund in Dortmund und Hörde, Hagen in Hagen und Schwelm. In Ostwestfalen erlangte Bielefeld (30.000 Einw.) 1878 die Kreisfreiheit. Nach Erreichen einer bestimmten Einwohnerzahl konnte in Preußen eine Stadt aus dem Kreisverband ausscheiden, ohne dass es eines Gesetzes bedurfte. Für Westfalen hatte die Kreisordnung von 1887 den Schwellenwert auf 30.000 festgelegt. Dieser konnte auch durch Eingemeindung von Nachbargemeinden mit zumeist vergleichbarer Bevölkerungsentwicklung erreicht werden. Die kreisfrei gewordenen Städte strebten weitere Vergrößerung durch Eingemeindungen an.

Tab. 2: Die kreisfreien Städte in Westfalen 1871-2000 (Quelle: Volkszählungsstatistiken)
Die Entwicklung beschleunigte sich. Während in den 12 Jahren von 1875 bis 1887 in Westfalen vier Städte die Kreisfreiheit erlangten, waren es in den 27 Jahren von 1896 bis 1923 fünfzehn, darunter vier Gemeinden der Emscherzone, die erst kurz zuvor zur Stadt erhoben worden waren: Buer, Bottrop, Gladbeck und Osterfeld. Im Ruhrgebiet führte das dazu, dass die Fläche der Kreise ständig schrumpfte und der Restkreis Bochum 1925 aus vier zusammenhanglosen Teilstücken bestand.

Von 1926 bis 1929 wurde auf gesetzlichem Wege die kommunale Neuordnung des Ruhrgebiets durchgeführt. Von Bottrop im Westen bis Dortmund im Osten und von Recklinghausen im Norden bis Hagen im Süden gab es nun nur noch 13 kreisfreie Städte. Zu diesen gehörten jetzt auch Wanne-Eickel, Wattenscheid, Castrop-Rauxel und Lünen, während Buer und Hörde in Gelsenkirchen bzw. Dortmund aufgingen und Osterfeld (in Tab. 2 für 1925 enthalten) dem rheinländischen Oberhausen zugeschlagen wurde. Im Norden war der Kreis Recklinghausen auf Kosten des Kreises Coesfeld gestärkt und im Süden aus dem Kreise Schwelm und den Restkreisen Hattingen und Hagen der Ennepe-Ruhr-Kreis geschaffen worden.
Abb. 1: Kreisstädte und kreisfreie Städte in Westfalen jetzt und einst (Entwurf: H. F. Gorki, Quelle: S. Reekers 1977)

Diese Gliederung des Reviers hatte Bestand, bis allgemein stark veränderte Bedingungen in den 1960er Jahren Anlass zu einer Neugliederung auf allen Stufen der Verwaltung gaben. Soweit die Ebene der Kreise betroffen war, führte die sog. Maßstabsvergrößerung aufgrund der beiden Neugliederungsprogramme des Landes Nordrhein-Westfalen zwischen 1967 und 1975 dazu, dass es in Westfalen statt 34 nur noch 18 Kreise  und statt 20 noch 9 kreisfreie Städte gibt. Die Übereinstimmung aller nach einer Stadt benannten Kreisnamen mit dem Sitz der Kreisverwaltung war 1997 durch die Fertigstellung des Kreishauses Gütersloh erreicht.

Der Agrargesellschaft mit ihren vorwiegend kleinräumlichen Lebenszusammenhängen hatte die Ordnungsverwaltung mit verhältnismäßig geringem Personal entsprochen. In anderthalb Jahrhunderten führten Industrialisierung, Bevölkerungszunahme und Technisierung zur postindustriellen Gesellschaft mit weiträumigen Aktionsfeldern und der ihr gemäßen personell stark besetzten Vorsorge- und Leistungsverwaltung. Das drückt sich auch in der administrativen Gliederung Westfalens aus:

1819: 36 Kreise von 866 bis 187 km2 (Münster, Herford) und von 43.000 bis 16.000 Einw. (Minden, Wittgenstein) sowie eine kreisfreie Stadt.

1933: 34 Kreise von 811 bis 227 km2 (Tecklenburg, Bielefeld) und von 188.000 bis 29.000 Einw. (Recklinghausen, Wittgenstein) sowie 21 kreisfreie Städte von 272 bis 10 km2 (Dortmund, Lüdenscheid) und von 541.000 bis 33.000 Einw. (Dortmund, Siegen).

1987: 18 Kreise von 1956 bis 406 km2 (Hochsauerland, Ennepe-Ruhr) und von 631.000 bis 125.000 Einw. (Recklinghausen, Olpe) sowie neun kreisfreie Städte von 302 bis 51 km2 (Münster, Herne) und von 584.000 bis 115.000 Einw. (Dortmund, Bottrop).

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007