Wasserführende Stollen im südlichen Ruhrgebiet

30.10.2020 Peter Goerke-Mallet

Kategorie: Wirtschaft

Schlagworte: Bergbau · Geologie · Hydrogeologie · Unterwelten · Ruhrgebiet · Bergsenkung

weiterer Autor: Tobias Rudolph

Inhalt

Abb. 1: Im südlichen Ruhrgebiet existieren über 100 bekannte wasser­führende Stollen (Quellen: Arbeiten des Forschungszentrums Nachbergbau)

Wichtige infrastrukturelle Elemente im Bergbau

In vorindustrieller Zeit, als es noch keine leistungsfähigen Pumpen gab, hatten sog. Wasserlösestollen die Aufgabe, höher gelegene Bergwerke, u.a. im Ruhrgebiet, im Sauer- und Siegerland sowie im Ibbenbürener Revier, zu entwässern. Der in einem Bergbaugebiet jeweils am tiefsten gelegene Stollen führte meist nicht nur das Wasser des zu ihm gehörenden Bergwerkes ab, sondern "erbte" auch die Wässer höher gelegener Bergwerke. Eine geläufige Bezeichnung ist daher auch "Erbstollen". Diese bergbauliche Infrastruktur ist bis heute ein wesentliches Element des hydraulischen und hydrologischen Systems in verschiedenen Regionen von Nordrhein-Westfalen (Abb. 1).

Wasserführende Stollen sorgen für die Entwässerung umfangreicher Grubengebäude und Gebirgskörper und stellen in ihrer Langlebigkeit sowie Funktionalität als untertägiges Drainage- und Abflusssystem bedeutsame Elemente des Alt- und Nachbergbaus dar. Um in Zukunft die Sicherheit an der Tagesoberfläche gewährleisten zu können, ist es besonders wichtig, diese komplexen Systeme in Bergbauregionen zu erhalten. Das Wasser aus den Wasserlösestollen fließt oftmals über den sog. Stollenbach (auch: Rösche) in den nächsten Vorfluter oder wird direkt in diesen eingeleitet. Im Ruhrgebiet führen die alten Erbstollen bis heute mineralisierte Wässer mit entsprechender Lösungsfracht in die Ruhr und ihre Vorfluter ab – Sulfat und der natürliche Eisenanteil im Gestein, ausgewaschen durch den Niederschlag, färben es in charakteris­tischem Rostrot.

Abb. 2: Das Mundloch und der Ablauf (Rösche) des Franziska-Erbstollens (Fotos: T. Rudolph)

Viele wasserführende Stollen, wie z.B. der Franziska-Erbstollen und der Schlehbuscher Erbstollen, sind allein mehrere Kilometer lang (Abbn. 1 u. 2). Sie bilden mit den angehängten Grubenbauen ein großes Drainagesystem von meist unbekannter Ausdehnung. In diesen Grubengebäuden, die in der Regel nicht mehr befahren werden können, treten u.a. Verbrüche, Standwässer, veränderte hydraulische und hydrochemische Bedingungen und Wasseraustritte auf. Manchmal zeigen sich an der Tagesoberfläche die untertägigen Veränderungen der wasserführenden Stollen in Tagesbrüchen, Vernässungen und spontanen Wasserausbrüchen.

Abb. 3: Dreidimensionale Darstellung des Bergwerkes Franziska mit dem Franziska-Erbstollen (rot) (Quelle: Eigene Erhebungen)

Erforschung und Monitoring

Wasserführende Stollen sind technische Bauwerke mit langer Geschichte – und Zukunft: Meist über 200 Jahre alt, bemisst sich ihre weitere Lebensdauer mutmaßlich ebenfalls in Jahrhunderten. Auch über solch unabsehbar lange Zeiträume ist es besonders wichtig, stabile hydraulische, geotechnische und gebirgsmechanische Bedingungen in den wasserführenden Stollen zu gewährleisten. Am Forschungszentrum Nachbergbau (FZN) der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum werden diese Prozesse erstmals systematisch erforscht, um ein vertieftes Verständnis zu erlangen und ein belastbares bzw. nachhaltiges Risikomanagement zu entwickeln.

Ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der Wirkungsweise von Wasserlösestollen liegt im Geomonitoring des Gesamtsystems. Hierzu führt das interdisziplinäre Team am FZN unterschiedlichste Geodaten digital zusammen und wertet sie dreidimensional sowie hinsichtlich ihrer zeitlichen Entwicklung aus (Abb. 3).

Da jeder Wasserlösestollen ein Unikat darstellt, geht es in erster Linie darum, zu verstehen, wie das untertägige Drainagesystem funktioniert und worin seine Besonderheiten bestehen. Häufig kommt die unmittelbare Inaugenscheinnahme eines Stollens nicht über das Mundloch, den Eingang des Stollens an der Tagesoberfläche, hinaus, so dass zur Rekonstruktion des Stollenverlaufs und der zugehörigen Grubenbaue das bergmännische Risswerk (Karten, Pläne etc.) markscheiderisch ausgewertet werden muss. Das spannende an dieser Analyse ist das Eintauchen in eine längst vergangene Welt, die aber nach wie vor in Funktion ist – zumindest was die Sammlung und Ableitung von Wasser betrifft. Aus den zweidimensionalen Karten erschließt sich den Fachleuten mit Hilfe der z.T. nur spärlich vorhandenen Höheninformationen ein dreidimensionales Bild des Stollens und weiterer Grubenbaue (Abb. 3). Diese Arbeit gelingt umso besser, je mehr man sich in die Arbeits- und Handlungsweisen der Bergleute vor mehr als 200 Jahren hineindenkt.

In einem weiteren Schritt gilt es, die aktuellen bergmännischen, hydrogeologischen und hydraulischen Gegebenheiten unterhalb der Tagesoberfläche zu modellieren. Die untertägigen Hohlräume haben sich seit ihrer Herstellung im 18. oder 19. Jh. verändert, sie haben verringerte Querschnitte und sind teilweise verbrochen.

Der dritte Schritt besteht in einer detaillierten geologischen und hydrogeologischen Bewertung der Tagesoberfläche über dem Drainagesystem. Dabei werden u.a. tektonische Störungen in den Blick genommen, über die Niederschläge dem Stollen zufließen können. Interessant sind auch die Beobachtungen der Reaktion des Sys­tems auf extreme Niederschläge oder Phasen langanhaltender Trockenheit, die sich durch schnelle Veränderung der Menge der abfließenden Wässer am Mundloch zeigt.

Eine besondere Faszination liegt in der ganzheitlichen Betrachtung aller verfügbaren Informationen über den Wasserlösestollen und seine Funktionsweise mit dem wissenschaftlichen Ziel, ein umfassendes Verständnis der untertage ablaufenden Prozesse zu gewinnen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2020