Südwestfalen spielend entdecken – vom SchülerInnen-Wettbewerb zur Entwicklung von regionalem Unterrichtsmaterial

25.07.2016 Stephanie Arens

Inhalt

Der Wegzug vor allem junger Menschen durch die sog. Bildungswanderung ist eine große Herausforderung und ein zentrales Thema für die Region Südwestfalen. Die Idee ist deshalb, frühzeitig in die "Köpfe" der SchülerInnen und auch der LehrerInnen in den Schulen zu investieren. Es geht um die "positive" Entdeckung des eigenen Lebensraums und das Aufzeigen der Möglichkeit zur Mitgestaltung. Südwestfalen hält sehr viel bereit an attraktiven Freizeitmöglichkeiten, Perspektiven in der Arbeitswelt, an Lebens- und Lernorten. Es müssen aber Mitwirkungsangebote insbesondere für junge Menschen geschaffen werden, sodass sich Jugendliche mit ihrer Heimatregion vertraut machen und Zukunftsperspektiven für sich und die Region entwickeln können.

Vor diesem Hintergrund wurden in Südwestfalen bisher zwei regionsspezifische SchülerInnenwettbewerbe von einem Expertengremium aus engagierten südwestfälischen LehrerInnen, OrtsheimatpflegerInnen und Vertretern der Südwestfalen Agentur GmbH in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Arnsberg, der Initiative "Schule der Zukunft" und dem Arbeitsbereich Geographiedidaktik der Ruhr-Universität Bochum entwickelt und durchgeführt.

Mit den Wettbewerben sollten SchülerInnen (wie auch LehrerInnen) frühzeitig im Sinne einer neuen Heimatkunde und im Rahmen des Unterrichts dazu motiviert werden, sich mit ihrer Heimatregion zu befassen, Stärken und Chancen dieser Region zu entdecken und sich mit Herausforderungen auseinanderzusetzen. Die SchülerInnen sollten Ideen und Visionen entwickeln, um so Südwestfalen mitzugestalten. Orientierung im Wettbewerb gaben die Leitfragen: Was bietet dein Dorf, deine Stadt, deine Region? Untersuche deine Umgebung! Welche Probleme findest du vor? Welche positiven Ansätze sind vorhanden? Wie kann dein Lebensraum attraktiver gestaltet werden? Wie sieht deine Zukunftsvision für deine Region aus?

Ein wichtiger Bestandteil des SchülerInnenwettbewerbs war die Begleitung der LehrerInnen während des Wettbewerbs in Form einer Fortbildung, die von Prof. Dr. Karl-Heinz Otto und Dr. Leif Mönter der Abteilung Geographiedidaktik des Geographischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurde. Die Intention war, für die LehrerInnen einen Mehrwert für die Unterrichtsgestaltung durch Teilnahme am Wettbewerb zu schaffen und aufzuzeigen, dass dieser in die Kernlehrpläne der Schulen und somit in den "normalen Unterricht" eingebunden werden kann. In diesem Zusammenhang ist bereits ein umfangreiches Methodenhandbuch für LehrerInnen entstanden, das zeigt, wie Regionen heute mit SchülerInnen erkundet werden können (Otto/Mönter 2013) und welches Potenzial regionales Lernen bietet (Otto/Mönter 2014).

Abb. 1: Selbstgestalte Spielfiguren des Spiels "Vision Iserlohn" (Foto: S. Arens)

Die Region Südwestfalen spielend entdecken

Im ersten Wettbewerb "Was wäre die Welt ohne unsere Region Südwestfalen?", der im Jahr 2011/2012 durchgeführt wurde und sich an den vorgeschriebenen Lerninhalten "Global vernetzt – lokal verankert" orientiert, war die Aufgabe für die SchülerInnen, nach einer ersten Analyse selbst kreativ zu werden und Spielideen zur Gestaltung der Region zu entwickeln. Die Form des Spiels – als Brett-, Plan-, Computer- oder Rollenspiel – blieb dabei ganz den SchülerInnen überlassen.

Die entwickelten kreativen wie geistreichen Spiele waren beeindruckend und sehr vielfältig. So entwickelten Saskia Menze und Melina Seiler vom Märkischen Gymnasium in Iserlohn das Gewinnerspiel "Vision Iserlohn", das die Spielidee verfolgt, die von Iserlohnern benannten Missstände in "Visionen" zu verwandeln. Um die Visionen erreichen zu können, müssen die dazu notwendigen "Missionen" erfüllt werden, wozu die richtige Beantwortung der Fragen zur Region im Spiel notwendig ist (Abb. 1).

Das Spiel "It’s your decision" ist ein Planungsspiel der Möhnesee-Schule und zeigt für junge Menschen Möglichkeiten auf, sich im öffentlichen Raum einzubringen und mit eigenen Ideen Veränderungen anzustoßen. Die Entwickler des Spiels setzen sich dabei aus verschiedenen Klassen und Altersstufen der Möhnesee-Schule zusammen.

"Oh, wie schön ist Sauerland" ist ein Würfelspiel von SchülerInnen der Gemeinschaftshauptschule Kirchhundem. Es zeigt in einer Rundreise durch die Region, welche Herausforderungen hinter dem Begriff "Mobilität", einem sehr zentralen Thema gerade für die jungen Leute Südwestfalens, stecken können.

Abb. 2: Entwurf einer "Visionskarte", Atelier Christian Opperer, Innsbruck 2015 (Vorder- und Rückseite)

Das Spiel als Lehr- und Lernmaterial

Von Anfang an gab es die Überlegung, das Gewinnerspiel als südwestfälisches Spiel weiterzuentwickeln und aufzulegen. Gemeinsam mit den SchülerInnen, ihrer begleitenden Lehrerin, dem bereits langjährig zusammenarbeitenden Expertengremium sowie einem professionellen Spieleentwickler wurde das Spiel in zahlreichen Werkstätten und mit ganz verschiedenen Akteuren aus der Region (von Wirtschaftsförderung bis Tourismus) überarbeitet und weitergedacht, aus dem Spiel "Vision Iserlohn" wurde "Vision Südwestfalen".

Im Spiel geht es, wie im Originalspiel darum, Visionen zur Gestaltung der Region zu realisieren (Abb. 2). Dazu müssen vier Missionen erfüllt werden, in dem man Fragen zur Region Südwestfalen beantwortet. Mit Würfelglück und strategischen Zügen auf dem Lauffeld des Spielplans (einer gestalteten Karte von Südwestfalen), mit Wissen und im Austausch mit den anderen Spielern kann man das Spiel gewinnen und auf "leichtfüßige" Art und Weise einiges über die Region erfahren. Gleichzeitig werden die SchülerInnen angeregt, eigene Visionen zur Region zu entwickeln und in Form von Missionen Arbeitsschritte zu präzisieren, wie die Vision umgesetzt werden kann. Dadurch wird das Prinzip der Handlungsorientierung und Eigenaktivität der SchülerInnen gefördert, wodurch sonst eher flüchtig angeeignete Inhalte mit einer überraschenden und auch nachhaltigen Intensität erarbeitet werden können (Scholz 2003, S. 74f.; Meyer/Paradies 1994, S. 16; Graff 1996, S. 36f.; Henning/Schuster 1999, S. 15 zitiert in Forkel 2009, S. 133).

"Vision Südwestfalen" soll zukünftig fächer- und jahrgangsübergreifend im Unterricht im Sinne des entdeckenden Lernens eingesetzt werden. "Durch den Einsatz von Lernspielen kann somit ein offener, abwechslungsreicher, schülerorientierter und vor allem motivationsfördernder Unterricht gestaltet werden" (Debray 2000, S. 25 zitiert in Forkel 2009, S. 128f.). Das Spiel ist so aufgebaut, dass es je nach Klassenstufe (ab Klasse 4) und Inhalten des Unterrichts unterschiedlich eingesetzt werden kann. Die Themenbereiche des Spiels basieren auf den Kategorien des Nachhaltigkeitsvierecks Ökonomie, Ökologie, Soziales und Politik, ergänzt um die Querschnittskategorie "Kultur" (Fögen et al. 2012, S. 6).

Damit orientiert sich das Spiel am Bildungskonzept "Bildung für nachhaltige Entwicklung", das auf eine lebensbegleitende und ganzheitliche Bildung abzielt (BnE Agentur 2015) und in den Kernlehrplänen der Schulen in NRW zukünftig eine noch stärkere Rolle spielen soll (MKULNV, 24.09.2015). Zusätzlich werden aufgrund des Spielplans Orientierungs- und Kartenlesekompetenz eingeübt. Neben der Basisvariante des Spiels sollen die Schulen eine Blankoversion des Spiels erhalten. So können im Rahmen des Unterrichts von den SchülerInnen selbst ein Spielplan, z.B. von der eigenen Stadt, sowie Frage- und Visionskarten entwickelt werden. Perspektivisch ist auch angedacht, zu einzelnen Themen der Region (z.B. Wirtschaft, Naturschutz etc.) weitere Fragekartensätze zu entwickeln, um die das Spiel dann erweitert werden kann.

Resumee

Macht SchülerInnen ein solches Spiel überhaupt Spaß? Die Frage kann eindeutig mit Ja beantwortet werden. Erste geführte Testspiele im September 2015 in Grundschule, Hauptschule, Sek I und Sek II haben gezeigt, dass die SchülerInnen das Spiel inhaltlich sehr positiv bewerten. Die Beobachtungen haben außerdem belegt, dass sich die SchülerInnen schnell auf das Spiel einlassen und regelrecht konzentriert versuchen, ihre Visionen umzusetzen. Dabei kommt es zu einem intensiven Austausch über Themen und Inhalte zwischen den SchülerInnen, die sich gegenseitig als Experten mit Wissen bei den Aufgabenstellungen unterstützen können.

Spielen im Unterricht ist eine anerkannte Methode, um verschiedene Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu schulen. Unter Pädagogen ist anerkannt, dass sich der Einsatz von Spielen und spielerischen Lernformen positiv auf die Motivation und damit den Lernprozess auswirkt. Lerninhalte werden dadurch vielfältig vernetzt und damit nachhaltiger gelernt (Qua-Lis NRW 2015). Erfahrungen zeigen, dass Kinder lieber zum Lernspiel als zu direkten Arbeitsformen greifen (Angerhöfer/Perleth 2001, zitiert in Forkel 2009, S. 131).

Zum Einsatz von Spielen im Unterricht arbeitet Forkel (2009) sehr differenziert verschiedene Aspekte zum Thema Lernspiel aus. Wichtig ist vor allem, dass es Spaß macht. So wird das Thema für die SchülerInnen subjektiv bedeutsam, und das zu Lernende wird in der Konsequenz besser eingeprägt und wirkt durch den spielerischen Anstrich geradezu wohltuend im Unterricht (Spitzer 2002, S. 167; Mandl/Huber 1983; Gudjons 1997, S. 7f., Klippert 1996 zitiert in Forkel 2009, S. 133f.).

Aufbauend auf der Spielidee von zwei SchülerInnen aus der Region Südwestfalen ist so aus einem SchülerInnenwettbewerb heraus Lehr- und Lernmaterial für Südwestfalens Schulen entstanden, das im Rahmen des Schulunterrichts hilft, die Region besser kennenzulernen und zu verstehen. Das Spiel ist damit ein Medium, mit dem "SchülerInnen sich selbsttätig, selbstständig und individuell [...] auseinandersetzen können – ganz im Sinne des Entdeckungslernens" (Forkel 2009, S. 216) – und ganz im Sinne der Zukunft Südwestfalens.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2016