Die REGIONALE 2004

01.01.2007 Friedrich Wolters

Abb. 1: Raum der REGIONALE 2004 (Quelle: REGIONALE 2004 GmbH)

Wie differenziert "Region" zu verstehen ist, belegt die Tatsache, dass das Gebiet der REGIONALE 2004 von dem Engagement der Landkreise Steinfurt und Warendorf mit 37 Städten und Gemeinden sowie der kreisfreien Stadt Münster bestimmt wurde (Abb. 1) und deshalb den östlichen Teil des Münsterlandes umfasst. Rund eine Mio. Menschen leben auf den 3.411 km2, die sich in Nord-Süd-Richtung von Hopsten bis Wadersloh auf 126 km erstrecken. Münsterländer Parklandschaft, soweit das Auge reicht, bis zum Teutoburgerwald im Osten und den Beckumer Bergen im Süden, wo Kalkabbau und Zementproduktion das Landschaftsbild erheblich verändern.

Damit in diesem weiten, idyllischen, auf den ersten Blick so intakten Raum kritische, letztendlich überlebenswichtige Themen binnen der vierjährigen REGIONALE-Zeit Fuß fassen konnten, mussten diese leitmotivisch, als überzeugende Bilder vorgestellt werden:

Den drei Hauptthemen Landschaft, Landwirtschaft und Wasser fügen sich neue Ansichten zur regionalen Architektur ein. Alle drei sind ursprünglichste Teile der Kultur, der eigenen Kultur und Tradition, die sensibel auf fremde kulturelle Einflüsse reagieren, wodurch der Gegensatz "eigen" - "fremd" dem gesamten Gestaltungsprozess unterlegt war.

Das sicher zentrale Thema ist natürlich die Landwirtschaft, die man pflegt und hegt, aber auch verdirbt. Das reicht von dem harmonischen Landschaftsbild mit den kleinen und großen Bauernhöfen, die diese Kulturlandschaft auf so unvergleichliche Weise prägen, bis zur Massentierhaltung und ihren Schrecken, die sich weit von unseren christlichen Wertevorstellungen entfernt hat. Das ist ein europäisches Problem, auf das die regionalen Landwirte kaum noch Einfluss haben. Deshalb sind auch die Gespräche mit den Bauern einfacher zu führen als diejenigen mit Funktionären.

Unsere Themen waren naturgemäß auf Wachstum angelegt, d. h., dass die kommenden Jahre erst zeigen werden, ob unsere Initiativen weiterentwickelt und welche Richtungen sie dabei einschlagen werden. Mittlerweile weiß jeder, wie krass und schnell Prognosen in diesen Bereichen korrigiert werden müssen.

Der Umgang mit Wasser schien, zumindest auf den ersten Blick, leichter "in Fluss" zu kommen als derjenige mit Landschaft und Landwirtschaft. Doch auch hier sitzt eine starke Betonlobby in den Siedlungsräumen, gleichwohl sich das Versickern der Oberflächenwässer politisch durchsetzt. Retentionsräume für Ems und Werse freizukämpfen ist ebenso schwierig, wie Schweine aus ihren Massenquartieren auf die Wiese zu treiben. Mit der vielbeachteten Tagung in Ahlen 2002 "Bilder für den Raum" und der Ausstellung "Natur nach Maß?!" 2004 gelang es uns, einem breiten Publikum diese Themenfelder bewusst zu machen. Aus heutiger Sicht und der allgemein positiven Resonanz auf die REGIONALE 2004 ist das als überraschend großer Erfolg einzuschätzen - denkt man an die Jahre 1999 bis 2001 zurück, in denen die REGIONALE bei Befragungen eher als Kaugummi-Marke apostrophiert wurde denn als regionale Entwicklungsidee.

Heute ist die REGIONALE 2004, obschon seit längerem abgeschlossen, in vielerlei Hinsicht präsenter als manche ähnlich ausgerichtete Initiative oder Agentur, die sich münsterlandweit dahin schleppen und kaum mittelmäßige Erfolge zu verzeichnen haben.

Die Frage nach dem Erfolg der REGIONALE 2004 lässt zumindest aus heutiger Sicht zwei Antworten zu:
Für die REGIONALE 2004 haben wir im Zusammenhang mit der Kultur im Raum den Begriff der Regiographie erdacht. Der Begriff oder besser gesagt die Idee der Regiographie setzt sich mit der interpretierenden Beschreibung der Region aus Sicht und mit den gestaltenden Mitteln der Kunst auseinander. Die Regiographie will sichtbar machen, wie sich Mensch und Natur aneinander und miteinander entwickeln, wie sie sich gegenseitig prägen.

Die Regiographie will nachzeichnen, wie sich ihre Symbiose in der Landschaft zeigt, und aufspüren, wo und wann sich historische und zeitgenössische Begegnungen vollziehen, die aufeinander verweisen, parallel verlaufen, sich tangieren, kreuzen oder sogar zu einem Netz verknüpfen.

Will man diese Regiographie umsetzen, dann führt der Weg in der Kunst auch zu der Bereitschaft, das Fremde zuzulassen und diesem mit der sprichwörtlichen münsterländer Gastfreundschaft zu begegnen.
Abb. 2: Museum Abtei Liesborn (Foto: O. Mahlstedt)

Während der Tagung 2002 in Ahlen haben wir dieses Thema mit der Überschrift "Der Kultur den Tisch bereiten" überschrieben. Mit seiner Zukunftsmusik Beethoven 1 und 2 in Liesborn (Abbn. 2 u. 3) und Oelde-Stromberg oder dem Wozzek im Bagno Konzertsaal (s. Beitrag Rohleder) sind Klokes radikal ästhetische Inszenierungen beste Bausteine für eben unsere Regiographie gewesen. Auch das zeichnerische Œuvre Trans Aquas in Liesborn und Rheine, ausgestellt von Wolfgang Schmitz, das nach Abschluss der REGIONALE 2004 von dieser dem westfälischen Landesmuseum übereignet wurde, ist Bestandteil der Idee der Regiographie.

Betrachten wir nach der IBA Emscher Park (1988-1999) (s. Beitrag Wehling) die REGIONALEN in Nordrhein-Westfalen zwischen 2000 bis 2010 als eine regionale Idee, als regionales Markenzeichen für einzelne Regionen, dann sind diese regionalpolitischen Initiativen des Landes Schmelztigel für Neues in historisch gewachsenen Räumen bzw. Regionen geworden.

Bilder in die Köpfe der verantwortlichen Politiker und Wirtschaftsführer ebenso wie in jene der Bürgerinnen und Bürger, der Vereine und bestehenden Initiativen zu bringen, Neugier und Bereitschaft zu wecken, bedarf ausdauernder Geduld und Überzeugungskraft.

Abb. 3: Liesborn: Brückenschlag der Musik, Zukunftsmusik (Foto: Musikakzente 21)

Im Raum der REGIONALE 2004 haben sich die Bemühungen mehr als gelohnt! Insbesondere bei den regionalen Architekturprojekten ist zwischen Rheine-Bentlage, Münster und Liesborn dieser baukulturelle Anspruch deutlich auszumachen, dessen Entwicklung die Reihe der REGIONALE-Publikationen dokumentiert. Museumserweiterungen wie in Wadersloh-Liesborn oder die Wohnsiedlung in Münster, Merschkamp bzw. die Gempthalle in Lengerich sowie die wieder entdeckte Parkanlage für das Bagno in Steinfurt oder auch neu erfundene Landschaft beim Kloster Bentlage beweisen, zu welch’ großer Gestaltungskraft diese Region fähig ist, wenn für einen begrenzten Zeitraum partikulare Interessen hintenan gestellt werden.

Auch der 120 km lange Emsauenweg, der 80 km Fluss interkommunal begleitet, ist ein klares Zeichen dafür, dass Einzelinteressen von Zeit zu Zeit auch bei Städten und Gemeinden, die über eine eigenständige Geschichtlichkeit zwischen 600 und 1.200 Jahren verfügen, ausgeräumt werden können.

Die Antwort auf die Frage, wie nachhaltig die REGIONALE 2004 durch ihre 32 Projekte wirken wird, liegt in den künftigen lokal- bzw. regionalpolitischen Entscheidungen. Für einiges ist Optimismus angesagt, anderes wird wohl verschüttet werden.

Das Thema Landschaft versus Landwirtschaft wird mit Sicherheit zu spannenden Auseinandersetzungen führen - gewiss dann, wenn einer Mio. Menschen klar wird, dass auf jeden nicht nur ein, sondern 1 1/2 Schweine kommen und sie sich die Frage stellen müssen "Aber wo laufen sie denn?".

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007