Vögel als Neubürger am Möhnesee und im Arnsberger Wald

02.03.2017 Wilfried Stichmann

Abb. 1: Abfolge der Neuankunft von Vogelarten am und in der Nachbarschaft des Möhnesees

Im Rahmen der Internationalen Wasservogelzählung wird am Möhnesee und im angrenzenden Arnsberger Wald seit fast 60 Jahren monatlich einmal die Vogelwelt erfasst. Dabei wurde ein erheblicher Wandel in der Artenzusammensetzung festgestellt, vor allem ein Rückgang und Verschwinden infolge vom Menschen verursachter Einflüsse (s. Beitrag Stichmann/Stichmann-Marny). In diesem Beitrag soll jedoch die Neuankunft zuvor hier nicht vertretener Vogelarten zeitlich eingeordnet werden.

Am Anfang des Migrationsgeschehens der letzten sechs Jahrzehnte (Abb. 1) steht hierzulande die Türkentaube, die seit etwa 1955 in Körbecke (Gemeinde Möhnesee) als Dorfbewohner beobachtet und noch häufiger mit ihrem dreisilbigen Ruf vernommen wird. Sie stammt vom Balkan und trat ohne menschliche Unterstützung in Mitteleuropa auf, zuerst 1947 in Soest. Als Kulturfolger breitete sie sich rasch aus.

Zwanzig Jahre später bildeten die Wacholderdrosseln (Abb. 2), die vorher nur als Gäste bekannt waren und in noch früheren Zeiten als Krammetsvögel gefangen und gegessen wurden, in hohen Baumgruppen die ersten Brutkolonien am Möhnesee.

Seit 1973 brütet die Reiherente (Abb. 3) vereinzelt auch am Möhnesee, wo sie zuvor schon nach der Stockente der zweithäufigste Gast war. Heute ist sie mit über 2.000 Exemplaren zeitweilig die zahlreichste Art. An ihrem schwarz-weißen Gefieder ist sie leicht zu erkennen. Auch diese Tauchente ist vor allem von Osten zugewandert, ohne dass ein Anlass zu erkennen ist.

Abb. 2: Wacholderdrossel (Foto: Bernd Stemmer)

Zwischen 1980 und 1997 wechselte am Möhnesee in der Vogelwelt das Szenarium. Nach und nach begannen die Gänse im Herbst und Winter das Bild – vor allem im Naturschutzgebiet "Hevearm der Möhnetalsperre" – zu beherrschen. Zuerst kamen Anfang der 1980er Jahre die früher in Norddeutschland heimischen Graugänse. Sie wurden auf Betreiben der Jägerschaft im Münsterland wieder ausgesetzt und vermehrten sich bald schon stark. Größere Gruppen halbzahmer Tiere kamen auch am Möhnesee, dem größten Gewässer Westfalens, an und brüten seither hier. Seit 1989/90 folgten die Kanadagänse. Diese stattliche und farbig schön gezeichnete Gänseart wurde früher nur auf Parkteichen, z.B. in Höllinghofen (zu Arnsberg), und vor allem in Gehegen und auf Gräften in den Niederlanden gehalten. Seit ihnen nicht mehr die Flügel gestutzt wurden, entkamen sie immer öfter in die Freiheit. Ohne menschliche Hilfe wären sie wohl kaum über den Atlantik nach Europa gelangt.

Abb. 3: Reiherentenpaar (Foto: Bernd Stemmer)

Annähernd dieselbe Verbreitungsgeschichte kann für die Nilgans (Abb. 4) berichtet werden, nur dass sie aus Afrika über niederländische Gewässer sowie rhein- und lippeaufwärts an den Möhnesee gelangt ist. Die ersten Bruten wurden um 1997 nachgewiesen. Im Jahr 2007 machten die Nilgänse Furore, als sie den Turmfalken aus dem Schallloch im Turm der Pankratiuskirche in Körbecke vertrieben und dort ihr Gelege erbrüteten. Sieben Junge schlüpften, sprangen 15 Meter tief herunter und wurden von ihrer Mutter zum See geleitet, gegen Autos und nicht angeleinte Hunde von einer begeisterten Menschenschar abgeschirmt.

Abb. 4: Nilgänse (Foto: Bernd Stemmer)

Erst im Jahr 2013 kam es wieder zu einer Neuansiedlung, allerdings nicht am Möhnesee, sondern an der renaturierten Ruhr im Stadtgebiet von Arnsberg. Seitdem brüten hier alljährlich Gänsesäger (Abb. 5), was am Möhnesee zu Sommerbeobachtungen dieser skandinavischen Art geführt hat. Seit Beginn des Monitorings vor knapp 60 Jahren werden Gänsesäger schon Jahr für Jahr regelmäßig und meist mit über 100 Tieren auch auf dem Möhnesee als Wintergäste nachgewiesen.

Abb. 5: Gänsesägerpaar (Foto: Bernd Stemmer)

Nicht so erfolgreich und dauerhaft war der Ansiedlungsversuch der Eiderenten, die jahrelang im Hevetal südlich des Möhnesees weilten, balzten und schließlich auch einmal im Sommer 2006 brüteten. In späteren Jahren wurde diese Art, die eigentlich Küste und Küstennähe vorzieht, nur jeweils kurzfristig beobachtet.

Ebenfalls erfolglos waren die Brutversuche des Rothalstauchers, der in Nordrhein-Westfalen noch keine dauerhafte Bleibe hat. In der Mühlensiepen-Bucht (Möhnesee-Südufer) baute 2002 erstmalig ein Paar eine Nestplattform, nachdem die Art zuvor immer mal wieder eine Gastrolle gab. Fünf Jahre lang hielt die Art an dem Ort fest, bis sie während der Brutzeit nicht mehr auftrat.

Abb. 6: Kormoran (Foto: Bernd Stemmer)

Geradezu faszinierend bis besorgniserregend ist für manchen Naturfreund die starke Vermehrung des Kormorans (Abb. 6). In den 1980er Jahren wäre die Ankunft einiger Kormorane noch eine Exkursion zum Möhnesee wert gewesen. Seitdem Ende der 1990er Jahre gelegentlich über 1.000 Kormorane ihren Schlafplatz am See beziehen und es hier auch eine kleine Brutkolonie gibt, sieht man diesen Neubürger und Fischjäger nicht mehr so gern. Er ist allerdings durch die Artenschutzbestimmungen der EU geschützt.

Abb. 7: Schwarzstorch (Foto: Bernd Stemmer)

Nach 30 Jahren brütet der Schwarzstorch (Abb. 7) wieder in Westfalen, nicht am Möhnesee, sondern tiefer im Arnsberger Wald. Das erfüllt die Naturschützer mit großer Freude. Die bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Westfalen heimische Art ist aus eigenem Ansporn zurückgekehrt und seit ca. 1985 wieder Brutvogel in unseren Wäldern, von wo aus sie gelegentlich auch den Möhnesee besucht.

Ganz anders ist der Einreisemodus des Silberreihers (Abb. 8). Im Jahr 1998 beobachteten Besucher zum ersten Mal einen schneeweißen – wie sie meinten – "albinotischen Reiher". Seither weilen hier monatelang etliche Silberreiher zum Fischfang, kehren aber zur Aufzucht der Jungen wohl regelmäßig in ihre Heimat nach Südosteuropa zurück. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese elegante Art auch in Westfalen Brutvogel wird.

Abb. 8: Silberreiher (Foto: Bernd Stemmer)

"Alles ist im Fluss", dieses Zitat trifft auch auf die Tierwelt zu. Beschleunigt hat sich durch Umweltzerstörung und Klimawandel der Artenschwund, d.h. der Rückgang der Biodiversität. Aber auch die Neuankunft von Arten findet weiterhin statt, allerdings zu nicht unerheblichem Maße infolge von Eingriffen des Menschen in die natürliche Verbreitung und in die globalen Ökosysteme.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2017