Mittelalterliche Landwirtschaft in Westfalen

01.01.2009 Rudolf Bergmann

Die mittelalterliche Landwirtschaft in Westfalen war entsprechend der verschiedenartigen naturgeographischen Bedingungen deutlich zonal angeordnet, wobei die Landwirtschaftszonen weitgehend mit naturräumlichen Großeinheiten übereinstimmen. Die Rekonstruktion landwirtschaftlicher Verhältnisse basiert insbesondere auf grundherrschaftlichen Abgabenverzeichnissen, archäologischen Funden sowie Geländedenkmälern in Form von Flurwüstungen.

Im Münsterland bestanden zwei Landwirtschaftssysteme: Das der individuellen Kampflur-Bewirtschaftung (häufig verbunden mit dem Einzelhof als Siedlungsform) des Kernmünsterlandes und das Plaggenesch-Wirtschaftssystem (verbunden mit dem Siedlungstyp des Drubbels) des Sandmünsterlandes (s. Beitrag Kasielke). Der wahrscheinlich älteste urkundliche Nachweis der Entnahme von Plaggen datiert in das Jahr 1316, betrifft den Grenzraum Coesfeld-Lette und Dülmen-Welte und beinhaltet zugleich den ersten Nachweis für die Dülmener Wildpferde (vagi equi) (s. Beitrag Scholz). Die historisch-geographische Forschung hat plaggenmistgedüngte Eschfluren in einem Zusammenhang mit "ewigem Roggenbau" gesehen. Auf das Münsterland bezogen, sollte diese These modifiziert werden, denn klösterliche Abgabenverzeichnisse überliefern für Eschsiedlungen häufig Roggen- und Braugerste (brasii)-Abgaben und untergeordnet auch solche von Hafer. Auf den schweren Böden des Kernmünsterlandes erfolgte darüber hinaus ein nennenswerter Anbau von Leguminosen (schwarzer, grauer, weißer Erbsen sowie von Ackerbohnen) und Weizen.

Abb. 1: Beetpflugrekonstruktion (Foto: S. Brentführer, LWL-Archäologie für Westfalen)

Die Lössbörden am Hellweg, die Paderborner Hochfläche und die intramontanen Beckenlandschaften des Weserberglandes unterschieden sich hinsichtlich ihrer Landwirtschaft grundlegend von derjenigen des Münsterlandes. Im Mittelalter handelte es sich um Regionen mit einem hochproduktiven Getreidebau. Den archivalischen Quellen ist in aller Deutlichkeit zu entnehmen, dass in der Region zumeist eine Mehrfelderbrachwirtschaft in geschlossenen Zelgen betrieben wurde. Bei dieser muss es sich nicht zwangsläufig um die bekannte Form der Dreifelderwirtschaft handeln; eine Quelle aus dem 14. Jh. berichtet für Ahden am Rand der Paderborner Hochfläche bereits von dem Bestehen von vier Feldern. Deutliches Anzeichen für eine regelmäßige Düngung der Getreidebauflächen ist das sog. dungetal, d. h. das Recht, landwirtschaftliche Nutzflächen bei erfolgtem Verkauf so lange zu nutzen, bis der Mist "aufgebraucht" war. Hinsichtlich der grundherrschaftlichen Abgabenverzeichnisse zeichnet sich ein ausgewogenes Verhältnis von Wintergetreide (insbesondere von dem in die Brache eingesäten Roggen) und Sommergetreide ab, wobei Gerste sowohl in Form der Winter- als auch als Sommergerste angebaut wurde. Die charakteristische Naturalabgabe der Bauern in dieser Landwirtschaftsregion war häufig das sog. triplicis annona (Roggen, Gerste und Hafer zu gleichen Anteilen). Der Weizen rangierte als Feldfrucht an letzter Stelle und zwar unter wahrscheinlicher Ausnahme der intramontanen Becken des Weserberglandes, wo dieser unter einem stärker kontinental beeinflussten Klima häufiger in Erscheinung trat. Für die Paderborner Hochfläche ist weiterhin ein Anbau von Spelz belegt.

Abb. 2: Im Wildpark Dülmen erhaltene und in fossile Wölbackerbeete untergliederte Plaggeneschkämpe (Entwurf: R. Bergmann, LWL-Archäologie für Westfalen; Quellen: Vermessungs- und Zeichenbüro Thede, ehemaliges Referat Vermessung des LWL)

In der Mittelgebirgsregion des Süderberglandes besaß die Viehwirtschaft eine erheblich höhere Bedeutung als der Getreidebau. Während z. B. im mittleren Ruhrtal noch ein nennenswerter Anbau von Roggen erfolgte, verschwand dieser mit zunehmender Höhenlage aus den grundherrschaftlichen Abgabenlisten und wurde durch Gersten- und Haferabgaben ersetzt. Die geringeren Mengen der Getreiderenten verdeutlicht, dass wir in Regionen mit einer letztendlich marginalen Getreidewirtschaft vorstoßen, die z. B. in den Hochlagen des Rothaargebirges betrieben wurde.

Was in der modernen Landwirtschaft mit schleppergezogenem Mehrschar-Wendepflug und Mähdrescher bewältigt wird, geschah im Mittelalter mit 2 – 4 PS Einschar-Beetpflug und Zieh- wie auch Hausicheln. Dreieckige Pflugschare spätmittelalterlicher Beetpflüge sind in Westfalen mehrfach aus archäologischen Fundzusammenhängen geborgen worden. Abgesehen von dem ebenfalls eisernen Vorschneidemesser (Sech) waren die übrigen Teile derartiger Pflüge einschließlich des geraden Streichbretts aus Holz gefertigt. Ihr Aussehen überliefern z. B. die Bilderhandschriften des "Sachsenspiegels". Da im 19. Jh. ein Pflugmodell von dem Gut Erpernburg bei Büren-Brenken in die Sammlung landwirtschaftlicher Geräte der Universität Stuttgart-Hohenheim gelangte, war es möglich, einen mittelalterlichen Pflug unter Verwendung der nachgeschmiedeten Schar von der Wüstung Diderikeshusen bei Büren-Steinhausen im Maßstab 1:1 nachzubauen (Abb. 1). Im Experiment ließ sich mit diesem in steinfreiem Lössboden eine Pflügetiefe von ca. 15 cm erreichen.

Abb. 3: Flurwüstungen in Westfalen (Entwurf: R. Bergmann, LWL-Archäologie für Westfalen; Quellen: Bergmann 1993, Bergmann 2006, Deppe 1967)

Relikte einstigen Beetpflug-Ackerbaus in Westfalen sind die sog. Wölbäcker. Dies sind rückenartige Beete von zumeist 15,5 bis 18,5 m Breite und teils beachtlicher (0,5 km) Länge. Großflächig konserviert wurden Plaggenesch-Wölbackerfluren im öffentlich zugängliche Wildpark unmittelbar westlich der Stadt Dülmen bei der im 19. Jh. erfolgten Umgestaltung der bäuerlichen Kulturlandschaft zu einem Landschaftspark nach englischem Vorbild (Abb. 2). Die an der Basis eines dieser Esche in einer Tiefe von ca. 0,8 m gefundene Keramik lässt erkennen, dass mit einem Einsetzen einer Waldboden-Plaggendüngung im 11. oder 12. Jh. zu rechnen ist.

Ausgedehnte nachmittelalterlich verwaldete Wölbackerfluren des 14. Jh.s haben sich am Nordrand der Warburger Börde in den Forsten Eichhagen, Bannenberg und Fahlenbruch erhalten (Abb. 3). Die Wölbackerfluren im Eichhagen repräsentieren die Ackerflur des einstigen Kirchdorfes Eddessen und bestehen nahezu ausschließlich aus Nord-Süd verlaufenden Beetrücken. Im Forst Bannenberg existieren mehrere räumlich voneinander isolierte Gewanne fossiler Beetstrukturen mit verschiedenen (West-Ost und Nord-Süd) Verlaufsrichtungen, die zu einem archäologisch nachgewiesenen Ort gehören, dessen Ortsname sich bislang in den historischen Quellen nicht hat identifizieren lassen.

Ausgedehnte fossile Terrassenackersysteme sind im Rothaargebirge an südexponierten Hängen zu beobachten. In der Mark Eckeringhausen reichen diese bis in eine Höhe von 620 m ü. NN, überliefern ein blockartiges Parzellierungsmuster und gehören zu dem im 14. Jh. bezeugten Kleinweiler Ekkerinchusen. Am Böhlen nördlich Medebach weisen die Stufenraine der Terrassenäcker an den Rändern der hangsenkrechten Streifen charakteristische Versprünge auf, so dass eine sog. Breitstreifenflur zu rekonstruieren ist. Aus Wurzeltellern umgewehter Bäume im Terrassenackersystem von Hopprighausen im Wittgensteiner Land konnte Keramik des 10. Jh.s geborgen werden, die für eine dementsprechend frühe Anlage der einstigen agrarischen Nutzfläche spricht.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2009