LandLebenHeimat – Bürger machen Dorf – bürgerschaftliches Engagement als Kreatives Milieu in Südwestfalen

15.12.2016 Stephanie Arens

weitere Autorin: Regina Schmitz

Inhalt

Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich verantwortlich in ihren unmittelbaren Umfeldern – ein großes Potenzial für unsere Gesellschaft und die Zukunft der Dörfer in Südwestfalen. Bürgerschaftliches Engagement als solches mit seinen – und das ist eher spezifisch für den ländlichen Raum – heterogen zusammengesetzten, weil generationen-, geschlechter- und kompetenzgemischten Akteursgruppen, muss deshalb auch als das Innovationspotenzial und das Kreative Milieu im ländlichen Raum verstanden werden (Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation 2014; Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2015). Nimmt man dieses Potenzial ernst, darf es daher nicht nur um Beteiligung und vordergründige Kommunikation, sondern um direkte Teilhabe und Verantwortungsübernahme gehen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass die ehrenamtlich Engagierten bei ihren immer komplexer werdenden Aufgaben einer stärkeren, professionell orientierten Unterstützung bedürfen, um sie nicht zu überfordern – ein Spagat.

Bürgerschaftliches Engagement in den Dörfern Südwestfalens

Viele aktive Dorfgemeinschaften setzen sich in beeindruckender Weise mit den Herausforderungen des demografischen Wandels auseinander. In Dorfwerkstätten und Dorfkonferenzen entwickeln die Menschen vor Ort Visionen, Strategien, Konzepte und Projektideen. Dazu gehören meist auch konzeptionell eingebettete konkrete Überlegungen für die Nutzung von leerstehenden Gebäuden, die über Jahrzehnte das Leben im Ort geprägt haben: die alte Dorfschule, der aufgelassene Bahnhof, die aufgegebene Dorfkneipe oder auch Industrieanlagen. Sie waren Mittelpunkte im Dorf, und es ist deutlich spürbar, dass die Lücke vielerorts bis heute nicht geschlossen ist. Es gibt deshalb einen großen Bedarf vor allem an soziokulturellen Treffpunkten im Dorf, die die Attraktivität des Dorflebens für Einheimische wie Gäste erhöhen sollen, um der Abwanderung entgegenzuwirken.

Einige Dorfgemeinschaften in Südwestfalen haben sich im Rahmen des Modellprojekts "LandLebenHeimat – Bürger machen Dorf", das im Rahmen der REGIONALE 2013 entstanden ist, auf den Weg gemacht, für ihre Dörfer zukunftsfähige Konzepte zu entwickeln. So entstanden Treffpunkte mit Veranstaltungsräumen für die Dorfgemeinschaft in Kombination mit anderen inhaltlichen Bausteinen, wie z.B. einem außerschulischen Lernort. Die Besonderheit in dem Modellvorhaben war, dass ein externes Projektbüro die Dorfgemeinschaften von der Idee bis zur Förderfähigkeit des Projekts dabei begleitete, ihre Vorstellungen nachhaltig alleine zu entwickeln, zu realisieren und zu verantworten. Es mussten Nutzungskonzepte entwickelt, geplant und gebaut, Kosten-, Finanzierungs- und Trägerschaftsfragen geklärt und ein langfristig angelegter Betrieb geplant werden. Nach dem Motto "Dörfer lernen von Dörfern" war ein wichtiger Bestandteil des Modellvorhabens, einen Erfahrungsaustausch zwischen den Projektträgern zu organisieren, in dem Projektfortschritte und Probleme thematisiert wurden.

Alle Dorfgemeinschaften agieren notwendiger Weise in einem Netzwerk von Partnern und Unterstützern. Dies sind die Kommunen, Kreise, Bezirksregierung, LEADER-Manager, REGIONALE-Beauftragte und die Südwestfalen Agentur sowie weitere Förderer, wie z.B. die NRW-Stiftung. Sie alle bringen ihre eigenen Rahmenbedingungen mit. Aufgabe des Projektbüros war es, im Laufe des Prozesses die Projekte inhaltlich und zeitlich abgestimmt mit allen Partnern zu einer Förderentscheidung und einem Realisierungseinstieg zu bringen. Dazu wurden zwischen 2011 und 2015 regelmäßige "Lenkungskreise" durchgeführt, die die Dorfgemeinschaften und alle Partner an einen Tisch holten. Es konnten so auf kurzem Weg Fragen untereinander geklärt werden. Das Projektbüro übernimmt dabei für die Dorfgemeinschaft das Projektmanagement, moderiert und organisiert den Prozess in Zusammenarbeit mit der Südwestfalen Agentur und bindet weitere Fördermittelgeber mit ein (z.B. Stiftungen).

Die Erfahrungen in den Projekten haben bis heute gezeigt, das eine professionelle Unterstützung vor allem beim Projektmanagement elementar wichtig ist, denn vielen Engagierten fehlt schlicht die Zeit, sich auch noch darum zu kümmern. Auch die Entwicklung eines Projekts im Hinblick auf Nutzungsbausteine, Planen und Bauen, Kosten und Finanzierung, Trägerschaft und Betrieb sind nicht alltäglich und bedeuten einen hohen Aufwand für die ehrenamtlich Engagierten. Hier konnten "Leitplanken", Orientierungspunkte und Hilfestellungen geschaffen werden, was die Arbeit der Engagierten deutlich unterstützt hat.

Zwei Projekte, die im Rahmen des Modellvorhabens bereits umgesetzt sind, sind das Projekt "Alter Bahnhof Hützemert" und das "KUMA Oberschledorn", die im Folgenden kurz skizziert werden.

Abb. 1: Alter Bahnhof Hützemert (Foto: Michael Bahr/Südwestfalen Agentur GmbH 2014)

"Alter Bahnhof Hützemert", Kreis Olpe

Der kleine Ort Hützemert (ca. 1.100 Einwohner, Stadt Drolshagen) erlebte Anfang des 20. Jh.s mit der Eröffnung einer Bahnlinie einen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch nach Stilllegung der Bahnlinie verlor der Ort einen seiner Treffpunkte. 2008 organisierten die engagierten Hützemerter eine Ideenwerkstatt zur Zukunft des Ortes. Sie gründeten einen Dorfverein, um den denkmalgeschützten Bahnhof nebst Güterschuppen zu erhalten und einen generationenübergreifenden kulturellen und sozialen Mittelpunkt für Kabarett, Konzerte, Lesungen, Feste, Versammlungen sowie einen Anlaufpunkt für Einheimische und Besucher – u.a. durch den Betrieb einer Päuskenstation (Raststätte) – zu schaffen (Abb. 1; s. Beitrag Rohleder). Das Ziel: Hützemert soll auch in Zukunft für die Einwohner attraktiv bleiben.

Von den Kosten von rund 538.000 Euro betrug die Förderung 172.000  Euro. Nach Abzug der Anteile von Stadt, Förderung von NRW-Stiftung und Denkmalpflege blieben 192.000  Euro, die der Dorfverein über bauliche Selbsthilfe und über einen Kredit finanzierte.

Seit Herbst 2014 betreibt nun der Verein vollverantwortlich den Bahnhof, was mit viel ehrenamtlichem Engagement gelingt (www.treffpunkt-alter-bahnhof.chayns.net).

Abb. 2: Einweihung des KUMA "Kultur und Malen" in Ober- schledorn 2015 (Foto: S. Arens 2015)

KUMA, Medebach-Oberschledorn, Hochsauerlandkreis

Der rund 900 Einwohner umfassende Ort Oberschledorn hat ein Alleinstellungsmerkmal: Die Kirchenmalerfamilie Bergenthal hat hier über mehrere Generationen gelebt und gearbeitet und damit den Ort geprägt. Um diesen "Schatz" zu heben und sich als Dorf stärker zu profilieren, hatte die Dorfgemeinschaft im Jahr 2004 den Verein "Oberschledorn aktiv" gegründet. Finanziert über LEADER-Mittel und Eigenanteile des Vereins hatte dieser den umfangreichen Fundus kunsthistorisch aufarbeiten lassen und bereits in einer temporären Ausstellung in Arnsberg für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Plaß 2008). Um den Exponaten auch danach eine Heimat zu bieten, wurde nach einer Präsentationsmöglichkeit der Werke in Verbindung mit einem Treffpunkt für das Dorf gesucht.

Mitten im Ort befindet sich nun das KUMA ("Kultur und Malen"; Abb. 2). Umgenutzt wurden durch Oberschledorn aktiv e.V. für das KUMA zwei Gebäude: ein ehemaliges Wohnhaus ("Haus Bonacker") und die benachbarte ehemalige Volksbankfiliale. Die neue Außenraumgestaltung zwischen dem KUMA und der gegenüber liegenden Kirche sowie einem Lebensmittelgeschäft und einer Gaststätte lässt für alle den neuen Ortsmittelpunkt deutlich sichtbar werden.

Das KUMA ist ein Kultur- und Begegnungsort mit einem Dorfgemeinschaftsraum und einer Ausstellung zur Kirchenmalerfamilie Bergenthal mit ihren Werken. Um das für Kinder und Jugendliche sperrige Thema erfahrbar zu machen, ist ein außerschulischer Lernort und eine Kunst- und Kreativwerkstatt für kleine und große Künstler unter Anleitung einer Kunstpädagogin entstanden (www.oberschledorn.de). Sehen, hören, selber machen! Dies ist nicht nur für Schulklassen, sondern auch für Einwohner und Touristen interessant und schafft damit ein neues Angebot, von dem die ganze Region profitiert.

Resümee

Betrachtet man das bürgerschaftliche Engagement, wie zu Beginn erwähnt, als das Kreative Milieu und Innovationspotenzial im ländlichen Raum der Zukunft, vor allem im Hinblick auf gesellschaftliche Gestaltungsprozesse, muss dieses Potenzial nicht nur genutzt werden – auch für die zukünftigen Aufgaben der Integration von ZuwanderInnen –, sondern auch stärker unterstützt und qualifiziert werden. Es braucht übersichtliche und koordinierte beratende Infrastrukturen, auch mit konkreten Erfahrungen im Projektmanagement (Wolf/Zimmer 2012). Darüber hinaus sollte die professionelle Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements auch strukturell im Rahmen der Förderrichtlinien stärker verankert werden und auch einen gewissen Experimentierraum zulassen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist mit dem Programm "Qualifizierung für bürgerschaftliches Engagement" des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) bereits gemacht (MKULNV 2014).

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016