Geographische / geowissenschaftliche Bildung an den Universitäten in Westfalen

22.12.2016 Karl-Heinz Otto

"Nichts bildet und kultiviert den gesunden Verstand mehr als Geographie" (Immanuel Kant 1724–1804: Vorlesungen zur Physischen Geographie, nach der Mitschrift eines Studenten).

Geographisches/geowissenschaftliches Wissen und Engagement sind essenziell für das 21. Jh. – ein Jahrhundert, in dem unsere Erde von anhaltendem Bevölkerungswachstum, von weitreichenden globalen Umweltveränderungen, von sozialer und ökonomischer Ungleichheit und von einer zunehmenden Verknappung natürlicher Ressourcen geprägt sein wird. Diese Probleme sind eine ernste Herausforderung für das friedliche Zusammenleben der Menschen, für die kulturelle Toleranz, für eine gerechte Erdpolitik und speziell für die Aufgabe eines nachhaltigen Managements von Lebensräumen, natürlichen Ressourcen und Landschaften. In Anbetracht dieser Herausforderungen kommt Geographen und Geowissenschaftlern eine Schlüsselrolle zu. Sie vermitteln Wissen über Problemzusammenhänge, wecken Verständnis und Engagement für Belange der Zukunftssicherung des menschlichen Lebens auf dem Planeten Erde und leisten im Rahmen ihrer fachlichen Kompetenz fundierte Beiträge zur Lösung von Problemen. Dieses gemeinsame Anliegen verbindet die in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft tätigen Geographen und Geowissenschaftler: in Schule und Bildung, in Wissenschaft und Forschung, in Wirtschaft und Verwaltung (DGfG 2015).

Wo sind die Geographie und die übrigen Geowissenschaften in Westfalen vertreten und wie sind sie hier aufgestellt, um die obligatorische geographische/geowissenschaftliche Bildung sicherzustellen? Diesen beiden zentralen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.

Tab. 1: Arbeitsbereiche/-schwer- punkte der geographischen/ geowissenschaftlichen Aus- bildungs- und Forschungs- einrichtungen in Westfalen

Die Geographie und andere Geowissenschaften wie Geologie, Geophysik, Mineralogie und Paläontologie sind als Fachdisziplinen an mehreren Universitätsstandorten in Westfalen vertreten. Abbildung 1 gibt einen Überblick darüber, wo in Westfalen aktuell Geographie und weitere Geowissenschaften gelehrt werden bzw. wo entsprechende Einrichtungen in den vergangenen Jahren geschlossen wurden. Gegenwärtig existieren insgesamt fünf geographische/geographiedidaktische und sieben geowissenschaftliche Institute/Arbeitsbereiche an vier unterschiedlichen Hochschulstandorten.

Während die Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) in Münster bereits 1780 gegründet wurde, wurden die Ruhrgebiets-Universitäten erst sehr viel später aufgebaut: die Ruhr-Universität Bochum (RUB) 1962 (s. Beitrag Perpeet) und die Technische Universität (TU) Dortmund 1968. Die jüngste Universität in Westfalen ist aber die Universität Siegen. Sie wurde 1972 gegründet und ging aus der im Jahr 1964 gegründeten Pädagogischen Hochschule Siegerland hervor. Die beiden ältesten geographischen/geowissenschaftlichen Einrichtungen in Westfalen sind das Institut für Geographie (1885) und das Institut für Mineralogie (1886) der WWU Münster. Während die Geographie bzw. die weiteren Geowissenschaften an einigen Universitätsstandorten als eigenständige Institute existieren, bildet die Geographie an der Universität Siegen "nur" einen Arbeitsbereich in der Naturwissenschaftlich-Technischen Fakultät im Department Physik. Als einzige Universität in Westfalen besitzt die WWU Münster ein eigenständiges Institut für Geographiedidaktik.

Die verschiedenen Institute und Arbeitsbereiche unterscheiden sich aber nicht nur in ihrer Organisationsform, sondern auch hinsichtlich ihrer personellen Ausstattung, ihrer Forschungsschwerpunkte und der von ihnen jeweils angebotenen Studiengänge.

Abb. 1: Arbeitsbereiche/-schwer- punkte der geographischen/ geowissenschaftlichen Aus- bildungs- und Forschungs- einrichtungen in Westfalen (Quelle: eigene Recherche)

Mit insgesamt 15 Professoren/Habilitierten ist das Geographische Institut der Ruhr-Universität Bochum die größte von allen dargestellten Einrichtungen in Westfalen (Abb. 1). Den zweiten Platz nimmt mit elf Professoren/Habilitierten das Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik der Ruhr-Universität Bochum ein. Zählt man alle an den jeweiligen Standorten vorhandenen Professuren/Habilitierten zusammen, dann führt aber nicht Bochum (26 Professuren/Habilitierte) die Tabelle an, sondern Münster. Hier existieren insgesamt acht verschiedene geographische und geowissenschaftliche Institute, in denen derzeit 35 Professoren/Habilitierte forschen und lehren (Abb. 1). Die Ausstattung mit Wissenschaftlichen Mitarbeitern und Nichtwissenschaftlichem Personal ist in den unterschiedlichen Instituten/Arbeitsbereichen ebenfalls sehr unterschiedlich. Der Arbeitsbereich Geographie an der Universität Siegen ist personell nur mit einer einzigen Wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle und damit von allen am schlechtesten ausgestattet.

Während alle geowissenschaftlichen Institute die ausschließlich fachwissenschaftlich orientierten Studiengänge Bachelor of Science (B.Sc.) und Master of Science (M.Sc.) in Geowissenschaften oder speziellen Teildisziplinen wie z.B. Geophysik anbieten, ist das Studienangebot der geographischen Institute/Arbeitsbereiche heterogener. An den Instituten für Geographie, Geoinformatik und Landschaftsökologie in Münster kann man sich ebenfalls für rein fachlich orientierte Studiengänge in den entsprechenden Vertiefungsrichtungen einschreiben und die Abschlüsse B.Sc. und M.Sc. erwerben. Das Institut für Didaktik der Geographie bietet wiederum andere Studiengänge an. Hier kann man zum einen den Bachelor of Arts (B.A.; 2-Fach) für die Grundschule und für die Haupt-/Real-/Gesamtschule (Sekundarstufe I) erwerben. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Studiengang Master of Education (M.Ed.) für die Grundschule, für die Haupt-/Real-/Gesamtschule (Sekundarstufe I) sowie für das Gymnasium/die Gesamtschule (Sekundarstufen I und II) zu wählen. Der erfolgreiche Abschluss dieser Studiengänge ist notwendige Voraussetzung für den Erwerb der ersten Staatsprüfung für das Lehramt an den entsprechenden Schulformen.

Im Geographischen Institut in Bochum kann neben dem Bachelor of Arts (B.A.; 2-Fach) für Gymnasium/Gesamtschule (Sekundarstufen I und II) auch der Bachelor of Science in Geographie studiert werden. Masterstudiengänge gibt es insgesamt zwei: 1. den M.Ed. für Gymnasium/Gesamtschule (Sekundarstufen I und II), 2. den M.Sc. in den Vertiefungsrichtungen Geomatik, Stadt- und Regionalentwicklung sowie Stadt- und Landschaftsökologie. Ein Alleinstellungsmerkmal des Geographischen Instituts der RUB ist der internationale Double Degree-Studiengang Transformation of Urban Landscapes, mit dem der M.Sc./M.Eng. erworben werden kann.

Siegen bietet die Studiengänge B.A. für Sachunterricht und seine Didaktik (Grundschule) und den M.Ed. für Sachunterricht und seine Didaktik (Grundschule) an.

In allen geographischen/geowissenschaftlichen Einrichtungen besteht nach einem erfolgreichen M.Sc.- oder M.Ed.-Abschluss die Möglichkeit zu promovieren und daran anschließend zu habilitieren, wodurch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sichergestellt ist.

Bis in die 1980er Jahre hinein existierten in Westfalen insgesamt drei Pädagogische Hochschulen in Bielefeld, Dortmund und Münster. Diese reinen lehramtsausbildenden Hochschulen wurden je doch im Rahmen der damals durchgeführten Umstrukturierung des Bildungswesens in Nordrhein-Westfalen in die dort bestehenden Universitäten überführt. An der Universität Paderborn wurde das Geographische Institut hingegen vollständig aufgelöst.

Die beiden oben gestellten Fragen lassen sich wie folgt beantworten: Die Geographie ist heute an allen vier Universitäten in Westfalen vertreten, die übrigen Geowissenschaften an zwei. Die Spannweite der Arbeitsschwerpunkte in den verschiedenen Einrichtungen ist enorm und sollte nicht nur erhalten bleiben, sondern weiter ausgebaut werden. Wünschenswert wäre dies vor allem für den Standort Siegen. Ein großer Erfolg für die geographische/geowissenschaftliche Bildung in Westfalen wäre es sicherlich, wenn die TU Dortmund ihr geschlossenes aber noch nicht aufgelöstes Institut für Geographie und ihre Didaktik wiederbeleben würde.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016