Konversion militärisch genutzter Flächen – ein Problem auch in Westfalen

01.01.2007 Volker Schmidtchen

Es gibt "Altlasten" verschiedenster Art. Gemeinhin denken wir in diesem Zusammenhang an die traurigen Ergebnisse von Umweltbelastungen durch Schadstoffe in Gewässern, in der Luft, im Erdreich und in Gebäuden. Zur öffentlichen Altlast können aber auch militärische Liegenschaften werden, die aufgrund strukturell veränderter politischer Verhältnisse aufgelassen worden sind. Sie enthalten übrigens häufig genug auch Elemente der erwähnten Belastungen.

Die sicherheitspolitische Situation unseres Landes musste eine neue Orientierung erfahren. Sie war und ist gekennzeichnet durch den Abzug verbündeter Streitkräfte und eine erhebliche Reduzierung der Bundeswehrstandorte. Übrig geblieben sind die vormaligen militärischen Liegenschaften in Form von Kasernen und Übungsplätzen.

Westfalen ist dabei in besonderer Weise betroffen, wie z.B. die bis Ende 2007 aufzugebenden Garnisonen in Borken, Coesfeld, Möhnesee, Lippstadt oder Hemer (s. Beitrag Grothues) zeigen.

Für diese Anlagen stellt sich die Aufgabe der Konversion, d.h. der praktikablen Überführung in neue Nutzungsformen. Damit werden solche Prozesse zu einer Angelegenheit öffentlichen Interesses. Schließlich sind in nahezu jedem Fall Bürgerinnen und Bürger von den veränderten Gegebenheiten positiv oder negativ betroffen. Das kann von Belastungen durch einen Anstieg des Verkehrsaufkommens über Gefährdungen verschiedenster Art bis zur allseitig begrüßten Schaffung neuer Arbeitsplätze reichen.

Die Konversion militärischer Liegenschaften beinhaltet stets einen wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandel im Verlauf eines längeren, oft Jahre dauernden Prozesses, bei dem hinsichtlich Planung wie Durchführung vielfältige Aspekte zu berücksichtigen sind. Sie reichen von der Bewertung und dem Erwerb des Geländes über die Untersuchung eventueller Altlasten, über neue Erschließungsmaßnahmen und Machbarkeitsstudien, die Entwicklung neuer Nutzungskonzepte inkl. der Berücksichtigung von Natur- und ggf. Denkmalschutz, das Suchen von Interessenten bis hin zu sozialen Fragen wie der Weiter- oder Neubeschäftigung, der Umsetzung oder des vorgezogenen Ruhestandes der zuvor in der Liegenschaft tätigen zivilen Arbeitskräften.

Dies alles gehört zum Aufgabenbereich des "Konversionsmanagements", das den Gesamtprozess von der ersten Planung bis zur symbolischen Schlüsselübergabe an den oder die neuen Nutzer steuert. Beteiligt sind dabei die Vertreter von Bund, Land und jeweiliger Kommune, städtische Ämter, private Planungsbüros, unabhängige Gutachter, eventuell Entsorgungsspezialisten und Kampfmittelräumdienste, Hoch- und Tiefbaufirmen, Architekten und selbstverständlich als Interessierte oder sogar direkt Betroffene die Bürgerinnen und Bürger vor Ort sowie die Medien.

Integrale Bestandteile solcher Konversionsprozesse sind daher grundsätzlich die Faktoren Wirtschaftsförderung, Strukturentwicklung, Raumplanung, Umweltschutz, Arbeitsförderung und Sozialer Konsens. Die Wertigkeiten dieser Elemente hängen dabei von der Art der jeweiligen Liegenschaft ab: Kaserne mit zugehöriger Wohnsiedlung und Versorgungseinrichtungen, Depot, Flugplatz, Radar- oder Raketenstellung, Standort- oder Truppenübungsplatz. Nicht alle vormaligen militärischen Anlagen lassen sich gleichermaßen "vermarkten". Dabei geht es immer um die Frage, ob nur die Fläche oder auch die Baulichkeiten in die künftige Nutzung einbezogen werden sollen. Weniger problematisch erscheint das bei Standortübungsplätzen, die sich nach dem Räumen von Munition und anderen militärischen Relikten den umliegenden naturbelassenen oder landwirtschaftlich genutzten Flächen angliedern lassen. Sie sind für eine bauliche Folgenutzung meistens nur von geringem Wert, haben aber unter ökologischen Aspekten hohe Bedeutung. Da sie oft über Jahrzehnte militärisch und damit immer nur zeit- und teilweise genutzt wurden, weisen sie besondere, an anderen Orten kaum noch anzutreffende Biotopverbundsysteme auf. In Nordrhein-Westfalen wurden bislang 34 solcher Übungsplätze mit einer Gesamtfläche von 1253 Hektar für zivile Nutzung freigegeben. Für den engeren Raum z.B. des Ruhrgebiets gibt es keine spezifischen Daten, und daher kann in diesem Zusammenhang nur auf die für ganz NRW erhobenen zurückgegriffen werden.
Abb. 1: Fahrzeugschuppen der ehemaligen St. Barbara-Kaserne in Dülmen (Foto: FIRMITAS)
Kasernen stellen den häufigsten und vielschichtigsten Typ militärischer Liegenschaften dar. Ihre Größe und Ausgestaltung richtet sich nach der Art und Anzahl der dort untergebrachten Truppen. Panzer-, Pionier-, Artillerie-, Nachschub- oder Instandsetzungsverbände benötigen wegen ihrer Fahrzeuge und ihres schweren Geräts andere Baulichkeiten als etwa Fernmeldetruppen, Sanitätszentren oder Kommandostäbe von Brigaden,  Divisionen oder Korps. Sie liegen teils inmitten, teils am Rande von Wohngebieten. Zu ihnen gehören in vielen Fällen die eigens für die Angehörigen der Streitkräfte gebauten Wohnsiedlungen in direkter Nachbarschaft zu den Kasernen. Betrachtet man die räumliche Ausdehnung, so lassen sich z.B. im Ruhrgebiet Anlagen von zwei bis zu mehr als 100 Hektar Fläche finden. Im Schnitt liegt die Fläche einer Kaserne aber zwischen 20 und 30 Hektar. Wie bei den Übungsplätzen liegen hier für NRW bislang nur Zahlen vor, die sich auf das gesamte Bundesland beziehen. Demnach wurden in den vergangenen 10 Jahren insgesamt 98 Kasernen mit einer Fläche von 2036 Hektar für die zivile Nutzung freigegeben. Die Frage nach Art und Umfang der Folgenutzung ist schon bei den ersten Konversionsplanungen und gemeinsam mit ernsthaften Interessenten und Investoren zu klären. Soll die Bausubstanz erhalten und für die neuen Zwecke nur saniert bzw. modifiziert werden, oder ist alles abzureißen, damit neu gebaut werden kann?

Für die Konversionsbemühungen bei Kasernen gilt dies in besonderer Weise. Wenn bei einer solchen Liegenschaft nicht noch umfängliche technische Bereiche wie Fahrzeughallen, Tankstellen und Werkstätten eingeschlossen sind, waren und sind häufig Überlegungen in Richtung einer Nutzung als Bildungseinrichtung von gewisser Attraktivität. Ob privates Schulungs- und Weiterbildungszentrum, Forschungsinstitut, Internat oder öffentliche Schule, Museum oder Archiv - alle solche Formen machen keinen Lärm, produzieren keine Abgase, belasten auch sonst nicht die Umwelt und belästigen im Allgemeinen die Anwohner nicht.
Abb. 2: Ehemalige britische Kasernenanlage in Dortmund-Ost, heute "Stadtkrone-Ost" (Quelle: Luftbildarchiv des RVR)

Die Kasernen, die Wohnsiedlungen und das Übungsgelände der britischen Streitkräfte in Dortmund (Abb. 2) wurden unterschiedlich konvertiert: Die Kasernengebäude an der Bundesstraße 1 hat man abgerissen, und auf dem Areal, der jetzigen "Stadtkrone Ost", entstanden umfangreiche Neubauten für Gewerbezwecke sowie Bürogebäude (s. Beitrag Maurmann). Die Reihenhaussiedlungen der Soldatenfamilien wurden saniert und an deutsche Käufer abgegeben. Das alte kleine Flughafengelände, das von der Rheinarmee als Landeplatz für Hubschrauber und für Übungen sowie als Golfplatz genutzt wurde, ist nun vollständig für den Sport erschlossen: Ein deutscher Golfklub betreibt dort weiter den Platz, und den Rest des Areals nutzt der Bundesligaverein Borussia Dortmund für Trainingszwecke.

In Wetter an der Ruhr versucht man auf dem Gelände eines ehemaligen Panzerausbesserungswerks der britischen Truppen die Ansiedlung eines Gewerbeparks.

Insgesamt 83 ehemalige Depots von Bundeswehr und NATO-Streitkräften mit einer Gesamtfläche von 2899 Hektar konnten seit 1990 in NRW zur zivilen Nutzung übernommen werden. Treibstoff-, Waffen- und Munitionsdepots liegen aus Sicherheitsgründen im Außenbereich ziviler Siedlungen, sonstige wie Lager für Bekleidung und Materialdepots, wie z.B. das in Dortmund-Sölde oder die Standortbekleidungskammer in Unna-Königsborn auch mitten in einer Wohnbebauung. Bei der Überlassung solcher Liegenschaften zur zivilen Folgenutzung ergeben sich im Fall der Waffen- und Munitionsdepots wegen ihrer  sehr speziellen Baulichkeiten in Form von ober- und unterirdischen Bunkeranlagen Probleme. Welche Gewerbebetriebe benötigen solche Bauten?

Stellungen von Flugabwehrraketen wie die vormalige Bundeswehr-Liegenschaft bei Holzwickede, die Überwachungsradare bei Schwerte oder verschiedene Nachrichtenanlagen wie am Möhnesee stellen besondere Fälle von Konversion dar. Die jeweiligen Flächen waren und sind relativ klein, umfassten oft nur wenige hundert Quadratmeter wie die vormals isoliert betriebene, aber in den Standortübungsplatz Unna-Holzwickede integrierte Nike-Hercules-Batterie der Luftwaffe. Während sich diverse Mobilfunkbetreiber immer wieder für die Örtlichkeiten von Radar- und Richtfunkstationen interessieren (in NRW 22 Anlagen mit 37 Hektar), bleibt für die ehemaligen 49 freigegebenen Raketenstellungen mit insgesamt 300 Hektar eigentlich nur der Weg der Renaturierung.

Konversion beinhaltet immer einen tief greifenden wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandel. Das ist ein oft viele Jahre dauernder Prozess, der geplant, gesteuert und überwacht werden muss. Auf die Entscheidung zur  Schließung militärischer Standorte haben die betroffenen Kommunen zu ihrem Leidwesen kaum Einfluss, doch es liegt an ihnen, wie der zwangsläufig eintretende Wandel bewältigt werden kann. Es geht eigentlich immer um dieselben Faktoren: Wirtschaftsförderung, Strukturentwicklung, Raumplanung, Umweltschutz, Arbeitsplätze und Sozialverträglichkeit. Aber: Es gibt keine einfachen Lösungen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007