Jugendherbergen in Westfalen – zwischen Kontinuität und Wandel

01.01.2014 Markus Quast

Inhalt

Abb. 1: Die erste Jugendherberge der Welt auf der Burg Altena im Märkischen Kreis (Foto: DJH-Landesverband Westfalen-Lippe)

Die Anfänge

Seit über 100 Jahren können junge Menschen auf preiswerte und attraktive Art und Weise verreisen: Das weltweite Netz der Jugendherbergen umfasst heute mehr als 4.500 Häuser. Bemerkenswert ist, dass die weltumspannende Idee des Jugendwanderns seinen Anfang im westfälischen Altena nahm. Im Sommer 1909 geriet der Volksschullehrer Richard Schirrmann bei einer Wanderung mit seiner Schulklasse in ein heftiges Gewitter und konnte eine Schule als Ausweichquartier nutzen. Hier nahm der Jugendherbergsgedanke seinen Anfang. Schirrmann entwickelte seine eigenen Vorstellungen von einem festen Netzwerk solcher "Wanderlager". In den folgenden Jahren konnte er den erfolgreichen Hilchenbacher Unternehmer Wilhelm Münker für seine Ideen gewinnen und begeistern. Gemeinsam entwickelten die beiden die organisatorischen und ideellen Grundlagen des Verbands. Zunächst noch als Unterabteilung des "Sauerländischen Gebirgsvereins", fand die Idee des Jugendwanderns rasch zahlreiche Freunde und Förderer und mündete schließlich in die Gründung eines eigenständigen Vereins. Dies war die Geburtsstunde des "Deutschen Jugendherbergswerks" (DJH). Im Jahr 1912 wurde die erste ständige Jugendherberge in der Burg Altena im Sauerland eröffnet. Sie ist als "Museum Weltjugendherberge" noch heute im Originalzustand erhalten und kann besichtigt werden (Abb. 1). Bald schon gab es in fast allen europäischen Ländern einen eigenen nationalen Verband für das Jugendwandern. So entwickelte sich rasch – ausgehend von seiner westfälischen Keimzelle – ein weltumfassendes Netz von Jugendherbergen, das heute ca. 530 Häuser allein in Deutschland umfasst.

Im Dritten Reich verloren die Jugendherbergen rasch ihre Selbständigkeit. Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Baldur von Schirach zum "Jugendführer des Deutschen Reiches" (17.06.1933) ernannt. Alle existierenden Jugendorganisationen wurden zerschlagen und seiner Organisation unterstellt. In diesem Zuge wurden auch die Jugendherbergen gleichgeschaltet und die Geschäftsstelle wurde vom westfälischen Hilchenbach nach Berlin verlegt.

Wiederaufbau 1945–1955

Bereits kurz nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs begannen Richard Schirrmann und Wilhelm Münker mit der Wiederaufnahme der Arbeit zum Wohle der Jugendherbergen in Westfalen-Lippe und weltweit. In unermüdlichem Einsatz und mit großem Elan wandten sie sich der Wiederbelebung des Jugendherbergsgedankens zu. Die Nachkriegsjahre stehen somit ganz im Zeichen von Neugründung und Wiederaufleben des Jugendherbergswerks. In den fünfziger Jahren boten die Jugendherbergen jungen Menschen eine einzigartige Möglichkeit, die engen ökonomischen Grenzen durch Fahrten und länderüberschreitendes Reisen aufzubrechen. Schnell entwickelte sich ein dichtes Netz von Jugendherbergen, und nie zuvor wurden so viele Jugendherbergen neu errichtet. Im Jahr 1958 umfasste das Jugendherbergsnetz in Westfalen-Lippe insgesamt 76 Häuser, größtenteils im Besitz des Landesverbandes, aber teilweise auch Häuser, die dem Landesverband angeschlossen waren. Der Landesverband zählte in diesem Jahr 1.063.789 Übernachtungen in insgesamt 8.069 Betten.

Abb. 2: Das moderne Jugendgäste- und Tagungshaus in Bielefeld (Foto: DJH-Landesverband Westfalen-Lippe)

Aufbruch zu neuen Ufern – Die Gegenwart

Es bestand zunehmend die Notwendigkeit des Übergangs vom reinen Idealismus zu mehr betriebswirtschaftlichem Denken. Dies hatte zur Folge, dass Standorte aufgegeben wurden und andere, zukunftsträchtigere, etwa in unmittelbarer Nähe zur Fußgängerzone in Dortmund oder in zentraler Lage in Bielefeld (Abb. 2), dazugekommen sind.

Die heutigen Jugendherbergen sind das Ergebnis kontinuierlicher Hinentwicklung zu mehr Qualität und Professionalität, ohne den gemeinnützigen und idealistischen Charakter aufzugeben. Somit sind die Ziele und Inhalte gleich geblieben, auch wenn sich die äußere Form gewandelt hat. Nach wie vor sind Jugendherbergen Stätten der Begegnung und Orte für soziales und interkulturelles Lernen. Hier können die Jugendlichen ihren Gemeinsinn stärken und den Wert von Toleranz, Aufgeschlossenheit und mitmenschlicher Verantwortung erfahren.

Derzeit gehören zum Landesverband Westfalen-Lippe 37 Herbergen (Abb. 3) mit ca. 6.000 Betten. Im Jahr 2012 wurden insgesamt 635.647 Übernachtungen registriert. Deutschlandweit zählten die Jugendherbergen im Jahr 2012 knapp 10 Mio. Übernachtungen. Um Jugendherbergen nutzen zu können, muss man Mitglied im Deutschen Jugendherbergswerk sein. Die Mitgliedschaft können Schulen, Körperschaften, aber auch Einzelpersonen und Familien erwerben. Allein in Westfalen-Lippe gibt es über 242.000 Mitglieder.

Abb. 3: Jugendherbergen des Landesverbandes Westfalen-Lippe 2012 (Entwurf: M. Quast, Quelle: DJH-Landesverband Westfalen-Lippe)

Durch zielgruppenspezifisches Marketing und passgenaue Angebote, etwa eine vielfältige Auswahl an erlebnispädagogischen Programmen, die Schulklassen das außerschulische Lernen ermöglichen, ist es dem Jugendherbergswerk in Westfalen-Lippe in den vergangenen Jahren gelungen, die Übernachtungszahlen stabil zu halten und gar auszubauen.

Vor große Herausforderungen wird die Jugendherbergen zukünftig allerdings die sich rasch wandelnde demographische Entwicklung stellen. Angesichts stark zurückgehender Schülerzahlen in den nächsten Jahren müssen die Herbergen neue Gäste- und Zielgruppen erschließen. Gegenwärtig zeichnen Schulklassen noch für knapp 50 Prozent der Übernachtungen verantwortlich. Der in der Vergangenheit attraktive Markt für Schulfahrten wird zunehmend umkämpfter und schwieriger. Die Zukunftsperspektive liegt für die westfälisch-lippischen Jugendherbergen – neben der Öffnung hin zu neuen Zielgruppen und der Erschließung neuer Einnahmequellen – in der konsequenten Investition in die Qualität der Häuser und ihrer Dienstleistungen. So haben sich die Jugendherbergen im Jahr 2005 einer DIN-EN-ISO 9001:2000 Zertifizierung unterworfen und klare Qualitäts- und Servicestandards definiert. Dies kommt den Gästen zugute, führt zu hoher Kundenzufriedenheit und sichert somit die Zukunft der Jugendherbergen ab. Diesen Weg wird das Jugendherbergswerk in Westfalen-Lippe auch in Zukunft kontinuierlich weiter beschreiten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007, Aktualisierung 2014