Südwestfalen – „Hidden Champion“ unter den deutschen Industrieregionen

01.01.2012 Christian Krajewski

Inhalt

Hervorgegangen aus frühneuzeitlicher Erzgewinnung und -verhüttung hat die Metall verarbeitende Industrie an vielen Standorten innerhalb Südwestfalens eine lange Tradition (s. u.a. Beitrag Walter). Heute nimmt das produzierende Gewerbe in der regionalen Wirtschaftsstruktur eine herausragende Stellung ein. Das "industrielle Herz" von NRW "schlägt schon seit langem nicht mehr im Ruhrgebiet“, sondern im Sauerland, Siegerland sowie in einigen Teilen von Ostwestfalen-Lippe und im Münsterland (Danielzyk u. Mielke 2006, S. 58). Während der Anteil an Industriebeschäftigten im Ruhrgebiet von 58% im Jahr 1970 auf 27,5% in 2010 zurückgegangen ist, werden heute im westlichen Sauerland die höchsten Werte mit einem Industriebeschäftigtenanteil von 43–44% erreicht (Märkischer Kr. und Kr. Olpe; Abb. 1). Bezogen auf den über 40%-igen Beschäftigtenanteil im produzierenden Gewerbe ist Südwestfalen nach den IHK-Bezirken Schwarzwald-Baar-Heuberg mit 51% und Ostwürttemberg (Aalen-Heidenheim) mit 48% "Deutschlands Industrieregion Nr. 3" (Frye 2012).

Sowohl aufgrund ihrer recht guten Erreichbarkeit, ihres ausreichenden Flächenpotenzials und durch niedrige Grundstückspreise als auch durch das Angebot an hoch qualifiziertem Personal bieten ländliche Räume wie die Region Südwestfalen insbesondere für das produzierende Gewerbe hervorragende Standortbedingungen (Danielzyk u. Mielke 2006, S. 58). Schwerpunktbranchen des industriellen Sektors sind die Metall erzeugende und verarbeitende Industrie und der Maschinenbau, die als regionales Alleinstellungsmerkmal fungieren, die Elektrotechnik und Leuchtenindustrie, die Kunststoffindustrie und Werkstofftechnologie, die Armaturenindustrie sowie Zulieferer für Automobil- und Fahrzeugbau (s. Beitrag Wittkampf). Im Ernährungsgewerbe haben sich insbesondere die vormals regional ausgerichteten, mittelständischen Privatbrauereien Krombacher, Veltins und Warsteiner zu drei der größten Brauereien Deutschlands entwickelt.
 

Abb. 1: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach Wirtschaftssektoren 2010 (Quelle: IT NRW 2012)

Prosperierende mittelständische Wirtschaft mit Industrie-Fokus

Charakteristisch für Südwestfalen und wesentlich für seinen ökonomischen Erfolg ist die Unternehmensstruktur und -kultur aus inhaber- bzw. familiengeführten klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU). 85% der Betriebe haben weniger als 250 Mitarbeiter, so dass die regionale Wirtschaft mit einer sehr geringen Abhängigkeit von Großunternehmen für den internationalen Wettbewerb zur Zeit als recht gut aufgestellt gelten kann. Typisch für die zum Teil starke Exportorientierung der KMU ist die lokale Verankerung bei globaler Vernetzung. Unter diesen finden sich zahlreiche Hidden Champions, also weniger bekannte Unternehmen, die aufgrund ihrer qualitativ hochwertigen oder innovativen Produkte in ihren bestimmten Marktsegmenten zu den (Welt-)Marktführern zählen (s. Beitrag Hübschen). Einige in Südwestfalen ansässige Betriebe unterhalten zwar Fertigungsstätten insbesondere im süd- und osteuropäischen Ausland, aufgrund des Fachkräftepotenzials verbleiben der Hauptsitz und damit die Managementfunktionen jedoch meist in der Region. Die regional verankerte Unternehmenskultur ist oftmals eng verknüpft mit einem hohen regionalen Identifikationsgrad der Unternehmer, was sich nicht selten in gesellschaftlichem und sozialem Engagement in der Region spiegelt und dazu beiträgt, Abwanderungstendenzen zu minimieren (vgl. Weber u. Krajewski 1999).

Der industrielle Sektor ist trotz der Ausbildung von Schwerpunktbranchen und Clustern diversifiziert und verfügt über ein hohes Qualifikations- und Qualitätsniveau, was sich beispielsweise am Facharbeiterpotenzial ebenso wie an überdurchschnittlich vielen Patentanmeldungen festmachen lässt. Die Metallbe- und -verarbeitung ebenso wie der Maschinenbau stellen eine zentrale Komponente des Automotive-Clusters in Südwestfalen dar. Mit über 400 Unternehmen ist der Automotive-Sektor eine Schlüsselindustrie Südwestfalens. Jeder sechste Indus-
triearbeitsplatz entfällt auf diese Branche und jedes achte Unternehmen gehört zu den Automotive-Zulieferbetrieben (vgl. SIHK 2005, S. 1ff.). Mit fast 29.000 Erwerbstätigen sind rund 15% der regionalen Industriebeschäftigten in der Automobilzulieferindustrie tätig, das entspricht etwa 20% der Gesamtbeschäftigtenzahl in der Automotive-Branche NRW-weit bzw. einem 9%-igen Beschäftigtenanteil deutschlandweit.

Die gesamtwirtschaftliche Situation in der Region Südwestfalen prägten in den letzten drei Jahrzehnten klare Wachstumsprozesse. So ist die Entwicklung der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Region seit 1980 deutlich positiver verlaufen als in Gesamt-NRW (+10% gegenüber +3,5%) und insbesondere im Vergleich mit dem Ruhrgebiet (-12,5%; IT NRW 2012). Die insgesamt positive wirtschaftliche Entwicklung schlägt sich auch in entsprechender Weise auf dem Arbeitsmarkt nieder. Nach der Arbeitsmarktregion Münsterland mit 4,7% weisen die Arbeitsagenturen in Meschede (5,1%) und Siegen (5,4%) die nächstniedrigsten Werte auf (Südwestfalen insgesamt: 5,9%). Die Arbeitslosenquote liegt damit in der Region deutlich unter der Quote von NRW (8,2% im Frühjahr 2012) und des nationalen Durchschnitts von 7%. Die Stärke der mittelständischen Wirtschaftsstruktur mit ihrem ausgeprägten industriellen Schwerpunkt hat dazu geführt, dass die Region Sauerland-Siegerland heute zu den Regionen in Nordrhein-Westfalen mit statistisch höchstem verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen zählt (vgl. Krajewski 2010). Das höchste Pro-Kopf-Einkommen in NRWs Kreisen und kreisfreien Städten wurde im Jahr 2007 mit bis zu 26.000 Euro im Kreis Olpe erreicht, wohingegen jeder Einwohner – bezogen auf Gesamt-NRW – über ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 19.000 Euro verfügte (s. Beitrag Wittkampf).

Die Betrachtung der sektoralen Verteilung der Beschäftigten unterstreicht die herausgehobene Stellung des Produzierenden Gewerbes in Südwestfalen (rd. 38%; Abb. 1). Der Dienstleistungssektor dagegen ist hinsichtlich des Beschäftigtenanteils (60%, NRW: 70%) noch eher unterdurchschnittlich entwickelt (s. Beitrag Wittkampf), wohingegen nicht zuletzt aufgrund der im Mittelgebirge ungünstigen natürlichen Bedingungen die Bedeutung der Landwirtschaft mit einem Beschäftigtenanteil von rund 2% heute eher marginal geworden ist. Forst- und Holzwirtschaft in Sauer- und Siegerland profitieren dagegen aktuell von der im Kontext der Energiewende steigenden Bedeutung nachwachsender Rohstoffe ("Energielandschaften"). Obwohl die Wirtschaft Südwestfalens stark industriell geprägt ist, spielen Tourismus- und Freizeitwirtschaft als direkte und indirekte Einkommensquelle eine immer bedeutendere Rolle für die Regionalentwicklung. Denn im Hinblick auf die Globalisierung und den demographischen Wandel wird der Wettbewerb nicht nur um Besucher, sondern auch um Unternehmen, Fachkräfte und Einwohner immer schärfer. Zur Wettbewerbsfähigkeit ebenso wie zur Bindung und Anwerbung von Bewohnern und Fachkräften zählt heute als weicher Standortfaktor immer mehr eine hohe Lebensqualität in attraktiver Umgebung. Aufgrund des hohen Freizeit- und Erholungswerts besitzt die Region hier entsprechende Standortqualitäten, die allerdings bisher nur unzureichend kommuniziert und vermarktet werden.

Neue Impulse durch die REGIONALE 2013

An dieser Stelle setzt der von der Netzwerkinitiative "Wirtschaft für Südwestfalen e. V." 2011 angestoßene Prozess des Regionalmarketings unter dem Claim "Alles echt" mit dem Ziel an, die Wahrnehmung und Wahrnehmbarkeit Südwestfalens als dynamische Wirtschaftsregion mit hoher Industriedichte nach innen und außen zu verbessern. Inwieweit dies gelingen kann, hängt im Kontext des Regionenbildungsprozesses in Südwestfalen auch in entscheidendem Maße von der Strahlkraft und vom Gesamterfolg der REGIONALE 2013 ab, welche – zugleich Leistungsschau wie Lernprozess – darauf abzielt, den angesprochenen Mega-Themen bzw. Herausforderungen zu begegnen, wobei aus der Nachhaltigkeitsperspektive sowohl die "Stärkung einer der leistungsfähigsten Industrieregionen in NRW mit ihrer mittelständischen Wirtschaftsstruktur" im Fokus steht als auch der "Erhalt der Naturlandschaft" (Südwestfalen Agentur 2012). In sozioökonomischer Hinsicht will die REGIONALE 2013 mit dem Arbeitsschwerpunkt WirtschaftsWissen ("Technikregion zum Anfassen, Erleben und Entwickeln") den Wissens- und Erfahrungsaustausch erhöhen – innerbetrieblich und intergenerativ, durch zwischenbetriebliche Netzwerkarbeit, durch eine intensivere Zusammenarbeit und Kooperation von KMU mit den regionalen Hochschulen und Know-How-Transfereinrichtungen sowie die Förderung von Technikinteresse bereits bei Kindern und Jugendlichen (vgl. www.suedwestfalen.com; s. auch Beitrag Grothues).

Fazit

Profitierend von der relativen Nähe zu den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr, aber vor allem basierend auf endogenen Innovations- und Wachstumsprozessen, die auf die klein- und mittelständische Wirtschaftsstruktur mit klarem industriellem Fokus zurückzuführen sind, hat sich in Südwestfalen in den letzten Dekaden insbesondere in ökonomischer Hinsicht eine überdurchschnittliche dynamische Regionalentwicklung vollzogen, die einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Gesamtentwicklung des Bundeslandes leistet. Südwestfalen stellt damit als Industrie- und Technologiestandort ein Positiv-Beispiel einer prosperierenden Region im metropolenfernen, ländlichen Raum NRWs dar. Für die Wahrnehmbarkeit Südwestfalens und die Zukunftsfähigkeit erfolgreicher Regionalentwicklung ist dabei – vor dem Hintergrund der angesprochenen Herausforderungen wie des aufkommenden Fachkräftemangels – der Erfolg der von der REGIONALE 2013 verfolgten regionalen Profilierungsstrategie nach innen und außen auf Basis einer entwickelten regionalen Identität innerhalb der neuen Kooperationsregion essentiell.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2012