300 Jahre Höhendörfer am Rothaarkamm – Hoheleye, Langewiese, Mollseifen und Neuastenberg

03.08.2015 Meinolf Rohleder

Inhalt

"Jubiläumsjahr", so lautete 2013 das Motto der "Grenzleute" der vier Ortschaften Hoheleye, Langewiese, Mollseifen und Neuastenberg im Grenzgebiet zwischen Hochsauerland und Wittgenstein. Am ersten Wochenende im August 2013 feierten die "Höhendörfer" des Rothaarkamms auf der Winterberger Hochfläche ihr 300-jähriges Gründungsjubiläum mit einem großen Fest.

Die vier Dörfer wurden im Zuge der kommunalen Neugliederung im Jahr 1975 der Stadt Winterberg angegliedert. Vor diesem Zeitpunkt waren sie selbstständig und gehörten dem damaligen Kreis Wittgenstein an.

Abb. 1: Banner der Höhendörfer auf dem Albrechtsplatz (B236/ B480) (Foto: M. Rohleder 2013)

Die Einwohner der vier Höhendörfer wiesen mit dem Jubiläumsfest eindrucksvoll auf die Gründung ihrer Ortschaften durch den Grafen Casimir von Wittgenstein-Berleburg (1687–1741) im Jahr 1713 hin.

65 Jahre war der Westfälische Friede alt, als Graf Kasimir den Entschluss fasste, die höher gelegenen Grenzräume Wittgensteins – mit dem Kurfürstentum Köln im Nordwesten – zu besiedeln. Damit verfolgte der pietistisch gesinnte und für seine Zeit bemerkenswert weltoffene und tolerante Graf Casimir die Umsetzung gleich mehrere Zielvorstellungen.

Beim Studium in Halle/Saale lernte er Hermann August Francke kennen, der zu dieser Zeit eine neue, innovative sozialpädagogische Einrichtung aufbaute. Danach begab er sich auf eine Kavalierstour in die Niederlande und nach England. Im Jahr 1712 übernahm er, gerade einmal 25 Jahre alt, die Regentschaft in seiner – im europäischen Vergleich wirtschaftlich zurückgebliebenen – Grafschaft.

Insbesondere hatten die Streitigkeiten mit den westfälischen Grenzstädten Winterberg und Hallenberg aus der Sicht Casimirs eine modernere Entwicklung seines Herrschaftsgebietes erheblich behindert. Damit nun sein kleines Territorium ökonomisch mehr Nutzen als bisher einbringen sollte, begann der junge Regent, neue Siedlungen und Kanonhöfe zu errichten. In diese Periode fiel auch die Gründung der heutigen vier Höhendörfer – mit dem heutigen Neuastenberg als ersten Ort "oberhalb von Girkhausen auf dem sogenannten Astenberg", so der Wortlaut der Gründungsurkunde vom 30.07.1713. Casimir wollte durch "Peuplierung" (Ansiedlung durch Menschen) wirtschaftliche Aktivitäten in den höher gelegenen Gebieten des Rothaarkamms entfalten. Zugleich bedeutete dies eine stärkere politische Kontrolle in dem leeren Grenzraum.

Es spricht für seine Toleranz, dass Casimir Menschen – ohne Relevanz einer konfessionellen oder territorialen Herkunft – zur Ansiedlung in das bevölkerungsarme Wittgensteiner Land ermunterte. So warb er auch katholische Siedler aus dem Sauerland an, die sich fast ausschließlich in Neuastenberg niederließen.

Die Gründung der Höhendörfer (Mollseifen, Langewiese und Hoheleye folgten dann vermutlich schrittweise in den folgenden Jahren) belegt einen quasi einmaligen Gründungsakt dörflicher Siedlungen in der westfälischen Geschichte der Neuzeit. Der "Winterberger Streit" konnte allerdings erst einige Jahrzehnte später im Jahr 1783 durch Verhandlungen der Grafschaft mit dem Herzogtum Westfalen abschließend beigelegt werden.

Abb. 2: Ortsteile der Stadt Winterberg (Quelle: Stadt Winterberg)

Kanonisten als erste Siedler

Graf Casimir richtete für die angeworbenen Neusiedler sog. Kanonhöfe ein. Das für die damalige Zeit "moderne" Kanonrecht bedeutete, dass ein Siedler seine Hofstelle gegen einen relativ geringen Pachtzins überlassen erhielt ohne die Verpflichtung zu weiteren Abgaben an Naturalien oder Steuern, jedenfalls nicht in den ersten Jahren seiner Siedlungstätgkeit. Allerdings mussten sich die Kanonisten in der Regel damit abfinden, dass ihnen unkultivierte Landflächen mit schlechten Böden zugewiesen wurden, die sie urbar machen mussten. Dazu kamen die für landwirtschaftliche Tätigkeiten äußerst ungünstigen klimatischen Bedingungen in den Höhenlagen des Rothaarkamms. Die Bezeichnung "Höhendörfer" ist bei einer Höhenlage von über 700 m wahrlich zutreffend.

Für Neuastenberg sind die Namen der ersten 14 Siedler aus der Gründungsurkunde und den Salbuch-Eintragungen bekannt, ebenso die Größe der ihnen zugeteilten Wiesen und Äcker. Die Ackerparzellen schwankten zwischen 150 und 715 Ar (1 Ar (a) = 100 m2), die Flächen der Wiesen waren erheblich kleiner.

Tab. 1: Einwohnerzahlen in Winterberg (Haupt- und Nebenwohnsitz) am 30.06.2012 (Quelle: Stadt Winterberg)

Holzkohle und Holzlöffel

Die neugegründeten Kanondörfer (in Hoheleye blieb es bei drei Höfen) waren fast ausschließlich Köhler-Siedlungen. Die Köhler produzierten aus den umliegenden reichlich vorhandenen Rotbuchenwäldern Holzkohle, die für das wachsende Eisengewerbe in großen Mengen benötigt wurde. Manche der Köhlerplätze, die sog. Meilerplatten, sind noch heute in den Wäldern zu finden. In den langen kalten Wintermonaten wurden – vorwiegend in Heimarbeit – aus Ahornholz Holzlöffel, -schüsseln und andere Holzwaren hergestellt. Einzelne Schmieden stellten Sensen her. Dies konnte zwar die verbreitete Armut nicht grundlegend ändern, führte langfristig jedoch zu einer gewissen Belebung von Handwerk und Handel.

Die Bevölkerungszahl von Neuastenberg und Langewiese wuchs im ersten Jahrhundert nach dem Beginn der Siedlungstätigkeit bis zum Jahr 1818 auf 318 bzw. 235 Einwohner. Neuastenberg hatte damit zu Beginn des 19. Jh.s bereits mehr Einwohner als das sehr viel früher (um 1540) gegründete Altastenberg (272 Ew.). Das ist bis heute so geblieben. 1871 überrundete dann Langewiese mit 242 Einwohnern den Pionierort (240 Ew.). Mollseifen hingegen erreichte nie eine stabile Bevölkerungszahl von 100, Hoheleye kam kaum über 30 Einwohner (Statistisches Landesamt NRW 1966, S. 228 u. 265).

Abb. 3: Leinwand mit historischem Foto an der alten Bürstenfabrik in Neuastenberg (Foto: M. Rohleder 2015)

Von Hausierer- zu Skidörfern

Seit Beginn des 20. Jh.s fand eine wirtschaftliche Neuorientierung der Höhendörfer statt: Die Produktion von Holzkohle war mit dem Einsatz der Steinkohle in der Montanindustrie beendet. Von der Produktion von Holzwaren blieb der Standort einer Bürstenfabrik ("Lorenz Sander", 20–25 Beschäftigte) in Neuastenberg mit einer Blütezeit in der ersten Hälfte des 20. Jh.s (Abb. 3). Die Vermarktung der Holzwaren, später auch von Sensen, Sicheln sowie auch Nägeln, Ketten und Schrauben übernahm der auf der Winterberger Hochfläche weit verbreitete und transnational agierende Hausiererhandel. Dieser war für die Höhendörfer am Ende des 19. Jh.s die bedeutendste Einkommensquelle. Man schätzt, dass damals etwa die Hälfte der männlichen Erwerbstätigen im Hausiererhandel tätig war. Die Hausierer waren in vielen Teilen Deutschlands, aber auch im europäischen Ausland (Niederlande, Schweiz) unterwegs. Mit der industriellen Massenproduktion sowie dem Ausbau moderner Transportwege erlebte auch diese wirtschaftliche Tätigkeit in den 1920er Jahren ihr Ende.

Bereits 1884 bekam der "kahle Astenberg" einen Aussichtsturm. Dessen Bau kennzeichnet den Anfang einer neuen Phase in der Entwicklung der Höhendörfer. Wanderer und "Sommerfrischler" entdeckten das Hochsauerland – nicht nur den Hauptort Winterberg, sondern auch dessen Nachbarorte. Vor dem Ersten Weltkrieg existierten bereits sechs Beherbergungsbetriebe mit 84 Gästebetten in Neuastenberg, zu jener Zeit mehr als im upländischen Hauptort Willingen. Spätestens in den 1920er Jahren entwickelten sich zwei unterschiedliche Saisonzeiten: eine Sommersaison mit einer Aufenthaltsdauer von zwei Wochen und mehr sowie eine Wintersaison um Neujahr, abhängig natürlich von den vorhandenen Schneeverhältnissen. Erste Werbeprospekte wurden verteilt.

Im Februar 1908 wurde bereits ein Skiclub gegründet, die Keimzelle des heutigen Skiclubs Neuastenberg/Langewiese. In den 1950er Jahren begann der eigentliche Aufschwung des Fremdenverkehrs mit der Gründung eines Fremdenverkehrsvereins. Zugleich begann der schrittweise Ausbau zu einem modernen Skidorf mit dem Skigelände "Postwiese" östlich des Dorfes. Heute sind Neuastenberg (mit seinen Liften eher alpin orientiert) und Langewiese (mit seinen Loipen eher nordisch ausgerichtet) fester Bestandteil der "Ferienwelt Winterberg". Die Übernachtungszahlen, nicht zuletzt durch die zahlreichen niederländischen Gäste, stiegen von etwa 45.000 im Jahr 1961 auf inzwischen weit über 100.000 (Verkehrsverein Neuastenberg 2015) – insbesondere durch den Bau eines Ferienparks im Jahr 1982 mit einer Kapazität von 600 Betten. Dieses Vorhaben war keinesfalls unumstritten, bedeutete doch die Zahl der Betten fast das Doppelte der Einwohnerzahl. Das Bild des ältesten der vier Höhendörfer veränderte sich entscheidend, gleichwohl hat sich aus touristischem Blickwinkel die Ansiedlung des Ferienparks bislang als erfolgreicher Impulsgeber für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Stadt erwiesen (s. Beiträge Fischer und Rohleder).

Fazit

Als Nachfahre von Graf Casimir bewertete Gustav, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, die Gründung der Höhendörfer in seinem Grußwort zum 300-jährigen Jubiläum wie folgt: "Heute würde man sagen, dass Graf Casimir bemüht war, mehr Wertschöpfung im Lande zu belassen und Kreativität zu fördern. Tatsächlich widmeten sich die Kanonisten immer auch anderen Handwerksbereichen und förderten somit die Entwicklung des Landes" (Schützenverein Neuastenberg/Dorfgemeinschaft Neuastenberg 2013, S. 5).

Es ist den "Grenzleuten" der Höhendörfer zu wünschen, dass sie sich ihre Kreativität in umsichtiger und nachhaltiger Weise erhalten und entsprechend zukunftsorientiert im Einklang mit der Natur in einem einmaligen Mittelgebirgsraum einsetzen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2015