Das Hellweggebiet – ältester Wirtschaftsraum Westfalens

01.01.2007 Klaus Temlitz

Das Hellweggebiet grenzt im Norden an die Lippe und das Münsterland, im Süden an das Sauerland. Westlich schließen sich (ab Dortmund) das Emscherland und östlich die Paderborner Hochfläche an. Außer der Bezeichnung "Hellweggebiet" sind auch die Begriffe "Hellwegbörden" oder "Hellweg" für den Naturraum zwischen Dortmund und Paderborn gebräuchlich. Die prägenden Geofaktoren, wie u. a. die bodennahen Gesteine, die Geländeformen, die Grund-  und Oberflächenwasserverhältnisse, die Böden und das Klima, weisen Besonderheiten auf, die das Hellweggebiet zum ältesten Wirtschaftsraum (Industrie und Landwirtschaft) in Westfalen werden ließen.
Abb. 1: Profil Lippstadt-Rüthen (Quelle: M. Hofmann 1985)
Die bodennahen Gesteine sind verfestigte Sedimente (Ablagerungen) vom Grunde eines Meeres, das sich hier zur Oberkreide-Zeit (vor ca. 100 bis 70 Mio. Jahren) von Norden her ausdehnte. Zunächst kam es zur Ablagerung kalkreicher Sedimente eines Flachmeeres und im Folgenden zu Tonmergel-Ablagerungen, was auf eine Eintiefung des Meeres hinweist. Wie sich diese Sedimentationsfolge und die leichte Abdachung (5 bis 10°) der Gesteinsschichten auf das Hellweggebiet auswirkten, verdeutlicht ein Profilschnitt vom Lippetal bei Lippstadt bis zum Möhnetal bei Rüthen (Abb. 1): Über eine Distanz von rd. 20 km Luftlinie lassen sich vier Kleinlandschaften unterscheiden.

Erstens eine von rd. 100 m ü. NN nach Süden zum Haarstrang ansteigende Landterrasse aus Kalksteinen der älteren Oberkreide-Zeit (Cenoman- und Turon-Stufe), die charakteristisch sind für die sog. Obere Hellwegbörde oder - kurz - Oberbörde. Die Schrägstellung der Landterrasse erfolgte mit der Hebung des unterlagernden, 300 Mio. Jahre alten Grundgebirges ab der Kreide-Zeit. Bei Rüthen, in fast 400m Höhe, enden die Cenoman- und Turon-Schichten in zwei Schichtköpfen, die die zweite Kleinlandschaft, die Haarhöhe, bilden. Die Stufenstirn der Cenoman-Schicht geht direkt über in den Hang des 100 m tiefer liegenden Möhnetals im gefalteten Grundgebirge aus dem Erdaltertum.

Nach Norden, zur Lippe hin, liegt die flachere Hellwegtalung, die sog. Untere Hellwegbörde bzw. Unterbörde, als dritte Kleinlandschaft. In ihr bilden statt der Kalksteine die (tonig-kalkigen) Tonmergelsteine den Untergrund. Die vierte Kleinlandschaft schließlich ist die Lippeniederung mit erdgeschichtlich jüngstzeitlichen (quartären) Sedimenten über den Tonmergeln. Die Tonmergel der Unterbörde wurden in der Saale-Eiszeit (vor rd. 250.000 Jahren) von Gletscherschutt aus Sanden und Kiesen bedeckt. Über diesen wiederum lagerte sich in der letzten Eiszeit (Weichsel-Eiszeit), die vor 10.000 Jahren endete, Feinbodenmaterial (Löss) ab, das Winde aus dem damals fast vegetationsfreien norddeutschen Tiefland herauswehten und in dem ansteigenden Hellweggebiet wieder absetzten.
Abb. 2: Grundwasserflussmodelle Münsterländer Becken (a) und Hellweggebiet (b) (Quelle: Geologisches Landesamt NRW 1995, geringf. verändert)

Der Schichteneinfall sowie der Wechsel von Kalk- zu Tonmergelsteinen an der Grenzlinie zwischen der Ober- und Unterbörde führten zu einer gewässerkundlich interessanten Erscheinung im Hellweggebiet (Abb. 2): Im verkarsteten (klüftigen) Kalkstein der Oberbörde versickern Niederschläge und selbst Bäche, die somit längere Zeit trocken fallen können. Das versickernde Wasser fließt als Karstgrundwasser zur Unterbörde ab. Das klüftige Kalkgestein, in dem es fließt, setzt sich nach Norden unter dem Münsterland muldenförmig weiter fort und streicht an dessen Rändern, z. B. am Teutoburger Wald, wieder aus (Abb. 2a). In diesem nach oben hin von wasserundurchlässigen Tonmergeln verschlossenen (artesischen) Becken hat sich im Laufe der Erdgeschichte Salzwasser (Sole) gesammelt, das infolge des artesischen Überdrucks selbsttätig aufsteigt. Beide Wassersysteme im gleichen Kalkgestein, d. h. das Karstgrundwasser (Süßwasser) der Oberbörde und die Sole im Münsterländer Becken, drücken gewissermaßen gegeneinander und stehen dabei im Gleichgewicht. Das führt zu einem Aufstieg bzw. Emporquellen beider Wassersysteme dort, wo die Tonmergel enden, die die Sole deckeln (Abb. 2b). Und so finden sich entlang der Ausstrich-Linie der Tonmergel an der Grenze Unter-/Oberbörde in einem schmalen Streifen von West nach Ost Karstwasser- neben Solequellen ("Westfälische Quellenlinie").

Der Reichtum an Süßwasser und die Möglichkeit, das lebensnotwendige Salz aus den Solen zu gewinnen, ließen die Quellenlinie schon in der Jungsteinzeit zu einer bevorzugten Siedlungs- und wichtigen "Produktionsachse" sowie zu einem vielfrequentierten Handelsweg werden. Die Bedeutung dieses alten, dominanten Verkehrsstranges, des "Hellweges", zwischen Flandern, dem Niederrhein, Mitteldeutschland und Osteuropa kommt auch in der Belegung mit der Ziffer 1 bei der Nummerierung der deutschen Fernstraßen in den 1920er Jahren zum Ausdruck. Die von Archäologen getätigten Funde von Eisenerz- und Bleiobjekten (aus nahe gelegenen Lagerstätten im Sauerland) sowie Zeugnissen von deren Weiterverarbeitung im Hellweggebiet lassen auf die Herstellung weiterer Produkte (neben Salz) in dem vor- und frühgeschichtlichen Wirtschaftsraum schließen. Hinzu kam noch das Brennen von Kalkstein aus der Oberbörde zu Mörtel.

Heute sind die natürlichen oder künstlich erschlossenen Soleaufstiege (um 1850 noch über 100) weitgehend versiegt, und die älteste Industrie Westfalens, die Salzproduktion, ist zum Erliegen gekommen. Von den Stätten der Salzgewinnung blieben drei als Solebäder erhalten: Bad Sassendorf (Bad seit 1817), Bad Westernkotten (seit 1845) und Bad Waldliesborn (seit 1913). Die Kalksteine werden nach wie vor als hochwertige Rohstoffe abgebaut für die Zementindustrie am Hellweg, die aufgrund des hohen Kalk-Gehalts der Steine (um 80%) keiner reinen Kalksteine aus anderen Gebieten als Zuschlagstoffe bedarf wie z. B. die Zementindustrie im benachbarten Beckumer Revier (s. Beitrag Grothues).

Nicht nur das reichliche Süßwasserangebot, die Solequellen, die Verarbeitung von Blei- und Eisenerzen, das Vorkommen reiner Kalksteine und die Lage an einem Fernhandelsweg machten das Hellweggebiet schon früh für die Menschen interessant, sondern auch die Lössauflage und das Klima. Auf dem Löss entwickelten sich nährstoffreiche Böden mit den höchsten Ertragsmesszahlen in Westfalen von 65 bis 85 (auf einer Skala von 0 bis 100). Außerdem begünstigen die Lufttemperaturen im Jahresverlauf hier die natürlichen Wachstumsbedingungen der Kulturpflanzen. Messungen der Dauer des produktiven Pflanzenwachstums ergaben im Mittel der Jahre 1936 bis 1960 für das Hellweggebiet 230 Tage, für das Münsterland vergleichsweise 220 und das Sauerland 200 bis 190 Tage. Die guten Voraussetzungen hinsichtlich der Böden und der Vegetationsperiode haben schon die ersten Bauern in der Jungsteinzeit veranlasst, sich im Hellweggebiet anzusiedeln, so dass es nicht nur als das früheste "Industriegebiet", sondern auch als die älteste landwirtschaftliche Region im Westfälischen gelten kann. Aus dem ursprünglichen Buchenwaldgebiet wurde ein intensiv landwirtschaftlich genutztes Offenland mit kleinen Waldparzellen und Ufergehölzen. Der Anteil der Landwirtschaftsfläche an der Gesamtfläche beträgt z. B. in den Hellweggemeinden des Kreises Soest heute 70 bis 80% (Landesdurchschnitt 2005: 50,2%).

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007