Baukultur und Orte des Konsums – Handelsarchitektur in westfälischen Städten

01.01.2011 Johannes Lücke

Inhalt

Die Verbindung zwischen Funktionalität und ästhetischer Gestaltung von Einzelhandelseinrichtungen bildet ein Spannungsfeld, das verstärkt im Fokus der städtebaulichen Kommunalentwicklung steht. Strukturelle Veränderungen in der Einzelhandelslandschaft, die einerseits mit Funktionsverlusten in Form von erhöhten Leerstandsquoten sowie zu­nehmender Filialisierung in den Innenstädten und andererseits mit einer Zunahme des großflächigen Einzelhandels in nicht-integrierten Lagen einher gehen, beeinflussen auch das äußere Erscheinungsbild von Einzelhandelsstandorten (s. Beitrag Krajewski/Schulte). Häufig wird dabei das Gesamtbild in vielen Innenstädten, welches stark durch die "Corporate Identity" großer Warenhäuser und Filialisten bestimmt wird, als zu starr, uniform, beliebig oder austauschbar bezeichnet (Vesper 2004, S. 7). Und auch abseits der Innenstädte sorgen großflächige Discounter und Fachmärkte nur selten für Attraktivität in Stadtrandlagen. Diese Entwicklungen lassen sich in unterschiedlichem Ausmaß auch in westfälischen Städten wiederfinden, darüber hinaus gibt es aber auch individuelle Eigenschaften und Ansätze, die zur Aufwertung vieler Standorte beitragen und sich von der gängigen Praxis positiv abheben.

Abb. 1: Kaufhaus Holtermann in Ahlen aus dem Jahr 1906 (Quelle: Spohn et al. 2010, S. 111)

Zwischen Leuchtturm und Alltag

Die Gebäude des Einzelhandels stellen einen wesentlichen Bestandteil des öffentlichen Raumes dar und besitzen das Potenzial, historische Ensembles in den Städten auf- oder abzuwerten. Es gibt kaum eine andere Nutzung, bei der die Schwelle zwischen privat und öffentlich häufiger überschritten wird (Vesper 2004, S. 7). Dabei muss grundsätzlich zwischen Großprojekten mit Leuchtturmcharakter, die sich durch außergewöhnliche Architektur oder Größe von der direkten Umgebung abheben, und der normalen Alltagsarchitektur unterschieden werden, die häufig den profanen Masseneinzelhandel betrifft, aber vom Menschen genauso wahrgenommen wird wie die sog. "Flagship-Gebäude" (Basten 2009, S. 7). Gerade innerhalb der Praxis der Stadtgestaltung spielen Faktoren wie die historische Vorprägung der Umgebung oder die wirtschaftliche Dynamik eine entscheidende Rolle und werden durch bedeutende übergeordnete Entwicklungen, wie die ökonomische Globalisierung, informationstechnische Neuerungen oder den soziodemographischen Wandel ergänzt. Für die Stadt selbst gibt es weitere Herausforderungen, die es auf lokaler bzw. regionaler Ebene zu bewältigen gibt. Neben unterschiedlichen Interessenslagen bei Planern, Bauherren und Bürgern ist für die Kommune hier insbesondere die Positionierung im zu­nehmenden Städtewettbewerb von Bedeutung. Die Präsentation der Stadt als attraktiver Wirtschafts- und Einzelhandelsstandort muss mit der Bewahrung des Stadtbildes als Identifikationsmerkmal für den Bürger in Einklang gebracht werden. Vor allem moderne Neubauten in Form von Einkaufszentren in den Innenstädten geraten somit verstärkt in den öffentlichen Fokus und stehen in einem Spannungsfeld zwischen dem harmonischen Einfügen in den historischen Kontext der bereits bebauten Innenstadt und der Funktion als Leuchtturm, der hohe qualitative und gestalterische Ansprüche erfüllen muss und Aufmerksamkeit erzeugen soll (Brzenczek u. Wiegandt 2009, S. 10–11).

Abb. 2: Kaufhaus in Herne (Quelle: Spohn et al. 2010, S. 112)

Handelsarchitektur in Westfalen

Eine einheitliche Charakterisierung des äußeren Erscheinungsbildes westfälischer Städte ist grundsätzlich schwierig. Vielmehr gibt es in vielen Städten vor allem historische Elemente, die in Verbindung mit dem Einzelhandel ein prägendes Bild erzeugen. Zentral gelegene Marktplätze verweisen auf den Handel im öffentlichen Raum. Umgestaltete Dielentore und Speicherböden frühneuzeitlicher Kaufmannshäuser sind hingegen klassische Bestandteile vieler Städte, die auf den früheren Handel in Privathäusern hindeuten. Auch Mehrsparten-Kaufhäuser aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sind in vielen westfälischen Städten vorzufinden (Abb. 1). Größere Schaufenster und andere Werbeeinrichtungen sind seit der 1869 durchgesetzten Gewerbefreiheit in größerem Umfang überliefert. In diesem Zuge wurde vermehrt das Erdgeschoss von städtischen Häusern für den Dienstleistungs- und Handelssektor genutzt und die Wohnfunktion in die oberen Etagen verdrängt. So konnten die straßenseitigen Fassaden als Schaufenster für die Präsentation der Waren genutzt werden (Spohn et al. 2010, S. 12 u. 111–112).

Gerade die Innenstädte größerer Kommunen im Ruhrgebiet wie Witten oder Herne sind durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und den späteren Wiederaufbau architektonisch sehr eindimensional gestaltet. Beispielhaft für Handelsbauten aus dieser Zeit stehen die Mehrsparten-Kaufhäuser von Karstadt in Herne (Abb. 2) oder Boecker in Bielefeld.

Abb. 3: Hanse-Carré in Münster (Foto: C. Bischoff)

In Nordrhein-Westfalen gibt es mit der Landesinitiative StadtBauKultur NRW seit 2000 eine Plattform, die gutes Planen und Bauen durch die Themenschwerpunkte "Gestaltqualität der Städte", "Öffentlicher Raum" und "Umgang mit baulichem Erbe" über unterschiedliche Projekte und Wettbewerbe intensiv unterstützt (s. Beitrag Rose). Es soll ein Bewusstsein für die gebaute Umwelt bei den Menschen geschaffen und somit ein Beitrag zur lebenswerten Gestaltung nordrhein-westfälischer Städte und Gemeinden geleistet werden. Neben dem Wettbewerb "Stadt macht Platz – NRW macht Plätze", ist vor allem der "Preis für vorbildliche Handelsarchitektur" für diesen Beitrag von Interesse, der 2003 in Zusammenarbeit mit dem Einzelhandelsverband NRW ausgelobt wurde.

Hierbei geht es um die Auszeichnung von Handelsbauten mit besonderer Ausstrahlung, die zur Stärkung und Aufwertung der jeweiligen Standorte beitragen und gleichzeitig mit dem städtebaulichen Umfeld, den Nutzerbedürfnissen und den Anforderungen des Umwelt-, Bestands- und Denkmalschutzes in Einklang gebracht werden können. Unabhängig von der Größenordnung wurden dabei Projekte in Innenstadtzentren, in Stadtteilzentren oder an der Stadtperipherie hervorgehoben. In unterschiedlichen Kategorien wurden insgesamt fünf Preise an die Bauherren oder Architekten der herausragendsten Projekte verliehen. Anhand einiger Einzelbeispiele, die im Rahmen des Preises für vorbildliche Handelsarchitektur sowie des westfälischen Preises für Baukultur gewürdigt wurden, soll folgend kurz dargestellt werden, inwieweit bestimmte Vorhaben zur Aufwertung ihrer Mikrostandorte beitragen (Vesper 2004, S. 7; Be­cker 2006, S. 50).

RS + Yellow Möbel (Münster)

Das deutschlandweit vertretene Einrichtungshaus wurde in der Kategorie "Stadtrand/Peripherie" ausgezeichnet. Inhaber Rainer Scholze hatte das Ziel, am nördlichen Stadtrand Münsters einen "Flagshipstore" zu errichten, der durch außergewöhnliche Architektur auf sich aufmerksam macht. Neben der gelungenen Integration in das städtebauliche Umfeld wird vor allem die qualitativ wertvolle Handelsarchitektur eines Fachmarktzentrums in Stadtrandlage als Begründung für die Auszeichnung genannt (Europäisches Haus der Stadtkultur 2004, S.33 u. 54–57).

Buersche Markthalle (Gelsenkirchen)

Der Neubau aus dem Jahr 1999 mit einer Verkaufsfläche von ca. 1.700 m2 wurde mit einer Anerkennung in der Kategorie "Städtebauliche Konzeption" ausgezeichnet. Durch den roten Backsteinbau soll ein Bezug zu traditionellen, alten Markthallen hergestellt und gleichzeitig ein Gegenentwurf zu den Einkaufsmalls auf der "grünen Wiese" vermittelt werden. Die gute Einbindung in das städtebauliche Umfeld mit vielen denkmalgeschützten Häusern sowie die Ergänzung und Stärkung des innerstädtischen Angebotes wurden von der Jury als wichtige Argumente bei der Preisvergabe hervorgehoben (Europäisches Haus der Stadtkultur 2004, S. 62–65).

Hanse-Carré (Münster, Abb. 3)

Im Rahmen des "Westfälischen Preises für Baukultur 2010", den der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ge­meinsam mit dem Verein und Stiftung Westfalen-Initiative verliehen hat, wurde das Wohn- und Geschäftshaus Hanse-Carré im Zentrum Münsters ausgezeichnet. Ein vorrangiges Ziel bei diesem Projekt war der Erhalt des innerstädtischen historischen Gassensystems, das in Kombination mit dem Nutzungsmix aus Einzelhandel, Büro und Wohnen einen wichtigen Beitrag zur Lebendigkeit des Standortes leisten soll. Mit den Giebelhausstrukturen soll eine kleinstädtische Architektur in Anlehnung an das städtebauliche Umfeld in Erscheinung treten, die sich von der klassischen Büro- und Kaufhausarchitektur abwendet (LWL 2010, S. 1–2).

Ausblick

Für die Zukunft lässt sich festhalten, dass die städtebauliche Integration neuer, qualitativ wertvoller Handelsbauten eine immer wichtigere Rolle bei der Weiterentwicklung und Aufwertung von Einzelhandelsstandorten spielt. Trotz der aufgezeigten Entwicklungen im Einzelhandel, die oft zu einem austauschbaren Bild vieler Innenstädte beitragen, gilt es die historischen Elemente vieler westfälischer Zentren in Form von zentralen Marktplätzen oder denkmalgeschützten Gebäuden verstärkt zu berücksichtigen und als bedeutende Bestandteile der städtischen Einzelhandelslandschaft hervorzuheben. Für die Kommunen selbst ist die Attraktivität ihrer Handelszentren im Wettbewerb der Städte untereinander von zunehmender Bedeutung. Ein funktionierendes Zusammenspiel zwischen historischer und moderner Baukultur ist dafür eine Grundvoraussetzung. Mit der Landesinitiative StadtBauKultur NRW wurden durch entsprechende Wettbewerbe bereits nachhaltige Impulse für die Weiterentwicklung westfälischer Handelsarchitektur gesetzt.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2011