Westfälische Gemüsesorten

25.03.2021 Christiane Boll

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Vegetation · Landwirtschaft · Garten · Gemüse

Inhalt

Mairübchen, Topinambur, Petersilienwurzel und Erdbeerspinat: Die Liste alter Gemüsesorten, die einst zum Standard in der Küche zählten, ist lang und viele Sorten waren fast in Vergessenheit geraten. Doch inzwischen sind sie wieder im Kommen – machen geradezu "Boden gut" – und werden heute von Hobby- und Spitzenköchinnen und -köchen sowie von (Klein-)Gärtnerinnen und Gärtnern hoch geschätzt. Mit seinen vielfältigen Formen, Farben und Geschmacksrichtungen bereichert altes Gemüse wieder die Gärten und Teller Westfalens.

Die Züchtung und Vermehrung von Gemüsesorten erfolgte jahrhundertelang von Landwirtinnen und Landwirten. So entstanden zahlreiche regionale und lokale Sorten, die nur in Westfalen angebaut wurden. Ende des 19. Jh.s gab es hier die größte Vielfalt. Durch die Industrialisierung des Gemüseanbaus wurden etliche Sorten allmählich von ertragreicheren, transport- und lagerfähigen sowie makellos aussehenden Züchtungen verdrängt oder verschwanden vom Speiseplan, da sie schlichtweg nicht mehr nachgefragt wurden. So gelten mittlerweile weltweit etwa 75% aller Kulturpflanzen, die es vor 100 Jahren noch gab, laut Welternährungsorganisation als verschollen. 1.800 Nutzpflanzen stehen allein in Deutschland auf der Roten Liste der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und gelten als bedroht.

Es gibt viele Gründe dafür, den Gemüseanbau nicht nur auf wenige (aus verschiedenen Gründen heute nützlich erscheinende) Sorten zu beschränken:

  • regionale Angepasstheit:
    Alte Gemüsesorten sind durch die jahrhundertelange Züchtung optimal an den Standort und das Klima der westfälischen Region angepasst und äußerst robust in Hinblick auf Kälte, Trockenheit und Nährstoffverfügbarkeit.
     
  • optische und geschmackliche Vielfalt: 
    Ob Tomaten oder Kartoffeln: Im Supermarktregal werden in der Regel nur wenige, in Massenproduktion anbaubare Sorten angeboten. Je mehr alte Gemüsesorten bewahrt bleiben, desto mehr Farben, Düfte und Aromen können in der Küche verwendet werden. Lila Karotten, gelbe Beete, gestreifte Tomaten, Kartoffeln mit nussigem Geschmack oder runde Zucchini lassen ein Gericht zu einem optischen und geschmacklichen Erlebnis werden.
     
  • hoher Nährstoffgehalt: 
    Weil alte Gemüsesorten häufig langsamer wachsen als auf Ertrag gezüchtete Sorten, können sie mehr Nährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe bilden. Ihnen wird nachgesagt, vielfältige gesundheitsfördernde Wirkungen (z.B. positive Wirkung auf Blutdruck, Cholesterinspiegel und Zuckerstoffwechsel) zu haben.
     
  • genetische Ressource: 
    Engagierten westfälischen Gärtnerinnen und Gärtnern ist zu verdanken, dass überhaupt noch alte Gemüsesorten erhalten geblieben sind. In Hinblick auf eine gesicherte Versorgung kommender Generationen ist eine große Diversität des Saatguts wichtig, um beispielsweise auf veränderte Umweltbedingungen wie den Klimawandel reagieren oder pflanzliche medizinische Wirkstoffe herstellen zu können.
     
  • bedeutsames Kulturgut: 
    Alte Gemüsesorten sind ein wichtiger Bestandteil der westfälischen Kulturgeschichte, da sie über Jahrhunderte gezüchtet wurden und Traditionen sowie regionale Besonderheiten abbilden.
     
  • Samenfestigkeit: 
    Gängige Gemüsesorten bilden zwar Samen, allerdings ist das Wuchs­ergebnis der Folgegeneration nicht vorhersehbar, da sich die Eigenschaften der Elternpflanze aufspalten. Dieses Saatgut trägt die Bezeichnung "F1-Hybride". Saatgut alter Sorten hingegen kann problemlos zur Weitervermehrung genutzt werden. Die Samen können also im Folgejahr ausgesät werden – man spart auch noch Geld.
Abbn. 1-3 (v.l.n.r.): Meldenvielfalt, Lippische Palme im Herbst, Lemgoer Johannislauch kurz vor der Ernte (Fotos: Blümel, LWL-Freilichtmuseum Detmold)

Gemüsesorten aus Westfalen

Der Anbau von überwiegend einjährigem Gemüse kann – anders als die Zucht alter Nutztierrassen (s. Beitrag Boll) oder die Anpflanzung alter Obstsorten – jährlich verändert werden und oftmals sind die unterschiedlichen Sorten für Laien nicht klar voneinander unterscheidbar. Allein schon diese Schwierigkeiten in der Dokumentation von Gemüsesorten sind mit dafür verantwortlich, dass keine flächendeckenden Daten zu den in Westfalen gezüchteten alten Gemüsesorten existieren und vermutlich auch nie vollständig rekonstruiert werden kann, welche Sorten westfälischen Ursprungs sind.

Info-Kasten: Lippische Palme

Bei der BLE als zentrale Stelle für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft und als Verantwortliche für die Erstellung der "Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen in Deutschland" gibt es keine Zusammenstellung von Gemüsesorten westfälischen Ursprungs. Als Recherchetipp wird seitens der BLE die Suche nach "westfälischen" Begriffen in der Datenbank "Pflanzengenetische Ressourcen in Deutschland" empfohlen, da z.T. Sortennamen direkt auf das Ursprungsgebiet hinweisen. Zumindest ein kleiner Erfolg: Die lokalen Sorten "Großsamiger Dill aus Westfalen", "Grüne Melde Münsterland" (Abb. 1), "Lippische Palme" (Abb. 2) und "Lemgoer Johannislauch" (Abb. 3) konnten identifiziert werden.

Neben diesen (Zufalls-)Ergebnissen aus der Datenbank wurde bereits von 2011 bis 2014 das Projekt mit dem Kurztitel "Vielfalt ländlicher Gärten", durchgeführt vom LWL-Freilichtmuseum Detmold, seitens der BLE gefördert. In diesem Modell- und Demonstrationsvorhaben zur biologischen Vielfalt wurde erforscht, welche alten, lokalen Kulturpflanzensorten aus Westfalen stammen und wie diese nachhaltig gesichert werden können. In sieben westfälischen Regionen wurden insgesamt über 2.000 Gärten in Hinblick auf alte Sortenschätze untersucht und großflächige Befragungen von Gärtnerinnen und Gärtnern durchgeführt. Etwa 80 Zwiebel-, Johannislauch-, Melden-, Grünkohl-, Pflücksalat-, Malven-, Pfefferminz-, Busch- und Stangenbohnen-, Erbsen- sowie Rhabarber-Akzessionen (Saatgut einer Kulturpflanzensorte an einem bestimmten Standort), die z.T. seit Mitte des 19. Jh.s in Westfalen gezüchtet und angebaut werden, sind die Ausbeute der aufwändigen Erhebungen – u.a. elf Akzessionen des Grünkohls "Lippische Palme" (s. Kas­ten). Die wiederentdeckten alten, lokalen Kulturpflanzensorten wurden im LWL-Freilichtmuseum Detmold vermehrt und anschließend an Privatleute zum Anbau im eigenen Garten verteilt, um sie wieder in Westfalens Gärten zu verbreiten.

Die Datenbank-Recherche der Autorin und die Ergebnisse des Modellvorhabens liefern erste Hinweise zu "typisch westfälischen" Gemüsesorten. Die Liste sollte durch möglichst flächendeckende Untersuchungen von noch existierenden Bauerngärten und weiteren Befragungen ergänzt werden.

Bezug von alten Gemüsesorten

Während im Supermarkt nur vereinzelt alte Gemüsesorten zum Kauf angeboten werden, sind auf dem regionalen Wochenmarkt die Chancen höher, fündig zu werden. Die Samen des Einkaufs können natürlich später für die Anzucht im eigenen Garten genutzt werden. So trägt jeder selbst zum Erhalt der Gemüsevielfalt bei. Aber auch durch den bewussten Kauf alter Gemüsesorten wird mitbestimmt, wie vielfältig das Sortiment ist.

Mittlerweile verkaufen immer mehr Gartencenter Saatgut alter Sorten. Auch über das Internet können Samen bezogen werden. Zahlreiche Vereine setzen sich für den Erhalt vielfältigen Saatguts ein und organisieren Saatguttauschbörsen, wie z.B. der Dachverband Kulturpflanzen Nutztiere Vielfalt e.V., der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. und die Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt & ihre Entwicklung "Arche Noah". Auch das LWL-Freilichtmuseum in Detmold vermehrt als regionales Informationszentrum für die biologische Vielfalt im ländlichen Garten viele Lokal- und Regionalsorten. Oder man hat das Glück, dass die Nachbarschaft über Generationen vererbte Gartenschätze weitergibt.

Die Erhaltung von pflanzengenetischen Ressourcen bleibt eine Herausforderung, lohnt sich aber neben den wissenschaftlichen Gründen auch vor allem deshalb, weil der Anbau von alten Gemüsesorten Spaß macht und die Ernte einfach schmeckt!

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2021