Geburtenentwicklung und Kliniken mit Geburtshilfeabteilungen in Westfalen

07.05.2020 Peter Wittkampf

Inhalt

Die Geburtenentwicklung ist für die Zukunft einer Region von großer Bedeutung. Wie stellt sich die Thematik aktuell für Westfalen dar?

Abb. 1: Lebendgeborene Kinder je Frau mit nichtdeutscher Staats- angehörigkeit im Durchschnitt des Zeitraums 2016 bis 2018 sowie prozentuale Steigerung gegenüber dem Zeitraum 2013 bis 2014 (Quelle: eigene Berechnungen nach IT.NRW)

Geburtenentwicklung

Die Anzahl der Lebendgeborenen pro Jahr wies in den Jahren 2007 bis 2013 in Westfalen nur geringe Veränderungen auf, sie lag jeweils ungefähr bei 65.000 bis 67.000 Neugeborenen. Dies änderte sich von 2014 an, und zwar vor allem durch Migrationsgewinne, z.B. aus Polen und anderen EU-Staaten. Im Jahr 2015 kamen dann viele Flüchtlinge und Asylsuchende aus anderen Herkunftsgebieten nach Deutschland, wodurch sich die demographische Situation auch in Westfalen signifikant änderte (s. Beitrag Wittkampf). Die Anzahl der hier geborenen Kinder betrug im Jahr 2015 mehr als 71.000, im Jahr 2016 gab es dann eine Steigerung um 10,1% auf ca. 78.500. Auch 2017 und 2018 blieb die Anzahl der Lebendgeborenen jeweils etwa auf diesem Niveau, für 2019 wird von einem leichten Rückgang auf knapp unter 78.000 ausgegangen.

Da die Zuwanderer nur selten älter als 50 Jahre waren, erhöhte sich schon dadurch die Gesamtzahl der potenziellen Eltern. Hinzu kommen Fertilitätsunterschiede zwischen Deutschen und Nichtdeutschen: Laut IT.NRW hatten in Nordrhein-Westfalen Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit – im Alter von 15 bis 49 Jahren – in den Jahren 2016 und 2018 jeweils im Durchschnitt 1,45 Kinder. Frauen dieser Altersgruppe, aber mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, hatten 2016 im Durchschnitt 2,45 Kinder. Im Jahr 2018 sank dieser Wert auf 2,29.

Die seit 2015 aus dem Ausland nach Westfalen gekommenen Frauen unterscheiden sich in Bezug auf die Anzahl der von ihnen geborenen Kinder signifikant von jenen, die bereits vor 2015 hier lebten. Dies zeigt ein Vergleich der entsprechenden Durchschnittszahlen vor und nach 2015. Der Mittelwert der Jahre 2013 und 2014 betrug für Ausländerinnen z.B. in Gelsenkirchen 2,04, im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2018 dann aber 2,84 Kinder pro Frau (im Alter von 15 bis 49 Jahren). Im Kreis Recklinghausen veränderten sich diese Werte von 2,13 auf 2,80; in der Stadt Herne von 1,90 auf 2,48 usw. (Abb. 1).

Am niedrigsten sind die Geburtenzahlen und am geringsten die zeitlichen Unterschiede dort, wo die Wohnmöglichkeiten schwierig, aber der Arbeitsmarkt relativ vielfältig bzw. vielversprechend ist, nämlich in den großen Städten – mit Ausnahme von Gelsenkirchen. Im Durchschnitt der Jahre 2013 und 2014 wiesen Münster, Bochum, Bottrop, Herne und der Kreis Paderborn die niedrigsten Werte auf; von 2016 bis 2018 waren es Münster, der Kreis Paderborn, Bielefeld, der Kreis Gütersloh und Dortmund. Die Steigerungsrate war in Münster am geringsten (Abb. 1).

Die meisten Kinder bekamen ausländische Frauen im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2018 dagegen im Kreis Höxter; dort waren es 3,44. Im Kreis Minden-Lübbecke waren es 2,89, in Gelsenkirchen 2,84 (Abb. 1).

Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit hatten 2018 in Bochum durchschnittlich nur 1,24 Kinder, in Münster 1,25, in Herne und Dortmund 1,31. Hierbei ist zu bedenken, dass sich in den Universitätsstädten die hohe Anzahl an Studentinnen auswirkt. Diese sind zu einem höheren Prozentsatz ledig und ohne Kinder.

Generell scheinen sich aber auch die Lebensumstände speziell in den Städten in Bezug auf das generative Verhalten generell und tendenziell ähnlich auszuwirken, sodass dort die Frauen sowohl mit deutscher als auch mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit weniger Kinder bekommen als in den ländlichen Regionen (Abb. 2).

Abb. 2: Zusammengefasste Geburtenziffer: Durchschnittliche Kinderzahl je Frau im Jahr 2018 sowie Kliniken mit Geburtshilfe in Westfalen (Stand 04/2019) (Quellen: IT.NRW, www.wdr.de)

Geburtshilfeabteilungen in Krankenhäusern

Trotz der Zunahme der Geburten ist in den letzten Jahren die Zahl der nord­rhein-westfälischen Geburtsabteilungen in Krankenhäusern von ca. 290 auf ca. 140 zurückgegangen. Von den verbliebenen Geburtsstationen lagen im Jahr 2015 77 im Landesteil Westfalen. Neun von ihnen schlossen in der Zeit von 2015 bis 2019. Solche Schließungen haben vor allem im ländlichen Raum z.T. weite Wege zur nächsten, noch bestehenden Geburtsklinik zur Folge. Nachdem es beispielsweise in Warburg (Kr. Höxter) keine Geburtshilfeklinik mehr gab, sind 2018 mehr als 80 Frauen von dort zur Entbindung nach Volkmarsen (Kr. Waldeck-Frankenberg, Hessen) gefahren. Nun, da auch dort die Geburtshilfestation schließt, müssen Schwangere in größerer Entfernung, z.B. in Kassel, eine entsprechende Klinik suchen.

Aktuell sind noch weitere Schließungen vorgesehen. Die Stadt Borken etwa erfuhr im November 2019 von dem Plan, die dortige Geburtshilfestation im Jahr 2022 zugunsten der entsprechenden Station im St. Agnes-Hospital in Bocholt zu schließen, was zu einer Protestresolution der Stadt Borken führte.

In etlichen anderen Städten wurden und werden die Geburtshilfeabteilungen verkleinert. In Westfalen waren von 2015 bis 2019 hiervon insgesamt 21 Krankenhäuser betroffen. Deren Gesamtbettenzahl in den Geburtshilfeabteilungen wurde von 1.341 auf 973 reduziert. An manchen Standorten fiel die Reduzierung relativ moderat aus, z.B. in Datteln, Höxter oder Rheine. Teilweise betraf die Reduzierung aber auch etwa die Hälfte der bisher verfügbaren Betten. Das war u.a. der Fall in Ahaus, Ahlen, Bielefeld-Mitte, Dorsten, Gütersloh (Klinikum), Ibbenbüren und Marl.

Im Wesentlichen sind es drei Problembereiche, die zu den Auflösungen und Kürzungen führen: hohe Betriebskosten, Personalmangel (insbesondere bei Hebammen) sowie die Höhe und Zahlung der Haftpflichtversicherung bei Belegärzten. In Bezug auf die Betriebskosten geht man davon aus, dass sich eine Geburtshilfeabteilung erst ab ca. 700 Geburten pro Jahr "rechnet". Sind es dagegen nur etwa die Hälfte, also im Durchschnitt pro Tag ca. eine Geburt, hat das Personal zwar weniger Arbeit, muss aber rund um die Uhr in Dienstpläne eingeteilt sein und bezahlt werden.

Fatal ist, dass die Verfügbarkeit eines Kreißsaales in Nordrhein-Westfalen bisher nicht Bestandteil der staatlichen Krankenhausplanung war. Dies machte für die Träger die Schließung bisher ohne Weiteres möglich, wenn eine Klinik sich hierzu aus wirtschaftlichen Gründen entschloss. Hier soll aber offenbar bald Abhilfe geschaffen werden.

In bestimmten Kliniken hat in den letzten Jahren die Anzahl der Geburten deutlich zugenommen. Dies kann mehrere Gründe haben. Zu den wichtigsten zählen:

  • Abteilungsschließungen in den Nachbarkliniken. So kamen beispielsweise in Arnsberg in der Hüstener Klinik für Geburtshilfe im Jahr 2016 etwa 20% der Schwangeren aus dem Raum Menden/Balve (Märkischer Kr.), und zwar im Vorgriff auf die Schließung der Geburtsklinik in Menden. In Bottrop sprach die Presse von einem "Babyboom", nachdem in Gladbeck eine Geburtsklinik geschlossen worden war;
  • die "Beliebtheit" von Geburtskliniken: Bestimmte Geburtshilfeeinrichtungen bzw. -kliniken haben besonderen Zulauf. Junge Mütter äußern z.B. im Internet oder auf anderen Kommunikationswegen ihre Meinung oder geben Erfahrungsberichte ab;
  • die offiziell erworbenen Qualifizierungen mancher Kliniken, z.B. als besonders "babyfreundlich". In solchermaßen qualifizierten Kliniken werden z.B. das Stillen und der intensive Kontakt zwischen Eltern und Kind besonders gefördert. In Westfalen hatten 2017 insgesamt 12 Kliniken eine solche Zertifizierung (Abb. 2).

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2020