Regionale Initiativen zum Ausbau des Fernstraßennetzes – Beispiele aus dem nördlichen Westfalen
Grundlage für den Aus- und Neubau von Bundesfernstraßen in Deutschland ist bekanntlich der Bundesverkehrswegeplan (BVWP), der für einen überschaubaren Zeitraum (10 - 20 Jahre) von der Bundesregierung aufgestellt und in Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen und Zielvorstellungen fortgeschrieben wird, zuletzt im Juli 2003. Vorhaben, deren Realisierung innerhalb des Planungszeitraums finanziell gesichert sind, werden als "vordringlicher Bedarf", alle übrigen als "weiterer Bedarf" eingestuft. Doch zeigt die Entwicklung seit den neunziger Jahren, dass der Finanzrahmen des Bundes nicht mehr ausreicht, alle Projekte des vordringlichen Bedarfs fristgerecht zu verwirklichen. In der ersten Hälfte der ursprünglichen Laufzeit des BVWP’92 (1991 - 2012) konnten nur 44% der insgesamt für den Fernstraßenbau vorgesehenen Investitionsmittel aufgebracht werden. Bei Fortsetzung dieser Planung wäre das Defizit bis 2012 auf rund 40 Mrd. Euro angewachsen (BMVBW 2003, S. 7). Zusätzlich wird der Spielraum für neue Planungsvorhaben dadurch eingeengt, dass mittlerweile mehr als die Hälfte des Finanzbedarfs auf Erhaltungsinvestitionen entfällt (ebd., S. 2).
Bundesverkehrswegeplan 2003 – Fortschreibung der Unterfinanzierung?
Für die Fortschreibung des BVWP 2003 mussten die Kriterien für neue Vorhaben des vordringlichen Bedarfs erheblich verschärft werden, um die Realisierung früherer, noch nicht abgeschlossener Projekte nicht zu gefährden. Als "laufende und fest disponierte Vorhaben" machen sie im BVWP 2003 mehr als die Hälfte des gesamten Investitionsvolumens für Fernstraßenprojekte des vordringlichen Bedarfs aus (ebd., S. 35). Neben zahlreichen Autobahnprojekten in den neuen Ländern gehören im nördlichen Westfalen hierzu der Lückenschluss der A 30 (Nordumgehung Bad Oeynhausen) und der A 31 (bereits fertig gestellt) sowie der sechsspurige Ausbau der Autobahnen A 1 (zwischen Münster-Süd und der Landesgrenze bei Osnabrück), A 2 (vom Kamener Kreuz bis zur Anschlussstelle Oelde) und A 44 (zwischen den Kreuzen Dortmund/Unna und Werl).
Unter den neuen Projekten des vordringlichen Bedarfs zählen der Lückenschluss der A 33 (zwischen dem Kreuz Bielefeld und der Anschlussstelle Borgholzhausen), der sechsspurige Ausbau der A 1 (zwischen dem Kamener Kreuz und der AS Hamm-Bockum) und A 43 (zwischen den Kreuzen Recklinghausen und Bochum/Witten) sowie der Ausbau der B 224 zur A 52 (zwischen AK Essen-Nord und Gelsenkirchen-Buer) zu den wichtigsten Vorhaben. Neue Bundesstraßenprojekte des vordringlichen Bedarfs bestehen neben dem Weiterbau der B 67neu (Teilstücke Rhede - Borken und Reken - Dülmen) und dem Ausbau hoch belasteter Abschnitte auf vier Fahrspuren (z.B. B1 bei Paderborn, B51 bei Münster) aus einer Vielzahl von Ortsumgehungen (z.B. Warendorf im Zuge der B 64). Im Anhang zum BVWP 2003 sind für Nordrhein-Westfalen rund 250 Straßenprojekte des vordringlichen Bedarfs (darunter rund 90 laufende Vorhaben mit einem Investitionsanteil von knapp 40%) und weitere 80 Vorhaben des weiteren Bedarfs aufgeführt (BMVBW 2003, Anhang Tab. 22). Die Prioritäten für den Ausbau der Landesstraßen in Nordrhein-Westfalen, denen im ländlichen Raum ein wichtige Erschließungsfunktion zukommt, sind im "Integrierten Generalverkehrsplan" festgelegt, der von der Landesregierung unter Beteiligung der Regionalräte aufgestellt wird.
''Aktion Lückenschluss A 31'' – Modell zur Beschleunigung des Fernstraßenbaus?
Ende der neunziger Jahre, mehr als 15 Jahre nach Baubeginn, klaffte in der 240 km langen Autobahnverbindung zwischen Bottrop und Emden eine Lücke von 42 km Länge (davon 8 km in NRW), mit deren Schließung trotz Einstufung des Vorhabens in den vordringlichen Bedarf (BVWP’92) nicht vor 2012 zu rechnen war. Ein verkehrswissenschaftliches Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Nutzen eines vorzeitigen Lückenschlusses die Baukosten (215 Mio. Euro) um ein Vielfaches übertreffen würde. Es kam daraufhin zu einer Vereinbarung mit dem Bund zur Vorfinanzierung seines Anteils durch das Land Niedersachsen (61 Mio. Euro) und zur Mitfinanzierung durch die Region (53 Mio. Euro) (Lammers 2001). Das letzte Teilstück der Emslandautobahn konnte bereits im Dezember 2004 und damit acht Jahre früher als bei herkömmlicher Finanzierung dem Verkehr übergeben werden (IHK Osnabrück-Emsland 2005).
Dennoch ist diese Aktion kein Modellfall zur Überwindung von Haushaltsengpässen des Bundes, da die Vorfinanzierung durch das Land - mit der Maßgabe späterer Rückzahlung durch den Bund - künftige Haushalte belastet und Landesmittel für viele Jahre anderen Verwendungen entzieht (Haßheider 2001). Nachahmung fand jedoch die Sponsoringaktion der Unternehmen, mit deren Hilfe Fernstraßenprojekte von erheblicher regionalwirtschaftlicher Bedeutung angestoßen und vorangetrieben werden können.
Unternehmerinitiativen für Fernstraßenprojekte im Münsterland
In Bocholt haben sich im November 2004 über 120 Unternehmen aus den Kreisen Borken und Coesfeld zur "Initiative B 67n" (Abb. 1) zusammengeschlossen, um das bereits 1969 begonnene Neubauprojekt einer leistungsfähigen Straßenverbindung zwischen dem westlichen und zentralen Münsterland beschleunigt zum Abschluss zu bringen. Nach Wiederaufnahme der Bauarbeiten zwischen Bocholt und Rhede im April 2005 drängt die Unternehmerinitiative darauf, die Planfeststellung für die Fortführung der B 67neu bis Borken zu forcieren, um damit den Netzschluss dieser wichtigen West-Ost-Verbindung zwischen den Autobahnen A 3 (Niederrhein) und A 31 noch in diesem Jahrzehnt zu erreichen. Die Fortführung der B 67n bis Dülmen (Anschluss an A 43) gehört nach dem BVWP 2003 zwar ebenfalls zu den Vorhaben des vordringlichen Bedarfs, ist aber planerisch umstritten. Vom "deutlichen Bekenntnis der regionalen Wirtschaft" zu diesem Projekt durch finanzielle Beteiligung an den Planungskosten erhofft die Unternehmerinitiative den Durchbruch. Sie kann sich dabei nicht nur auf ein wissenschaftliches Gutachten, sondern auch auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stützen. Über 80% der rund 1000 repräsentativ Befragten in der Region halten den raschen Lückenschluss für "sehr wichtig"; mehr als 50% sind der Meinung, dass die Initiative der regionalen Wirtschaft dazu beitragen kann. Da die Federführung für die "Initiative B 67n" bei der IHK Nord Westfalen in Münster liegt, stehen alle Informationen auf der dortigen Homepage unter www.B67n.de zur Verfügung.
In ähnlicher Weise, wenngleich unter schwierigeren Ausgangsbedingungen, hat sich zwischen Münster/Münsterland und Bielefeld/Ostwestfalen eine Unternehmerinitiative für den Aus- und Neubau der B 64 Telgte - Rheda-Wiedenbrück (Abb. 2) gebildet, um zur Verbesserung der Verkehrsverbindung zwischen beiden Regionen bzw. Oberzentren beizutragen. Auch dieses Vorhaben hat eine lange Vorgeschichte, war doch mal an eine Weiterführung der A43 zwischen Recklinghausen und Münster in Richtung Osten (mit Anschluss an die A 2) gedacht worden. Der vierspurige Ausbau der B 51 zwischen Münster und Telgte bietet nunmehr die Möglichkeit, zusammen mit der B 64 eine leistungsfähige West-Ost-Verbindung zu schaffen. Doch wurden die dazu notwendigen Aus- und Neubaumaßnahmen mit Ausnahme der Ortsumgehung Warendorf im BVWP 2003 zu "Vorhaben des weiteren Bedarfs" zurückgestuft. Die "Initiative B64plus" (für zwei Regionen) setzt sich dafür ein, die Ortsumgehungen Beelen und Herzebrock-Clarholz wieder in den vordringlichen Bedarf aufzunehmen, deren Planfeststellung zu beschleunigen und für die übrigen Abschnitte den kreuzungsfreien Ausbau als Kraftfahrstraße (2+1 Spuren) bis 2012 zu erreichen. Mit 77% Zustimmung zu den Aus- und Neubaumaßnahmen ist die Akzeptanz bei der Regionsbevölkerung ähnlich hoch wie zuvor. Auch hier liegt die Federführung bei der IHK Nord Westfalen in Münster; siehe www.ihk-nordwestfalen.de/b64plus (s. auch Beitrag Wittkampf).
Privatfinanzierung des Fernstraßenbaus?
Die anhaltende und von der Wirtschaft immer wieder beklagte Unterfinanzierung des Bundesfernstraßenbaus ist durch Vor- und Mitfinanzierung nicht zu überwinden, so wichtig regionale Initiativen zur Aktivierung unternehmerischen Engagements und zur Herbeiführung einer breiten Akzeptanz für bestimmte Projekte auch sind. Die Lösung liegt eher im Bereich öffentlich-privater Partnerschaften (vgl. Deiters/Deutler 2006). Privatwirtschaftliche Betreibermodelle für ausgewählte Vorhaben des BVWP wurden schon bei seiner Fortschreibung 2003 in Betracht gezogen (BVWP 2003, S. 38-40), doch erst nach erfolgreicher Einführung der Lkw-Maut 2005 in Form weniger Pilotprojekte auf den Wege gebracht. So sollte ursprünglich der sechsspurige Ausbau der A 1, A 2 und A 44 als "A-Modell" realisiert werden, wonach ein privates Konsortium mindestens 50% der Baukosten übernimmt und diese während einer Betriebszeit von 20 - 30 Jahren über Mauteinnahmen refinanziert. Andere europäische Länder (z.B. Österreich) zeigen, dass die Einbeziehung aller Verkehrsteilnehmer in Nutzerbeiträge (Maut) die Möglichkeit schafft, die Fernstraßenfinanzierung aus den Zwängen der staatlichen Haushaltspolitik zu befreien (Beckers u.a. 2006).
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Beckers, T., A. Brenck, Chr. v. Hirschhausen und J. P. Klatt (2006): Die ASFINAG und das österreichische Modell der Fernstraßenfinanzierung. In: Internationales Verkehrswesen. Hamburg, S. 12-16 | |
• | Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) (2003): Bundesverkehrswegeplan 2003. Berlin (www.bmvbs.de/Verkehr-,1405.14805/Bundesverkehrswegeplan-2003.htm) | |
• | Deiters, J. und S. Deutler (2006): Public Private Partnership beim Autobahnbau - Einstieg in die Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland? In: Tagungsbericht des 5. Europäischen Verkehrskongresses 2006 in Brünn (Tschechien). Brünn, S. 44-47 | |
• | Haßheider, H. (2001): Finanzierung Emslandautobahn: Vorbild für die Überwindung finanzieller Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur? In: Internationales Verkehrswesen. Hamburg, S. 159-162 | |
• | IHK Osnabrück-Emsland (2005): "A 31: Die Lücke ist geschlossen". In: Wirtschaft Osnabrück-Emsland, Nr. 1 / Januar 2005. o. O., S. 4ff. (www.osnabrueck.ihk24.de) | |
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Lammers, E. (2001): Kooperation und Innovation in der Infrastrukturpolitik: Der Lückenschluss der A 31. |
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www.ihk.de/nordwestfalen/region/infrastruktur/verkehrswege/strassenverkehr/b-67n-3582970 |
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www.ihk-nordwestfalen.de/b64plus |
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www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Verkehr/B64n |
Erstveröffentlichung 2007