Fernlinienbusse in Westfalen – Angebotsergänzung oder Konkurrenz im öffentlichen Personenverkehr?

19.06.2015 Christian Hübschen

Kategorie: Verkehr

Schlagworte: Westfalen · Busverkehr

Inhalt

Mit der Freigabe des Fernlinienbusverkehrs zum 1. Januar 2013 entwickelte sich im deutschen Verkehrsmarkt eine enorme Dynamik. Dabei standen an­fangs jungen Unternehmen wie Dein Bus, Flixbus oder MeinFernbus rennomierte Gesellschaften wie die Deutsche Post und der ADAC gegenüber, die unter dem Namen ADAC Postbus in den Fernbusmarkt eingestiegen sind. Auch die Deutsche Bahn, im Markt seit langem bereits mit dem Berlin Linien Bus vertreten, hat mit dem IC Bus ein neues Angebot ge­schaffen. Der Konkurrenzkampf hat inzwischen zu einer Markbereinigung geführt: Die britische NationalExpress ist mit ihrem Ableger City2City im Ok­tober 2014 aus dem Markt ausgeschieden, der ADAC ist beim Postbus ausgestiegen, DeinBus musste Insolvenz anmelden, fand aber einen In­ves­tor, während MeinFernbus und Flixbus Anfang 2015 fusionierten. Der teilweise ex­treme Wettbewerb um Marktanteile spiegelte sich vor allem in einer ge­ringen Höhe der Fahrpreise sowie in der Ge­schwin­­dig­keit wider, mit der neue Linien bzw. Haltepunkte in die bestehenden Netze aufgenommen wurden. Nach hitzigen Preiskämpfen gab es Anfang 2015 Anzeichen für eine Normalisierung, doch seit April drängt mit Megabus ein neuer An­bieter mit Billigpreisen auf den Markt. Um noch weiter expandieren zu können, bieten die Unternehmen seit Anfang 2015 zunehmend Auslandsverbindungen an. Deutschlandweit decken die großen Player mehr als 90% des Marktes ab, dennoch sind sehr viel mehr Unternehmen durch Partnerschaften beteiligt. Viele überwiegend mittelständische Busunternehmen erbringen Leistungen auf den Linien der großen Anbieter, teilweise werden die Unternehmen als klassische Subunternehmer eingesetzt, andere arbeiten im Franchising-Verhältnis.

Das schnelle Wachstum verdankt die Branche im Wesentlichen den neuen und schnellen Vermarktungsmöglichkeiten über die sozialen Me­dien und Netzwerke, mit denen die Anbieter offenbar den Anforderungen aller potenziellen Nutzergruppen gerecht werden können. Die Hauptnutzergruppen sind preisbewusste Reisende unter 35 Jahren. Dabei steht der Fernbus insbesondere im Wettbewerb zum motorisierten Individualverkehr und zu Mitfahrzentralen. Zunehmend entscheiden sich auch vorherige Bahnkunden für das Fernbusangebot. Nach Schätzungen der Deutschen Bahn waren 44% der Fahrgäste vorher Bahnkunden, 46% fuhren selbst oder nahmen Mitfahrzentralen in Anspruch, der Rest sind Neukunden.

Es ist zu erwarten, dass das Wachstum des Fernlinienbusmarktes noch einige Jahre anhalten wird, be­vor eine Art Endausbaustadium er­reicht ist. Perspektivisch wird sich da­bei ein Oligopol mit zwei bis vier Anbietern herausbilden.

Während allgemeine Entwicklungen wie der demographische Wandel und die Nutzung umweltfreundlicher Mobilitätsangebote für ein weiteres Wachstum der Branche (höhere Mobilität der sog. "best ager", zunehmende Relevanz der Umweltfreundlichkeit bei der Verkehrsmittelwahl bei Jüngeren) sprechen, sind auch Faktoren zu er­ken­nen, die eine weitere Entwicklung hemmen könnten, z.B. der vielerorts problematische Zustand und die ab­seitige Lage der Haltestellen sowie die Zugangshemmnisse für mobilitätseingeschränkte bzw. ältere Reisende. Zudem sind mittelfristig steigende Preise zu erwarten.

Abb. 1: Streckenquerschnitte des Fernlinienbusangebots im NWL-Verbandsgebiet im Juni 2014 (Quelle: eigene Darstellung)

Die Situation in Westfalen (im Verbandsgebiet des NWL)

Der Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) hat als Aufgabenträger und Besteller für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) für sein Verbandsgebiet, das Westfalen mit Ausnahme des zum Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) gehörenden östlichen Ruhrgebietes abdeckt, die po­tenziellen Auswirkungen 2014 untersuchen lassen.

Laut Personenbeförderungsgesetz (PBefG) müssen zwischen den Fernbushalten 50 km liegen, und es darf dort kein Verkehr angeboten werden, wo mit den Nahverkehrszügen eine Verbindung in bis zu 60 Minuten besteht. Daher sind einige Relationen im Fernlinienbusverkehr mit Bedienungsverboten belegt, so z.B. Dortmund–Münster und Müns­ter–Osnabrück wie, auch weiter südlich, Lüdenscheid–Dortmund. In Westfalen gehen die Hauptachsen der Fernlinienbusse von Dortmund aus und verlaufen im Süden nach Siegen und weiter nach Frankfurt, im Osten nach Kassel und Ostdeutschland, nordöstlich nach Bielefeld, Hannover und Berlin und im Norden über Münster nach Hamburg sowie an die Nordseeküste. Dennoch stehen der SPNV und die Fernlinienbusse in einigen Relationen in Konkurrenz zueinander, insbesondere dort, wo Fernbuslinien parallel zu attraktiven SPNV-Linien verkehren oder der SPNV langsamer als parallele Fernlinienbusse ist.

In Westfalen (NWL) werden derzeit 21 (Stand 2014) Stationen von Fernlinienbussen angesteuert, von nationaler Relevanz sind aber lediglich Münster, Paderborn, Flughafen Paderborn/Lippstadt, Siegen und Bielefeld mit mehr als 100 Abfahrten in der Woche (Abb. 1). Eine regionale Be­sonderheit ist die bereits seit Jahren verkehrende Linie Flughafen Paderborn/Lippstadt–Paderborn–Kassel der BBH Bahnbus Hochstift GmbH.

Bei parallelen Verkehren ist der SPNV – trotz durchgängig höherer Preise – immer dann im Vorteil, wenn er schneller verkehrt. Zusätzlich zur geringeren Fahrzeit sind die SPNV-Linien vertaktet, wodurch dem Reisenden eine größere Flexibilität geboten wird. Da die SPNV-Linien in den Knoten mit anderen Linien verknüpft sind, ergeben sich über Umsteigebeziehungen zahlreiche weitere – meist stündliche – Fahrtmöglichkeiten. Dies trifft vor allem für das Münsterland und Ostwestfalen zu. Anders hingegen ist die Si­tuation im Süden Westfalens, nicht zuletzt aufgrund der To­pographie und der dortigen Bundesautobahnen, die von den Fernlinienbussen genutzt werden. Hier sind die Reisezeiten auf der Schiene so­wohl langsamer als auch teurer zurückzulegen als mit dem Fernlinienbus. So ist der Bus von Siegen nach Dortmund schneller und billiger als die Bahn, zu­dem besteht auf der Schiene kein durchgehendes Angebot, sondern es ist ein Umstieg in Hagen notwendig. Auf diesem Korridor besteht das bes­te Fernlinienbusangebot. Der Bus profitiert durch den geradlinigen Verlauf der Bundesautobahn 45 gegenüber der durch das Lennetal verkehrenden Bahn. Ähnliches gilt für die Relation Siegen–Köln: Obwohl eine direkte Ver­bindung besteht, sind die Züge aufgrund der Trassierung der Strecke durch das windungsreiche Siegtal langsamer als die Fernlinienbusse auf der Bundesautobahn 4. Diese und ähnliche Relationen haben also, zu­sätzlich abhängig von der Fahrtenhäufigkeit der Busse und der Bahn, ein hohes bzw. sehr hohes Fahrgastwechselpotenzial.

Fazit und Ausblick

Die Liberalisierung des Fernlinienbusverkehrs schuf günstigere Fahrt­al­ter­nativen und zahlreiche neue Di­rekt­verbindungen. Den neu entstandenen Wettbewerb bekommt insbesondere der Schienenfernverkehr zu spüren. Die Deutsche Bahn, die die neue Konkurrenz vollkommen un­terschätzt hat, reagiert in­zwischen entsprechend ihrer Möglichkeiten mit preislichen bzw. strukturellen Anpassungen ihrer Leistungen und dem Ausbau des ei­genen Fernlinienbusnetzes. Im April 2015 kündigte sie zudem an, das An­gebot im Fernverkehr massiv ausbauen zu wollen. Interessant ist, dass in Westfalen die Fernlinienbusse teilweise auf den be­reits vor Jahren eingestellten Relationen des früheren InterRegios ver­keh­ren und dort sehr er­folgreich sind – genau hier will die Deutsche Bahn mit ihrer An­gebots­offensive offenbar ansetzen. Grundsätzlich gilt – auch für Westfalen und seinen SPNV – dass ein gu­tes Nahverkehrsangebot den Fernlinienbus nicht zu fürchten braucht.

Der große Vorteil der Fernlinienbusse sind derzeit die niedrigen Ti­cketpreise, während sie im Fahrtzeitenvergleich in der Regel schlechter dastehen als die Bahn. Es ist aber zu erwarten, dass sich der Preiskampf abschwächen und mittelfristig das Preisniveau im Fernlinienbusmarkt erhöhen wird. Offenbar werfen viele Verbindungen derzeit keine Gewinne ab, die Preise dienen vielmehr da­zu, sich Marktanteile zu sichern und Konkurrenten zu verdrängen.

Zudem gilt es, Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Die Bahnen zahlen für die Benutzung der Stre­cken und Stationen eine Ge­bühr, während die – eigenwirtschaftlich betriebenen – Fernlinienbusse keine Maut zahlen und vorhandene, meist von den Städten betriebene Bushaltestellen kostenlos mitbenutzen.

Ein weiterer Punkt sind die Fahrgastrechte, bei denen Bahnreisende besser gestellt sind als Busreisende. So gelten die Entschädigungsleistungen im Busverkehr nur für Langstreckenfahrten über 250 km, im Bahnverkehr für alle Entfernungen. Besonders gravierend ist, dass die Fahrgastrechte im Fernbusverkehr nicht bei widrigen Wetterbedingungen oder schweren Naturkatastrophen gelten. Im Bahnverkehr ist "höhere Gewalt" kein Ausschlussgrund für die Fahrgastrechte – und Entschädigungszahlungen.

Für die zukünftige Entwicklung wird es bei den Fernlinienbussen und der Bahn ebenso wichtig sein, wie sie die Zielgruppe der älteren, teilweise mobiltätseingeschränkten Fahrgäste für sich gewinnen können. Dazu ge­hört nicht nur die Ausstattung der Fahrzeuge, sondern auch die Beseitigung von Zu­gangsbarrieren – insbesondere an den Stationen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2015