Coesfeld – Entwicklung eines ländlichen Eisenbahnknotens
Aufstieg zum Eisenbahnknoten
Coesfeld, seit 1816 Kreisstadt des gleichnamigen preußischen Landkreises, erhielt 1874 mit der Inbetriebnahme der Dortmund-Gronau-Enscheder Eisenbahn (DGE) (s. Beitrag Geuckler) einen Eisenbahnanschluss. Zum Knotenpunkt wurde Coesfeld nur vier Jahre später, als die Rheinische Eisenbahn (RhE) ihre Strecke von Duisburg nach Quakenbrück in Richtung Nordsee eröffnete, die in Coesfeld die DGE kreuzt. Das zwischen den beiden Strecken errichtete Bahnhofsgebäude nutzten DGE und RhE gemeinsam, wobei jede Gesellschaft ihr eigenes Personal besaß. Erst 1903, nach der Verstaatlichung der RhE und der DGE, übernahm die Staatsbahn den Bahnhof vollständig. Mit der zunehmenden Industrialisierung wurden immer mehr Güter von und nach Coesfeld befördert, vorwiegend Rohstoffe für und Produkte der Textilindustrie; hinzu kamen landwirtschaftliche Güter. Der Personenverkehr spielte eine untergeordnete Rolle, neben den durchlaufenden Zügen war er im Wesentlichen auf die Funktion Coesfelds als Kreisstadt ausgerichtet.
Mit der Inbetriebnahme der Strecke Münster – Coesfeld – Bocholt – Empel-Rees (1904–08) stieg Coesfeld endgültig zum wichtigsten Eisenbahnknoten im westlichen Münsterland auf. Insbesondere der Güterverkehr nahm rasch zu, sodass der Bahnhof schon bald an seine Grenzen stieß.
Die Blütezeit
Um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden, wurde der Bahnhof Coesfeld bis 1914 komplett umgebaut. Es entstanden das heute noch existierende Bahnhofsgebäude, der Rangierbahnhof und das Bahnbetriebswerk. Der Bahnhof erhielt das Aussehen und die Ausstattung, welche bis in die 1970er Jahre hinein weitgehend Bestand hatte.
Mitte der 1930er Jahre gehörte Coesfeld im Güterverkehr zu den vier großen Bahnhöfen der Reichsbahndirektion Münster. Der Rangierbahnhof besaß eine Leistungsfähigkeit von täglich 1.100 Wagen, d. h. diese Anzahl konnte durch das Auflösen und neu Zusammenstellen von Zügen umgestellt (rangiert) werden; tatsächlich erreichte er zu der Zeit eine Leistung von rund 850 Wagen.
Coesfeld hatte in seiner Knotenfunktion den Wechselverkehr zwischen den Strecken Oberhausen – Rheine (– Nordsee), Dortmund – Gronau (Niederlande) und Münster – Bocholt – Empel-Rees (Rhein) durch Austeilen und Zusammenstellen von täglich etwa 35 Eil-, Vieh- und Güterzügen zu bewältigen; bei starkem Verkehr in den Nordseehäfen erreichte der Rangierbahnhof durchaus seine Leistungsgrenze.
Im Jahr 1938 begannen bzw. endeten in Coesfeld je 25 Güterzüge pro Tag. Ein Eilgüterzug von Bocholt nach Münster und drei Durchgangsgüterzüge (auf den Relationen Gelsenkirchen-Bismarck – Emden bzw. Oberhausen-Osterfeld Süd – Rheine) wurden mit Wagentausch im Rangierbahnhof behandelt (Beckmann 1998, S. 50). Nahgüterzüge übernahmen das Verteilen und Sammeln der Güterwagen auf den Strecken rund um Coesfeld. Dieses Güterverkehrsnetz mit der Anbindung an andere Rangierbahnhöfe und der anschließenden Feinverteilung blieb in seiner Struktur bis in die 1980er Jahre hinein weitgehend bestehen.
Der Personenverkehr trat in all den Jahren gegenüber dem Güterverkehr zurück, wobei das Angebot aber weitgehend stabil blieb. Zu den durchgehenden Zugläufen kamen auf Abschnitten meist weitere für den Berufs- und Schülerverkehr.
Der Gleisplan von 1958 (Abb. 1) zeigt die Infrastruktur, wie sie im Prinzip während der gesamten Blütezeit des Coesfelder Bahnhofs Bestand hatte.
Der Niedergang
Einen tiefen Einschnitt bedeutete 1972 die Elektrifizierung der Eisenbahnstrecke von Rheine nach Münster, da die Durchgangsgüterzüge in der Relation (Emden –) Rheine – Ruhrgebiet nun die längere, aber schnellere Strecke über Münster nahmen. Aber auch in Coesfeld selber ging das Güteraufkommen immer weiter zurück (s. Beitrag Hübschen). In dem schrittweise eingeführten Knotenpunktsystem war Coesfeld schließlich nur noch über Nahgüterzüge in das Güterverkehrsnetz eingebunden. Bis zur endgültigen Aufgabe des planmäßigen Güterverkehrs 2004 wurden – in wechselnden Zuschnitten – von Coesfeld aus die umliegenden Strecken und Bahnhöfe ("Satelliten") bedient, ehe Coesfeld 1990 selber zum "Satelliten" wurde.
Auch die Reisendenzahlen gingen nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr zurück. 1974 stellte die DB auf der Strecke nach Bocholt (Empel-Rees) den Reisezugverkehr ein, der Güterverkehr folgte sukzessive. Für die übrigen Strecken prüfte die DB ebenfalls die Aufgabe des Reisezugverkehrs, aber der massive Widerstand aus Bevölkerung und Politik verhinderte die Umsetzung; lediglich die Rheiner Strecke ist 1984 stillgelegt worden. Erst die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) sollte hier die Wende einleiten (s. Beitrag Hübschen).
Anfang 1997 begann ein umfangreicher Rückbau der Gleisanlagen, der Rangierbahnhof z. B. war bis 1998 verschwunden. Auch die markante südliche Bahnhofseinfahrt mit der kreuzungsfreien Einfädelung aller drei Strecken ist mit der Verschwenkung des Dortmunder Gleises auf das Planum der ehemaligen Bocholter Bahn Geschichte.
Der Umfang der Gleisanlagen im Bahnhof Coesfeld ging von 29,3 km Länge bis heute auf etwa 8,0 km zurück, die Anzahl der Weichen hat sich von über 100 auf 12 verringert.
Der Bahnhof Coesfeld heute
Der Fortbestand der Strecken nach Gronau, Münster und Dortmund ist nach der Regionalisierung des SPNV langfristig gesichert; für die Dorstener Bahn bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten. Das SPNV-Angebot mit stündlichen Verbindungen in alle Richtungen ist heute besser denn je, Coesfeld ist seit der Einführung des sog. Integralen Taktfahrplans ein Taktknoten. Mit der 1990 auf der Fläche der früheren Gleise 1 und 2 eingerichteten Busspur ist zudem die Verknüpfung zum ÖPNV massiv verbessert worden. Der Güterverkehr hingegen ist Ende 2004 mit der Aufhebung des Gütertarifpunktes Coesfeld zum Erliegen gekommen.
Die Anpassung der Gleisinfrastruktur im Bahnhof Coesfeld mit dem vollständigen Rückbau der einst für den Güterverkehr benötigten Gleisanlagen trägt dem letztlich Rechnung (Abbn. 1 und 2); sie ist heute fast ausschließlich auf die Bedürfnisse des SPNV ausgerichtet. Der Bahnhof Coesfeld ist nach der für 6,5 Mio. Euro durchgeführten Renovierung, in deren Zuge der alte Tunnel durch eine neue Unterführung ersetzt, drei Aufzüge installiert und Gleise verlegt wurden, heute ein moderner, barrierefreier Bahnhof. Zudem wurde 2010 im nördlichen Stadtrand an der Strecke nach Münster der neue Haltepunkt "Schulzentrum" eingerichtet.
Mit dem elektronischen Stellwerk, das seit 2008 stufenweise in Betrieb genommen wird, werden von Coesfeld aus fast alle münsterländischen Strecken des Regionalnetzes Münsterland-Ostwestfalen ferngesteuert.
Das Bahnbetriebswerk Coesfeld
Ein Spiegel des Wandels ist auch das Bahnbetriebswerk (Bw). Von Anfang an war Coesfeld "Lokstation" für die Unterhaltung von Lokomotiven. Die nach Verstaatlichung und der Eröffnung der (Staatsbahn-)Strecke Münster – Coesfeld – Empel-Rees erfolgten Umbauten und Erweiterungen umfassten auch die Errichtung einer Werkstatt für die Unterhaltung, Pflege und Reparatur der damals eingesetzten Dampflokomotiven mit Lokschuppen, Drehscheibe und Wasserturm. Coesfeld war Heimatbahnhof für viele Lokomotivbaureihen; hinzu kamen zahlreiche "durchreisende" oder in Coesfeld wendende Lokomotiven anderer Bws wie Münster, Rheine und Oberhausen, deren Vorräte hier ergänzt oder an denen kleinere Unterhaltungsarbeiten ausgeführt wurden. Typisch für Coesfeld waren bis in die 1960er Jahre vor allem die Dampflok-Baureihen 38, 50, 56 oder 78, ehe diese 1974 endgültig von Diesellokomotiven und -triebwagen verdrängt wurden.
Gehörten 1948 noch 186 Bedienstete in verschiedenen Funktionen dem Bw an, so ging diese Zahl stetig zurück. Den Status als eigenständiges Bw verlor Coesfeld schon 1950, als es zunächst zu einer Nebenstelle des Bw Gronau umgewandelt und dann 1967 – wie auch Gronau – dem Bw Rheine als Außenstelle angegliedert wurde. Ab 1975 war Coesfeld nur noch eine Lokmeldestelle des Betriebswerks Münster, ehe diese Funktion 1991 schließlich in den Bahnhof umgesiedelt wurde; damit hatte das Bw Coesfeld nach fast 80 Jahren aufgehört zu existieren. Von den markanten Anlagen des Bw ist der große Ringlokschuppen bereits 1977 vermutlich durch Brandstiftung zerstört worden, der Wasserturm wurde 1984 gesprengt. Heute erinnert nichts mehr an das Betriebswerk, die einstige Fläche ist inzwischen überbaut worden.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Beckmann, A. (1998): Bahnhof Coesfeld. Bedeutung im Güterverkehrsnetz der Bahn. Vom Rangierbahnhof zum "Satelliten". In: Arbeitsgemeinschaft Schienenverkehr Münsterland e. V. (Hg.): Bahn-Regional, Nr. 58. o. O., S. 48–60 | |
• | Brüning, E. (1988): Der Bahnhof Coesfeld heute. In: Arbeitsgemeinschaft Schienenverkehr Münsterland e. V. (Hg.): "Heide-Express" und "Baumberge-Bahn". Fotos und Berichte zur Eisenbahnstrecke Empel-Bocholt-Borken-Coesfeld-Münster. o. O., S. 31–35 | |
• | Hörnemann, D. (1991): Das Ende des Bahnbetriebswerks Coesfeld (Westf.). In: Arbeitsgemeinschaft Schienenverkehr Münsterland e. V. (Hg.): Bahn-Regional, Nr. 35. o. O., S. 33–39 | |
• | Hörnemann, D. (1993): Das Ende des Bahnbetriebswerks Coesfeld (Westf.). In: Lokrundschau, Nr. 1–2/1993. Hamburg, S. 84–94 | |
• | Hörnemann, D. (2008): Der Eisenbahnknoten Coesfeld. Erfurt | |
• | Reichsbahndirektion Münster (Westf.) (Hg.) (1935): 40 Jahre Eisenbahndirektion Münster (Westf.) 1895–1935. Münster | |
• | Wübken, G. (2000): Die Coesfelder Bahnhofsanlagen im Wandel der letzten 40 Jahre. In: Arbeitsgemeinschaft Schienenverkehr Münsterland e. V. (Hg.): Bahn-Regional, Nr. 61. o. O., S. 47–52 und Nr. 62, S. 35–36 | |
• |
www.azonline.de/Coesfeld/2013/01/Offizielle-Einweihung-an-den-Gleisen-Modernisierung-fuer-6-5-Millionen-Euro-gut-angelegtes-Geld-Grosser-Bahnhof-fuer-Groschek |
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• |
www.drehscheibe-foren.de/foren/read.php?17,4090237 |
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• |
www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Verkehr/Bahnreform |
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www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Verkehr/Eisenbahn_Stilllegungen |
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www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Verkehr/GronauEnschede |
Erstveröffentlichung 2010, Aktualisierung 2015