Die Emscher-Lippe-Region – Strukturpolitik zwischen Westfalen und Ruhrgebiet

01.01.2007 Peter Haumann

Die Ermittlung von Clustern in der Wirtschaft und deren Stärkung durch regionale Kooperation ist eines der zentralen Handlungsansätze der Wirtschafts- und Strukturpolitik des Landes NRW. Auf den ersten Blick erfüllt die Emscher-Lippe-Region (Kreis Recklinghausen, Stadt Bottrop, Stadt Gelsenkirchen) beide Punkte in nahezu idealer Weise: Die Region blickt auf eine lange und erfolgreiche Tradition der regionalen Zusammenarbeit zurück und verfügt z.B. mit der Initiative ChemSite über eines der "Vorzeigecluster" in NRW. Dennoch zeigt sich auch in Emscher-Lippe der Bedarf, die eigene Position und zukünftige Vorgehensweise zu überprüfen und eventuell anzupassen. Eine der Ursachen liegt in einer nur schwach ausgeprägten eigenen regionalen Identität.

Der Begriff "Emscher-Lippe-Region" taucht bereits im Zusammenhang mit der kommunalen Neugliederung 1926 bis 1929 im Kontext einer regionalen Zusammenarbeit auf. In einer Stellungnahme des Kreises wird u.a. darauf hingewiesen, dass man "im Emscher-Lippe Land immer schon gut zusammengearbeitet" habe. Um die im Zuge der Neugliederung entstandenen Konflikte zu mildern, war bereits damals eine enge Kooperation zwischen dem damaligen Kreis und den Städten Gelsenkirchen und Bottrop vorgesehen. Es wurde dazu sogar eine konkrete Vereinbarung und Satzung beschlossen, die aber wohl nicht mehr richtig zum tragen gekommen ist.

In den 1980er Jahren bildete die Emscher-Lippe-Region dann im Regierungsbezirk Münster für den Gebietsentwicklungsplan (GEP) den "Teilabschnitt nördliches Ruhrgebiet". In der Fortschreibung des GEP fast 20 Jahre später lautet die Bezeichnung nicht mehr "nördliches Ruhrgebiet", sondern "Emscher-Lippe". Dies markiert einen Prozess, der erneut ausgelöst wurde durch Konfliktsituationen zwischen den Städten in der Region. Verkürzt lautete nun die Grundfrage: Was ist die richtige Entwicklungsstrategie für die Region? Ist der GEP ein geeignetes Instrumentarium, Strategien der regionalen Entwicklung zu entwerfen und umzusetzen, oder müssen hier andere Wege eingeschlagen werden?

In der Folge kam es 1987 zur Gründung einer Emscher-Lippe-Konferenz mit Vertretern der Städte, der Kammern, Gewerkschaften etc. unter Vorsitz des Regierungspräsidenten Münster. Diese Konferenz hatte zum Ziel, durch stärkere regionale Zusammenarbeit die wirtschaftliche Entwicklung des Emscher-Lippe-Raumes voranzubringen.

Befördert wurde der Prozess durch die "Zukunftsinitiative Montanregion (ZIM)" 1987, die sich daran anschließende "Zukunftsinitiative Nordrhein-Westfalen (ZIN)" und die folgende "Regionalisierte Strukturpolitik" sowie die damit eng verbundene Förderung des Ruhrgebietes durch Mittel der Europäischen Union und des Landes als "altindustrialisiertes Gebiet". Das gesamte Land wurde in Anlehnung an die Bezirke der Industrie- und Handelskammern in "Regionen" unterteilt. Dort sollten die endogenen Potenziale gemeinsam von den "regionalen Akteuren" herausgearbeitet sowie mit Projekten konkretisierte Handlungsfelder benannt werden. Eine der Regionen war die Emscher-Lippe-Region. Von der administrativen Seite aus betrachtet bot sich diese Abgrenzung an, da die Region wie beschrieben den regionalen Teilabschnitt für den GEP im Bezirk Münster und der Vestischen Gruppen der IHK zu Münster bildete. Zudem verfügte die Region bereits über erste Kooperationsstrukturen.

Gerade zu Anfang dieses Prozesses war zu spüren, dass sowohl innerhalb des Ruhrgebietes als auch innerhalb von Westfalen - hier verkürzt definiert als Regierungsbezirk Münster - sich die Region nur gemeinsam Aufmerksamkeit verschaffen kann. Die Zusammenarbeit in der Emscher-Lippe Region erfolgt also vor dem Hintergrund gleicher wirtschaftstrukturelle Probleme und mit Ziel, die "Randlage" sowohl innerhalb des Ruhrgebietes und als auch innerhalb von Westfalen durch gemeinsames Handeln abzumildern, sich gemeinsam Gehör zu verschaffen. Die beiden oben genanten Komponenten bilden zusammen mit der regionalisierten Strukturpolitik den "Kitt" für die regionale Zusammenarbeit.

Emscher-Lippe war in NRW durchaus beispielhaft für das Konzept der "Regionalisierten Strukturpolitik". Von 1987 bis 1999 wurden drei Entwicklungskonzepte bzw. Programme erstellt. Das Programm von 1998 war dabei sehr weitreichend und enthielt an vielen Stellen bereits Ansätze der heutigen Kompetenzfeld/Clusterstrategie. Noch in 2005 wurden mit der damaligen Landesregierung und der Region detaillierte "Zielvereinbarungen" abgeschlossen, die u.a. Angaben zur Messung der Erfolge enthalten.

Mit der Zeit hat sich dabei die Region mehr und mehr von der Federführung durch die Bezirksregierung Münster gelöst. Zurzeit besteht unter dem Titel "Emscher-Lippe-Allianz" eine Arbeitsteilung, die in einer Vereinbarung festgehalten wurde. In den Feldern Chemie, Energie, Gesundheitswirtschaft, industrienahe Dienstleistungen, Mittelstand und Gründung sowie Beschäftigung und Qualifizierung haben jeweils die Wirtschaftsförderung einer Stadt/eines Kreises die Gesamtfederführung für einen Facharbeitskreis übernommen, der die in den Zielvereinbarungen definierten Ziele und Projekte umsetzt. Über die Erfolge, notwendigen Anpassungen etc. wird einem Regionalen Aufsichtsrat regelmäßig berichtet. Dieser Regionale Aufsichtsrat berät auch über die Bereitstellung der für die Arbeit notwendigen Ressourcen.

Die Emscher-Lippe Region hat in ihrer Zusammenarbeit eine Reihe von Erfolgen zu verzeichnen, wie z.B. die Gründung einer eigenständigen Fachhochschule, die ChemSite-Initiative, das Netzwerk "Zukunftsenergien", das ELGO! e.V. Gründungsnetzwerk, der Interkommunale Gewerbepark Dorsten-Marl und vieles andere mehr. Auch der Bekanntheitsgrad der Emscher-Lippe-Region ist innerhalb des Landes stark gestiegen.

Die Erkenntnis für die Notwendigkeit regionalen Handelns hat aber wie bei anderen Regionen nicht immer den erhofften Einfluss auf das tägliche Geschäft. Die Abgabe von Kompetenzen kann bei konkreten Projekten schnell an Grenzen stoßen. Verwaltungshandeln und politischen Entscheidungen sind meist kommunal, nicht regional ausgerichtet. "Renditen" für regionale Kooperation fallen eher mittelfristig an und lassen sich häufig schlecht kommunal verwerten. Dies wird auch dadurch erschwert, dass es nach wie vor für die Bewohner der Region keine "Emscher-Lippe-Identität" gibt.

In der Konsequenz tendieren Städte in der Region auch zu anderen regionalen Einheiten: Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck zu Essen, Haltern am See zum Münsterland oder Castrop-Rauxel und Waltrop zu Dortmund. Die Frage, wohin sich die Einwohner in der Emscher-Lippe-Region orientieren, ist nicht eindeutig zu beantworten. Als kleiner Hinweis mag gelten, dass die Städte im Kreis Recklinghausen bei den Suchmaschinen im Internet zwei- bis dreimal häufiger im Zusammenhang mit dem Begriff "Westfalen" (unter Ausschluss des Begriffes "Nordrhein") als mit dem Begriff "Ruhrgebiet" aufgeführt werden. Dies gilt allerdings nicht  für die Stadt und den Kreis Recklinghausen. Auf der anderen Seite besteht eine enge Verflechtung zum Ruhrgebiet. Weiterhin ist es erklärtes Ziel der Landesregierung, die bestehenden fünf Bezirksregierungen auf drei Regionalverwaltungen Rheinland, Westfalen und Ruhrgebiet zu reduzieren.
Abb. 1: Vest und Kreis Recklinghausen, kreisfreie Städte Bottrop und Gelsenkirchen (Entwurf: A. Mayr, verändert aus: Städte und Gemeinden in Westfalen - Die Emscher-Lippe-Region)

Auch aufgrund der neuen Phase der Ziel-2-Förderung von 2007 bis 2013 wird sich wie schon häufiger die Region erneut finden und abstimmen müssen.

Die Landesregierung NRW hat mehrere Änderungen gegenüber den vorherigen Förderperioden angekündigt. So sollen zwar weiterhin rd. 50% des Mittelvolumens in das Ruhrgebiet fließen, aber es können nun Projekte in ganz NRW unterstützt werden. Weiterhin gibt es keine Vorgaben für regionale Kooperationsräume mehr. Für jedes Projekt können neue regionale Allianzen eingegangen werden. Insgesamt sollen die Mittel der Ziel-2-Förderung mehr für Wachstum und Innovation und weniger für das Ausgleichanliegen eingesetzt werden.

Damit ist der beschriebene "Kitt" der regionalen Zusammenarbeit einigen Angriffen ausgesetzt. Aufgrund der besonderen Problemlage und der engen Verflechtungen muss es der Emscher-Lippe-Region aber weiterhin gelingen, im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen regionalen Identitäten und Verbindungen ein eigenes Profil zu behalten, handlungsfähig zu bleiben und gemeinsame Interessen zu formulieren und zu vertreten. Ansonsten besteht die Gefahr, wieder in eine "strukturpolitische Randlage" zurückzufallen.

Innerhalb des Kreisgebiets will der Kreis Recklinghausen mit dem historischen Begriff "Vest" eine bessere Identifikation der Bürger erreichen. Das Vest Recklinghausen bestand vom 12. bis zum Anfang des 19. Jh.s. Der Begriff findet sich auch noch heute in verschiedenen Formen wieder wie Sparkasse Vest, Vestische Straßenbahnen, Hit Radio Vest, Vestischer Kalender, Vestischer Unternehmerkreis, Vestisch-Märkische Wohnungsbaugesellschaft, Vest-Quelle, Vestische Kinder- und Jugendklinik, Vestische Arbeit, Vestischer Golfclub, Vestolit, Vestischer Reisedienst u.a.m. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das historische Vest einerseits nicht das gesamte Kreisgebiet abdeckt, andererseits aber weite Teile von Bottrop und sogar Gelsenkirchen umfasst (Abb. 1).

Letztlich wird bei allen Bemühungen deutlich, dass eine langfristige regionale Kooperation ohne gewachsene regionale Identität hohe Ansprüche an alle Beteiligten stellt und einer ständigen Erneuerung bedarf.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007