Das ostwestfälische "Klemmen Valley"

10.12.2018 Peter Wittkampf

Inhalt

Selbst unerfahrene Heimwerker kennen vermutlich die "Lüsterklemmen", die z.B. bei Lampen die Stromverbindung zwischen der Leitung und dem Leuchtkörper herstellen. Moderne Geräte unterschiedlichster Art und Funktion brauchen ebenfalls solche Verbindungen, die allerdings heute teilweise den alten Lüsterklemmen technisch weit überlegen und mit ihnen kaum noch vergleichbar sind. Schraubenlose Federklemmen, Reihenklemmen, Steckverbindungen, Relaismodule, elektronische Schaltsys­teme und Steuerungsgeräte, Interface-Electronic usw. sind Stichworte, welche die Richtung andeuten, in die sich die moderne "Klemmen-Industrie" inzwischen entwickelt hat. Überall dort, wo Daten oder elektrische Impulse weitergeleitet oder umgewandelt werden müssen, kommen entsprechende Techniken zum Einsatz. Das, was sich z.B. im Inneren "einfacher" Schaltschränke oder -kästen befindet, wie wir sie an den Straßen manchmal wahrnehmen, sehen wir meist nicht, es ist aber entscheidend wichtig. Dasselbe gilt für viele andere Einrichtungen, die für unseren Alltag Bedeutung haben, ob es sich beispielsweise um die Kassen in unseren Supermärkten handelt oder um Leitstände, die unsere Verkehrsinfrastruktur oder die Produktionsanlagen großer Firmen steuern und überwachen.

Ostwestfalen-Lippe (OWL) gilt als Standort weltweit agierender Unternehmen, die sich in diesen Sektoren als Marktführer etabliert und behauptet haben. Etwa 70% des Weltmarktes in der elektrischen Verbindungs- und Automatisierungstechnik werden von Unternehmen aus OWL abgedeckt oder sogar beherrscht. Analog zum kalifornischen "Silicon Valley", dem Zentrum der Computer- und IT-Entwicklung, wird die Region – scherzhaft oder auch im Ernst – oft "Klemmen-Valley", teilweise auch "Elektronik-Valley" genannt. Sie umfasst im Wesentlichen die Kreise Minden-Lübbecke und Lippe.

Abb. 1: Phoenix Contact – Unternehmenszentrale in Blomberg (Kreis Lippe) (Foto: Phoenix Contact)

Ursprüngliche Standortfaktoren

Während des Zweiten Weltkriegs wurden Industrieunternehmen aus Ballungsgebieten oder Großstädten in eher ländlich geprägte Regionen verlagert, wo man ihre Lage als sicherer einschätzte. Dies war beispielsweise auch bei der von Hugo Knümann 1923 in Essen gegründeten, heutigen Firma Phoenix Contact der Fall, die u.a. Klemmen für elektrische Straßenbahnen produzierte und 1943 nach Blomberg (Kreis Lippe) verlegt wurde. Andere Unternehmen kamen nach dem Krieg ebenfalls in diese Region, und zwar aus mehreren Gründen:

  • Der Gebäudebestand hatte im Krieg hier nicht so stark gelitten wie in manchen anderen Regionen, also hatten Unternehmen hier bessere Möglichkeiten, von ihnen benötigte Immobilien zu nutzen. Dies betraf u.a. die Firma Weidmüller, die 1948 von Chemnitz nach Detmold zog.
  • Die Region hatte (und hat) sehr günstige Verkehrsanbindungen zu bieten. Wichtige Straßen- und Eisenbahnverbindungen (Rhein-Ruhr bis Hamburg und Berlin, das Wasserstraßenkreuz Weser / Mittellandkanal, gute Erreichbarkeit des Flughafens Hannover u.a.m.) sind hier zu nennen.
  • In der Region gab es vor allem in den Jahren nach der Währungsreform viele Arbeitskräfte, die nach neuen Betätigungsfeldern suchten. Die Zigarrenherstellung beispielsweise, für die sehr viele Menschen in den Fabriken oder in Heimarbeit tätig gewesen waren, konnte den größten Teil der Arbeitskräfte nicht weiter beschäftigen (s. Beitrag Hamer).
Tab. 1: Die drei bedeutendsten Unternehmen im Bereich "Steckverbindungen" in Ostwestfalen-Lippe

Die "großen Drei" in der Verbindungstechnik

Drei der bedeutendsten Unternehmen in Bezug auf Klemmen bzw. Steckverbindungen und die damit in Beziehung stehende Elektrotechnik und Elektronik erwirtschafteten im Jahr 2017 zusammen einen Umsatz von etwa 3,8 Mrd. Euro. Weltweit beschäftigten sie zu dieser Zeit zusammen insgesamt ca. 29.200 Mitarbeiter. Tabelle 1 zeigt die Anteile der einzelnen Unternehmen.

Abb. 2: Die WAGO-Zentrale in Minden (Foto: WAGO)

Firmenspezifika

Phoenix Contact (Abb. 1) ist Weltmarktführer für den Bereich der elektrischen Verbindungstechnik. Die drei Schwerpunktbereiche der Produktion sind a) Geräte- und Leiterplatten-Anschlusstechnik, b) industrielle Komponenten für Elektrotechnik und Elektronik, c) industriespezifische Automatisierungslösungen. Zur Unternehmensgruppe gehören 14 Firmen in Deutschland. Ein Großteil des Umsatzes wird im Ausland erwirtschaftet. 55 Vertriebsgesellschaften und 40 Vertretungen unterhält Phoenix Contact in aller Welt. Produziert wird in 13 Ländern. In der hauseigenen Entwicklungsabteilung in Blomberg arbeiten ca. 250 Ingenieure. Entwicklungsabteilungen für Produktinnovationen gibt es auch in China und den USA.

WAGO (Abb. 2) ist Weltmarktführer bei Federklemmen. Etwa 75% des Umsatzes wird mit der elektrischen Verbindungstechnik erwirtschaftet, die restlichen 25% durch Produkte der Interface-Elektronik (Schnittstellen zwischen Geräten, Systemen usw.) und der Automation. Das Unternehmen ist in ca. 80 Ländern vertreten. WAGO steigerte 2017 den Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 13%. Das Investitionsvolumen betrug 2017 fast 100 Mio. Euro. Von dem Gesamtumsatz, der sich im Übrigen seit 2009 verdoppelte, werden 28% in Deutschland, 42% im übrigen Europa, 17% in Asien und 12% in Amerika erzielt. Besonders hohe Wachstumsraten gab es zuletzt in Ungarn, Mexiko, Russland und der Türkei.

Weidmüller (Abb. 3) produziert ebenfalls Teile und komplette Anlagen für elektrische Verbindungs- und Anschlusstechniken, zum Steuern und Leiten von Signalen und Daten etc. In letzter Zeit wurde der Schwerpunkt bei Produktion und Angebot auf die Automatisierung und Digitalisierung gelegt. Auch Weidmüller ist in mehr als 80 Ländern vertreten. Das weltweite Netz der Vertriebsgesellschaften, Gruppenunternehmen und Vertriebsniederlassungen wird weiter ausgebaut, 2017 beispielsweise in USA, Kanada, Mexiko, Indien, Taiwan und Malaysia. Die Umsatzsteigerung 2017 gegenüber 2016 betrug knapp 9%.

Abb. 3: Fertigungshalle der Firma Weidmüller in Detmold (Foto: Weidmüller)

Herausforderungen und Strategien

Die genannten Familienunternehmen (!) sind geschäftlich äußerst erfolgreich und bauen in ihrer Produktpalette zunehmend den Bereich der Komplettlösungen und Automatisierungen aus. Das macht sie – als Markt- und z.T. als Weltmarktführer – zukunftsfähig, bringt aber zwangsläufig auch einen erheblichen Einsatz in Bezug auf Forschung und Entwicklung mit sich. Sie agieren zwar weltweit, stehen aber in OWL vor der Herausforderung, hier – gerade auch angesichts des regionalen Konkurrenzdrucks – geeignete Fachkräfte und Mitarbeiter zu gewinnen – und zu halten. Auch müssen diese Mitarbeiter ständig weitergebildet werden.

Die Maßnahmen, um dies alles zu erreichen, sind vielfältig: firmeneigene Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten, z.T. Rabatte in den Geschäften, betriebliche Gesundheitsvorsorge, Angebote dualer Studiengänge, die Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen oder die Errichtung eigener Akademien zur Aus- und Weiterbildung (z.B. durch Weidmüller in Detmold 2003 und in Shanghai 2011) sind nur einige Beispiele für solche Bemühungen.

Bei den Hochschulen, mit denen eine Zusammenarbeit erfolgt, nimmt die Hochschule OWL mit ihrer anwendungsorientierten Forschung einen besonders wichtigen Platz ein.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2018