Aufgrund der Veränderungen der Bevölkerungszahl sowie der Bevölkerungsstruktur in den Gemeinden und Städten in Westfalen kommt es zu neuen Herausforderungen für die Kommunalplanung (Abb. 1). Dies betrifft vor allem die Anpassung der verschiedenen Infrastrukturen auf kommunaler Ebene. Die Gemeinden haben in Deutschland nach Art. 28 Abs. 2 GG die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, und hierzu zählt ebenfalls die Bereitstellung von Infrastruktureinrichtungen zur Sicherung und Steigerung der Lebensqualität. Somit sind die Gemeinden maßgebliche Akteure in der Bewältigung des demographischen Wandels (Frey u. Brake 2005; MKRO 2003, 1).
Dabei stellen vor allem das Nebeneinander von gegensätzlichen Entwicklungen und die regionale Ausdifferenzierung nach der Geschwindigkeit des demographischen Wandels ein Problem dar: Während die eine Gemeinde weiterhin Bevölkerungszuwächse meist durch Zuzug verzeichnen kann, nimmt die Einwohnerzahl eventuell in der direkt benachbarten Kommune ab. Diese Bevölkerungsveränderungen sind dabei nicht linear, sondern verlaufen in demographischen Wellen, die eine langfristige kommunale Planung erschweren (Bucher et al. 2004, 125).
Demographischer Wandel in Westfalen als Herausforderung für die Kommunalplanung
Der teilweise deutliche Rückgang der unter 20-Jährigen senkt mittel- bis langfristig die Nachfrage nach Betreuungs- und Bildungsinfrastrukturen wie Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen. Es droht die Schließung von nicht mehr ausgelasteten Einrichtungen, meist mit dem Ziel, durch Konzentrationsprozesse des Infrastrukturangebotes eine Sollauslastung der verbliebenen Standorte zu gewährleisten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass sich durch diese Vorgehensweise und aufgrund der vielen Einzelgehöfte und Bauerschaften die Wege der Kinder und Schüler als Nutzer der Einrichtungen weiter verlängern und sich somit bei den Kommunen erhöhte Kosten der Beförderung ergeben. Die Schließung von Betreuungs- und Bildungsinfrastruktureinrichtungen verschlechtert weiterhin die Attraktivität des ländlichen Raumes als Wohnstandort. Die Kommunen sind daher sehr bemüht, eine wohnortnahe Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von Bildungsangeboten zu ermöglichen, was aufgrund der knappen öffentlichen Kassen zunehmend schwieriger wird (Just 2004, 15ff.; Kocks 2004, 26f.; Müller 2004, 5f.; Winkel 2002, 241).
Gerade bei den Kindergärten und Schulen kommt verschärfend hinzu, dass, bedingt durch die demographischen Wellen, von Jahr zu Jahr stark veränderte Nachfragergruppen entstehen.
Zusätzlich zu den aufgeführten Herausforderungen für die kommunale Planung befinden sich sämtliche öffentlichen Haushalte in einer schwierigen Lage. Die Kommunen müssen derzeit den Spagat vollführen, zum einen mit zusätzlichen Angeboten wie dem Ausbau der Kinderbetreuung am Nachmittag etc. konfrontiert zu sein und gleichzeitig ihre Ausgaben zu reduzieren (Haake 2005; Mäding 2004). Ziel der Kommunen ist dabei, die Wohn- und Lebensqualität sowie die Kinder- und Familienfreundlichkeit zu erhöhen, um weiterhin für potenziell zuziehende junge Familien attraktiv zu bleiben.
Aufgrund der Herausforderungen für die kommunale Planung, bedingt durch die demographischen Veränderungen im Kreis Steinfurt, werden im Folgenden für die beiden Handlungsfelder Betreuungsinfrastruktur und Bildungsinfrastruktur einige Vorschläge für eine angepasste Weiterentwicklung der entsprechenden Infrastrukturen in den Kommunen des Kreises gegeben.
Da die Kindergartenbedarfsplanung im Kreis Steinfurt für die kleineren Kommunen durch das Kreisjugendamt geleistet wird, beziehen sich die folgenden Aussagen auf diese zusammenfassende kommunale Ebene, wobei eine enge Abstimmung der Planungen zwischen dem Kreisjugendamt und den Gemeinden erfolgt, welche bei öffentlichen Kindergärten die Träger der Einrichtungen sind.
Im Bereich der Betreuungsinfrastruktur ist aufgrund des steigenden Bedarfs für die Betreuung von unter Dreijährigen sowie von Schulkindern bis 14 Jahre eine Anpassung der kommunalen Kindergartenbedarfsplanung hinsichtlich einer Erweiterung der Angebote erforderlich. Eine Einschätzung der zusätzlichen Nachfrage nach diesen Angeboten könnte bspw. durch eine repräsentative Elternbefragung erfolgen. Gleichzeitig ist es ratsam, die Bürger und Eltern in die weitere Entwicklung der Kindergartenlandschaft einzubeziehen.
Freie und private Träger wie bspw. die Kirchen oder Vereine können - falls noch nicht geschehen - verstärkt bei der bedarfsgerechten Vorhaltung der Angebote berücksichtigt werden. Zusätzliche Angebote insbesondere bei der Nachmittagsbetreuung können verstärkt durch qualifiziertes, ehrenamtliches Personal erbracht werden. Diese Leistungen sollten dabei gleichzeitig ideell und monetär durch die Kommune bzw. die Träger der Einrichtungen eine Würdigung erhalten.
Im Bereich der Bildungsinfrastruktur ist, bedingt durch die Schrumpfung der Jugendkohorte, eine Anpassung der Schulentwicklungsplanung an sinkende Schülerzahlen notwendig. Die Schulplanung obliegt dabei den Gemeinden. Im Grundschulbereich kann aufgrund anhaltender Zuzüge junger Familien in die Gemeinden des Kreises Steinfurt durch die Neuzuschneidung der Schulbezirke zunächst ein Schülerausgleich zwischen den einzelnen Schulen erreicht werden, so dass Standorte gestärkt werden können.
Die weiterführenden Schulen sind durch organisatorische Veränderungen wie z.B. der schulformübergreifenden Unterrichtung den absinkenden Schülerzahlen anzupassen, solange dies pädagogisch sinnvoll ist. In jedem Fall müssen diese Veränderungen zwischen den Schulen, den Schulträgern, der Schulaufsicht, der Kommune und dem Kultusministerium ausgehandelt werden. Der Erhalt kleiner Schulstandorte kann über kleinregionale Lösungen wie Schulverbände erreicht werden. Ebenfalls gilt es, bei den Planungen und Entwicklungen an den Schulen bzw. für die Schulen alle Beteiligten wie Lehrer, Eltern, Schüler etc. frühzeitig einzubeziehen.
Das Vorhalten von guten Betreuungs- und Bildungsangeboten ist ein positiver und entscheidender Standortfaktor, auch für die Wirtschaft. Denn nur in familien- und kinderfreundlichen Kommunen werden sich die benötigten Fachkräfte gerne niederlassen. Die profitierenden Unternehmen sollten sich daher beim Aufrechterhalten der Angebote ideell und finanziell stärker beteiligen.
Die frühzeitige aktive Anpassung der Betreuungs- und Infrastrukturangebote ist ein Baustein, um die Gemeinden in Westfalen nachhaltig attraktiv weiter zu entwickeln und somit im Wettbewerb der Kommunen um neue Einwohner, Arbeitskräfte und wirtschaftliche Unternehmen zu bestehen (Löwer 2005).
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Bucher, H., C. Schlömer und G. Lackmann (2004): Die Bevölkerungsentwicklung in den Kreisen der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1990 und 2020. In: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hg.): Raumordnungsprognose 2020. Bonn, S. 107-126 | |
• | Frey, R. und C. Brake (2005): Von A wie Abfallbeseitigung bis Z wie Zoo. In: Das Parlament, Nr. 1/2 vom 03./10.01.2005. Berlin | |
• | Haacke, E. (2005): Mäuse zählen, Streichliste auspacken. In: Das Parlament, Nr. 1/2 vom 03./10.01.2005. Berlin | |
• | Just, T. (2004): Demografische Entwicklung verschont öffentliche Infrastruktur nicht. Frankfurt a.M. (www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DEPROD/PROD0000000000079016.pdf; abgerufen am 22.11.2004) | |
• | Kocks, M. (2004): Infrastruktur und demographischer Wandel: Die Anpassung managen. In: LEADER Forum, Jg. 7, Heft 2. o. O., S. 25-27 | |
• | Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (LDS) (Hg.) (2004): Vorausberechnung der Bevölkerung 2002 bis 2020/2040. Düsseldorf | |
• | Löwer, M. (2005): Betreuungs- und Bildungsinfrastrukturentwicklung in ländlichen Kommunen im Zeichen des demographischen Wandels. Münster (Diplomarbeit am Institut für Geographie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster) | |
• | Mäding, H. (2004): Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen - Einige Trends und Erwartungen. In: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften, 43. Jg., Heft 1. Berlin, S. 84-102 | |
• | Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) (Hg.) (2003): Sicherung und Weiterentwicklung der öffentlichen Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. Entschließung der 31. Ministerkonferenz für Raumordnung am 13. Oktober 2003 in Berlin. Berlin | |
• | Müller, B. (2004): Demographischer Wandel und die Folgen für die Städte - Einführung und Übersicht. In: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften, 43. Jg., Heft 1. Berlin, S. 5-13 | |
• | Winkel, R. (2002): Raumplanung unter neuen Vorzeichen. In: Raumplanung, Heft 104. o. O., S. 241-245 |
Erstveröffentlichung 2007