Erste Bauern in der Warburger Börde

01.01.2007 Ernst Th. Seraphim

Die Warburger Börde ist eine der fruchtbarsten Landschaften Westfalens. Deshalb verwundert es nicht, dass sie zugleich eine Landschaft ist, die bereits vor mehr als 5000 Jahren vor Christi Geburt, also während des Frühneolithikums, von einer bäuerlichen Kultur, den Linienbandkeramikern, besiedelt wurde. Sie gehört damit zu den ersten Landschaften Mitteleuropas, in denen der Mensch, der hier freilich auch bereits früher nachgewiesen wurde, nun auch dauerhaft sesshaft wurde.

Die Fruchtbarkeit der Warburger und anderer Bördenlandschaften geht auf den Löss zurück, ein basisches bis schwach saures, mineralisches und feinkörniges äolisches Sediment der quartären Eiszeiten, das in relativ trockenen Klimaabschnitten durch den Bewuchs mit Steppengräsern mit Humusstoffen angereichert und zu Schwarzerde wurde.

Zwei linienbandkeramische Siedlungen, die vor etwa 4800 Jahren vor Christus am westlichen Rand der Warburger Börde bestanden, lagen beiderseits des Ederbaches zwischen Hohenwepel und Peckelsheim. Ihre noch nicht abgeschlossene Untersuchung hat sich zunächst auf Oberflächenfunde (verschiedene Groß- und Kleingeräte, Mahlsteine, Keramik u.a.) auf den Äckern gestützt, bis durch den Bau einer Ferngasleitung (MIDAL), der wissenschaftlich begleitet wurde, die kalibrierte Datierung von Getreidekörnern aus einer Abfallgrube gelang und die Rekonstruktion der Grundrisse einiger Häuser ermöglicht wurde.

Der Verfasser dieses Kurzberichtes hat sich demgegenüber vorwiegend darauf konzentriert, die Art der von den Bewohnern der Siedlungen benutzten Materialien zu identifizieren. Zudem ist er der Frage nachgegangen, wo sie gewonnen bzw. woher sie bezogen wurden. Mit der Beantwortung dieser Fragen eröffnet sich ein Blick auf den siedlungsnahen, aber auch den weiteren Wirtschaftsraum der Siedlungen und auf die Lebensumstände ihrer Bewohner. Dabei kam dem Verfasser neben seiner eher naturwissenschaftlichen Ausbildung auch ein langer Kontakt mit verschiedenen Sparten der Geisteswissenschaften, das intensive Studium der relevanten archäologischen Literatur und nicht zuletzt der Vergleich des umfangreichen eigenen Fundmaterials mit dem Ausstellungsgut der Museen von Mitteldeutschland bis zu den Niederlanden und Belgien zugute. Zudem wurden mehrfach Begehungen des Geländes in Regionen unternommen, die geeignet erschienen, offene Fragen anzugehen.

Zu den Ergebnissen, die sich nach etwa dreißigjähriger Betätigung abzeichneten und zu einer inzwischen abgeschlossenen gründlicheren Darstellung angeregt haben, zählen folgende Fakten - wobei beide Siedlungsplätze, wo es sinnvoll erschien, getrennt betrachtet wurden:
Abb. 1: Spitze und Klinge aus Feuerstein. Linienbandkeramische Siedlung Großeneder I, Kr. Höxter (Foto: F. Buhr)

Unter den mehr als 6000 Artefakten, die im wenige Hektar großen Gebiet der beiden Siedlungen aufgelesen wurden, entfallen einschließlich des Schlagschutts etwa 95% auf den Feuerstein, den man, da er zu damaliger Zeit zu Werkzeugen verschiedenster Art verarbeitet wurde, auch als den "Stahl der Steinzeit" bezeichnet hat. Die während der Linienbandkeramik hergestellten kleinen Feuerstein-Werkzeuge (Abb.1) dienten zum Töten, Schneiden, Schnitzen, Schaben, Kratzen und Bohren, sei es bei der Jagd, der Bearbeitung von Holz, Horn, Fellen und Geweihen oder bei der Einbringung der Ernte. Für die Herstellung der verschiedenen Geräte benötigte man hinreichend große und "gesunde" Feuerstein-Knollen, wobei man bislang angenommen hat, dass sie in den nächstgelegenen  Grundmoränen in der Westfälischen Bucht und dem Weserbergland zur Verfügung standen.

Nach den Untersuchungen des Verfassers stellt sich die Sachlage insofern anders dar, als dieser altmoränale Feuerstein durch die mechanische Beanspruchung während des Transportes im saalezeitlichen Inlandeis und die klimatisch bedingte Verwitterung in den oberflächennahen Lagen der Moräne so kleinstückig zerfallen, brüchig und verwittert war, dass er sich nur noch ausnahmsweise für die Gewinnung von stabilen Kernstücken und den daraus zu schlagenden Klingen eignete. Hinzu kommt, dass die wenigen brauchbaren Knollen wegen der im Atlantikum anzunehmenden Waldbedeckung der Moränenböden nicht in dem Maße zugänglich waren, wie es erforderlich gewesen wäre.

Abb. 2: Die Herkunftsgebiete von Rohstoffen und/oder Halbfertigprodukten / Fertigprodukten aus Fernimporten der linienbandkeramischen Siedlungen am Ederbach (Entwurf: E. Th. Seraphim, Quelle: Schwarz-Mackensen und Schneider, verändert)

Große und zugleich intakte Feuerstein-Knollen standen den linienbandkeramischen Siedlern der Warburger Börde bestenfalls in den glaziofluvialen Kames der "Hausberger Schweiz", der Emme bei Eisbergen sowie in der Wesertalung bei Möllenbeck und Silixen in einer Entfernung zur Verfügung, die noch zu bewältigen war. Unter den Kernsteinen und Restkernen, die in den beiden Siedlungen geborgen wurden, stammen etwa 85% aus nordeuropäischem Feuerstein, der aus diesen Vorkommen beschafft worden sein mag. Die nächsten, ebenfalls weitgehend unverwitterten weichseleiszeitlichen, d.h. jungmoränalen Ablagerungen, die in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, z.B. den Kliffen an der Ostseeküste anzutreffen sind, können in diesem Zusammenhang keine Rolle gespielt haben, da das norddeutsche Tiefland nördlich der Lössgrenze noch von Mesolithikern beherrscht und zu weit entfernt war.

Etwa 15% der Kernsteine und Restkerne der bandkeramischen Siedlungen am Ederbach bestehen aus einem grauen opaken Feuerstein, der anscheinend frei von makroskopisch sichtbaren Mikrofossilien ist. Die Beschaffenheit dieses Feuersteins spricht für dessen westeuropäische Herkunft. Bisher hat man die Auffassung vertreten, dass westeuropäischer Feuerstein nur bis zur Soester Börde in den Fundinventaren auftritt und auf die Gegend um Ryckholt südlich Maastricht zurückzuführen ist. Der Verfasser neigt nach der mehrfachen Bereisung der südlichen Niederlande und der belgischen Provinzen Brabant Wallon (Wallonisch Brabant) und Hainaut (Hennegau) dazu, die Herkunft des westeuropäischen Feuersteins der beiden linienbandkeramischen Siedlungen am Ederbach in der Warburger Börde in den Abbaugebieten dieser mittelbelgischen Provinzen zu suchen (Abb. 2).

Abb. 3: Dechsel aus Aktinolith-Hornblendeschiefer (Foto: F. Buhr)

Einen noch wesentlich weiteren Weg haben bestimmte, oft summarisch als "Felsgestein" bezeichnete Rohstoffe bzw. die daraus gefertigten Großgeräte der Linienbandkeramik zurückgelegt. Dies trifft vor allem für die aus feinkörnigem Hornblendeschiefern (Amphibolite) bestehenden Dechseln (Abb. 3) und Flachhacken zu, die mehr als 50% der in den beiden Siedlungen gefundenen Großgeräte ausmachen und vor allem zur Holzbearbeitung dienten. Die Lagerstätten der entsprechenden Rohstoffe befinden sich in den Sudeten, den Westkarpaten und im Hohen Balkan nördlich Sofia (s. Abb. 2). Für diese Geräte ist eine Lieferung als Fertig- und Halbfertigware anzunehmen, die über Ungarn, Mähren und Sachsen in die Hildesheimer und Warburger Börde erfolgte, wo sie mit einer hohen Anzahl an Fundstücken vertreten sind.

Doch wurden Dechseln und Flachhacken auch aus Ersatzgesteinen für den wertvollen Amphibolit gefertigt, wenn dessen Lieferung ausgeblieben war. Man hat sich dafür z.B. des Diabas, Grünsteins, der Grauwacken und basaltischer Tuffe bedient. Andere Produkte, die aus den Gesteinen der näheren Umgebung der Siedlungen angefertigt wurden, waren beispielsweise Schleif- und Wetzsteine aus Quarziten des nahen Ostsauerländer Sattels, Retuscheure aus Kieselschiefer-Platten (wohl auch aus Hirschgeweihen) sowie einfache Handmühlen und deren Läufer, für die vorzugsweise grobkörniger Buntsandstein Verwendung fand. In diese Aufzählung gehört auch der Ockerfarbstoff, der aus Roteisenerz gewonnen wurde, das an mehreren Stellen in den Seitentälern der oberen Diemel ansteht.

Die Verwendung respektabler Mengen westeuropäischen Feuersteins (neben dem nordeuropäischen) sowie ost- bis südosteuropäischer Hornblendeschiefer in den bäuerlichen Siedlungen der Warburger Börde während der Linienbandkeramik und der vereinzelte Fund anderer, von weither bezogener Artikel lässt den Schluss zu, dass die Bevölkerung in bestimmten Teilen Europas bereits zu Beginn des Neolithikums eine Differenzierung nach hauptsächlichen Tätigkeitsmerkmalen, die wir heute "Berufe" nennen würden, in Angriff genommen hatte, in die auch der Bauernstand einbezogen war. Als Bezieher von benötigten Rohstoffen, Gütern und Gerätschaften hat er gewiss auch Gegenleistungen erbracht, für deren Art man u.a. wegen der beschränkten Haltbarkeit vieler seiner Erzeugnisse über nur wenige konkrete Belege verfügt.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007