Armut in Deutschland und (Nordrhein-)Westfalen – jüngere Trends und regionale Unterschiede

16.04.2015 Heinz Heineberg

Kategorie: Bevölkerung

Schlagworte: Westfalen · Nordrhein-Westfalen · Armut · Einkommen

Inhalt

Die jährlichen Berichte des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes e.V. (im Folgenden "Armutsbericht") erlauben wesentliche Aussagen zur Armutsentwicklung auf nationaler Ebene sowie für die einzelnen Bundesländer und Regionen seit 2006 (zum Stand 2007: Heineberg 2010). Sie sind zugleich von erheblicher sozialpolitischer Brisanz, was bereits in dem Haupttitel "Die zerklüftete Republik" des Armutsberichts von 2015 zum Ausdruck kommt. Zu den Kernaussagen zählt, dass die Armutsquoten in Deutschland nicht nur auf der nationalen Ebene ein "neues Rekordhoch" erreicht haben, sondern auch "fast flächendeckend" hoch sind (ebd., S. 1). So wiesen diejenigen Länder und Regionen, die bereits in früheren Berichten die bedenklichsten Trends zeigten – darunter vor allem das Ruhrgebiet – in jüngerer Zeit erneut überproportionale Zuwächse auf, und die "regionale Zerrissenheit hat sich im Vergleich der letzten Jahre verschärft" (ebd.). Der Bericht belegt auch wichtige Trends für einzelne Bevölkerungs- und Sozialgruppen, d.h. für Alleinerziehende und Erwerbslose als hervorstechende Risikogruppen, aber auch das sehr hohe Niveau der Kinderarmut und die bedrohliche Zunahme der Altersarmut in Deutschland (ebd., S.1f.). Von Bedeutung ist auch die "Entkoppelung von wirtschaftlicher Entwicklung und Armutsentwicklung", d.h. der "zunehmende Reichtum geht mit einer immer größer werdenden Ungleichverteilung einher" (ebd., S. 4).

Abb. 1: Armut in Deutschland, Nordrhein-Westfalen und Hessen 2006–2013 (Quelle: Der Paritätische Wohlfahrtsverband 2015, S. 11f.)

Zur Datengrundlage

Die im jüngsten Armutsbericht verwendeten Daten (sog. relative Armutsquoten) basieren auf den im November 2014 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten, für 2013 fortgeschriebenen Ergebnissen des ersten gesamtdeutschen Zensus von 2011 (zur Methodik der Datenerhebung, auch im Vergleich zu den früheren Ergebnissen und deren zählungsbedingte Abweichungen seit 2006 s. Armutsbericht 2015, S. 2ff.; s. auch Heineberg 2010). Die relativen Armutsquoten beziehen sich auf "Personen in Haushalten […], deren Einkommen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen (Median) bedarfsgewichteten Einkommens in Deutschland beträgt" (ebd., S. 2). Diese "60-Prozent-Armutsgefährdungsgrenze" lag 2013 bei einem Single-Haushalt bei 892 Euro oder z.B. bei Familien mit zwei Erwachsenen und Kindern unter 14 Jahren bei 1.873 Euro (ebd.). Der Armutsbericht berücksichtigt zum Vergleich auch Daten der amtlichen Sozialberichterstattung, sog. SGB II-Quoten, d.h. Anteile der Empfänger/-innen für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende als Arbeitslosengeld II und Sozialgeld (www.amtliche-sozialberichterstattung.de; im Folgenden nicht berücksichtigt).

Die Armutsquoten konnten auf der regionalen Ebene für sog. Raumordnungsregionen berechnet werden, für Niedersachsen und Bremen seit 2008 allerdings lediglich für sog. Mikrozensus-Anpassungsschichten (Abb. 3).

Abb. 2: Armut in Deutschland, Armutsquoten 2013 in Prozent (Quelle: Der Paritätische Wohlfahrtsverband 2015, S. 6)

Trends und regionale (Ungleich-)Verteilungen von Armut

Die Armutsanalyse verdeutlicht den nahezu kontinuierlichen Anstieg der Armutsquote in Deutschland von 14% im Jahr 2006 auf 15,5% in 2013 (Abb. 1). In diesem Zeitraum ist dagegen auf der nationalen Ebene die Arbeitslosenquote von 10,8% auf 6,9% gesunken; allerdings verbirgt sich hinter diesen Zahlen auch eine "wachsende Anzahl von Menschen im Niedriglohnsektor und in prekären Beschäftigungs- und nicht auskömmlichen Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen" (Armutsbericht 2015, S. 5). Von den bundesweiten Gesamtwerten weichen die einzelnen Bundesländer zum Teil erheblich ab (Abb. 2). Waren die Armutsquoten bereits im Jahr 2006 im südlichen Deutschland (Bayern 10,9%, Baden-Württemberg 10,1%) am geringsten, so sind sie dort bis 2013 nur geringfügig – auf einem immer noch niedrigen Niveau – angestiegen (auf 11,3% bzw. 11,4%). Die Armutsquote lag 2007 in Nordrhein-Westfalen mit 14,6% erstmals über dem nationalen Mittelwert und hat sich seit der Zeit deutlich stärker entwickelt als in Gesamtdeutschland (2013: 17,1%).

Abb. 3: Armut in Nordrhein-Westfalen und angrenzenden Raumordnungsregionen, Armutsquoten 2013 in Prozent (Quelle: Der Paritätische Wohlfahrtsverband 2015, S. 27)

Sowohl das Beispiel Nordrhein-Westfalen als auch das benachbarte Hessen zeigen, dass innerhalb der einzelnen Bundesländer auf der regionalen Ebene z.T. ganz erhebliche Ungleichverteilungen von Armut bestehen. Wie Abbildung 3 verdeutlicht, setzt sich das Rhein-Main-Gebiet (mit nur 12,4% in 2013) "als prosperierende Metropolregion […] deutlich vom Rest Hessens ab und sorgt für dessen Armutsquote unterhalb des bundesdeutschen Durchschnitts" (Armutsbericht 2015, S. 11; Abb. 2). Im Fall Hessens ist damit eine deutliche "regionale Spaltung" zu erkennen (ebd.). Dies gilt umso mehr für Nordrhein-Westfalen bzw. den Landesteil Westfalen, in dem sich "das gleiche Phänomen zunehmender regionaler Disparitäten wie in Gesamtdeutschland" (ebd., S. 12) zeigt. Wie die Daten im Armutsbericht verdeutlichen, sind nicht nur im Ruhrgebiet die Armutsquoten überproportional angewachsen – in der Region Dortmund von 17,7% (2006) auf den höchsten Durchschnittswert von 21,4% (2013), ähnlich auch in der benachbarten Emscher-Lippe-Region (von 17,4% auf 21,2%) –, sondern auch in anderen Regionen innerhalb Nordrhein-Westfalens. So stieg in der Raumordnungsregion Münster die Armutsquote von einem zunächst niedrigen Wert (2006: 11,5%) bis in die jüngste Zeit deutlich an (2013: 14,6%), auch die Region Bielefeld verzeichnete einen Zuwachs (von 14,3% auf 15,6%), während sie demgegenüber in anderen Regionen Westfalens sogar etwas fiel (Arnsberg 13% in 2006, 12,8% in 2013; Paderborn 14,9% in 2006, 14,2% in 2013) oder sich nur wenig erhöhte (Siegen 12,2% in 2006, 13,1% in 2013) (Daten nach Armutsbericht 2015, Tab. 9).

Nicht nur das Ruhrgebiet hat sich mit einer Armutsquote von nahezu 20% (2013: 19,7%) zu einer "der großen armutspolitischen Problemregionen Deutschlands" entwickelt, dessen in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegene Quote "deutlich höher liegt als etwa in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen" (Armutsbericht 2015, S. 13). Überraschend hohe Armutsquoten weisen auch die rheinländischen Raumordnungsregionen Köln und Düsseldorf auf, in denen seit 2006 – mit ähnlicher Dynamik wie im Ruhrgebiet – deutliche Anstiege der durchschnittlichen Armut zu beobachten sind (Köln 2006: 13,3%, 2013: 17,5%; Düsseldorf 2006: 12,4%, 2013: 16,3%) (ebd., S. 25f.).

Angesichts der im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Forderung nach gleichwertigen Lebensbedingungen innerhalb des Bundesgebiets ist die im jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands dokumentierte (regionale) Armutsentwicklung und -verteilung eine wichtige politische Herausforderung – nicht zuletzt in einer Zeit stark wachsender Massen-Zuwanderungen von durch Armut bedrohten ausländischen Migranten. Zu Vorschlägen politischer Maßnahmen zur Armutsbekämpfung in Deutschland vgl. im Einzelnen den aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands (S. 20ff.) und www.paritaet.org.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2009, Aktualisierung 2015