LEADER-Projekt: Brilon-Wald – Dorfentwicklung, aber wie?

01.01.2014 Meinolf Rohleder

Inhalt

Der etwa 8 km südlich des Kerns der alten Hansestadt Brilon liegende Ortsteil Brilon-Wald (Abb. 1) gehört zu den sechs im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens 2011 ausgewählten "Modelldörfern" des Projektvorhabens "Dörfer im Aufwind" in der LEADER-Region Hochsauerland (s. Beitrag Rohleder).

Abb. 1: Karte der Stadt Brilon und seiner Ortsteile (Quelle: eigener Entwurf nach Gemeindegrenzenkarte Bad Godesberg 1967)

Keine traditionelle Dorfhistorie

Anders als die anderen fünf Modelldörfer in der LEADER-Region Hochsauerland hat Brilon-Wald eine andere "Dorfgeschichte", die erst im Jahre 1868/72 begann. Während andere Ortsteile Brilons auf eine jahrhundertelange Dorf- und/oder Kirchenhistorie zurückblicken können und bis zur kommunalen Neugliederung am 1. Januar 1975 selbstständig waren, war dies für Brilon-Wald nicht der Fall (Abb. 1). Für den Siedlungsbeginn waren auch die Landwirtschaft oder der Bergbau (Blei, Eisen oder Kalkstein) keine Grundlage (vgl. dazu: Köhne 2007 und Walter 2007, Köhne 2010), sondern der Eisenbahnbau.

Eine für die 70 Dörfer in der LEADER-Region Hochsauerland einmalige "Dorf"-entwicklung von Brilon-Wald und ein großes Engagement der verbliebenen Bewohner für ihren Ort z. B. im Verein "Brilon-Wald aktiv", führte dazu, dass sich Brilon-Wald im ausgeschriebenen Wettbewerb als Modelldorf für die Stadt Brilon gegenüber anderen Dörfern durchsetzen konnte.

Eisenbahn und Aktivkohle

Die Entwicklung von Brilon-Wald ist einerseits eng mit dem Eisenbahnbau im Grenzgebiet Brilon-Waldeck, andererseits mit dem Aufbau der "Chemischen Fabrik" verbunden. Denn erst ab 1868 im Zusammenhang mit dem Bau der sog. "Oberen Ruhrtalbahn" der Eisenbahnstrecke Schwerte–Warburg kann von einem Siedlungskern gesprochen werden.

Mit dem Bau des "Elleringhäuser Tunnels" 1868 bis 1872 (Abb. 1) entstanden in Nähe des Ostportals ein Bahnhof, Lagerschuppen und erste Wohnhäuser.

Dies war der Beginn einer neuen Siedlung, deren Einwohnerzahl bis heute stets deutlich unter 1.000 blieb. Im Jahr 1873 nahm die Bahn sowohl den Güter- als auch den Personenverkehr auf.
Abb. 2: Bahnhofsgebäude Brilon-Wald (Foto: M. Rohleder 2013)

Der Haltepunkt selbst wurde zunächst "Brilon-Corbach" genannt. Die Station wurde in Brilon-Wald unbenannt, nachdem im Jahre 1900 der Bahnbetrieb zur Kernstadt selbst aufgenommen worden war. Der Name Brilon-Wald wurde dann auch für die kleine Siedlung übernommen.

Während des Ersten Weltkriegs wurden die Bahnanlagen erheblich erweitert und ein neues Empfangsgebäude, der "Waldbahnhof", errichtet (Abb. 2). Im gleichen Zeitraum begann der Verkehr über Willingen in das waldeckische Korbach.

Der regelmäßige Personenverkehr nach Brilon-Stadt, der seit 1974 mehrere Jahrzehnte ruhte, wurde erst im Dezember 2010 wieder aufgenommen.

Neben dem Eisenbahnbau ist die Errichtung einer Chemiefabrik als zweiter wesentlicher Entwicklungsimpuls von Brilon-Wald zu nennen. Aus dem reichlich vorhandenen Rohstoff Holz wurden seit 1880 Holzkohle, Holzessig und andere chemische Grundstoffe hergestellt. Die "Chemische Fabrik", die später zum Degussa-Konzern gehörte, wuchs trotz mancher Krise ständig.

Das Wachstum betraf sowohl das Betriebsgelände, das schließlich das gesamte Tal einnahm, als auch die Beschäftigtenzahl, die schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s fast 300 erreichte. Die Mitarbeiter dieses Unternehmens und ihre Familien benötigten Wohnraum sowie eine entsprechende öffentliche Infrastruktur. Die Wohnhäuser, eine Schule und eine katholische Kirche entstanden in den 1920er Jahren. Bis 1939 ergänzten neue Werkswohnungen und nach 1945 weitere Einfamilienhäuser das Siedlungsgefüge.

Das chemische Werk, dessen Hauptprodukt zuletzt Aktivkohle war, stellte, nachdem die Degussa es 1988 an ein US-amerikanisches Unternehmen verkauft hatte, im Jahre 1995 die Produktion ein. Die letzten 150 Beschäftigten verloren damit endgültig ihren Arbeitsplatz. Das gesamte Werk wurde abgerissen. Einzig der sog. "Essigturm" (Abb. 3) auf der Fläche der Industriebrache markiert heute als Industriedenkmal den ehemals florierenden Standort.

Abb. 3: Denkmal ''Essigturm'' auf dem ehemaligen Degussa-Gelände (Foto: M. Rohleder 2013)

Aspekte einer ''neuen'' Dorfentwicklung

In Folge dieses wirtschaftlichen Niedergangs war in den 15 Jahren bis 2010 ein Bevölkerungsrückgang von 25% zu verzeichnen, 2010 lebten nur noch 559 Menschen in Brilon-Wald. Dabei nahmen insbesondere die Bevölkerungsgruppen bis zum Alter von 45 Jahren deutlich ab.

Nur noch etwa 100 Kinder und Jugendliche lebten in dem Ortsteil, fast genau soviel in der Altersgruppe der über 65-Jährigen.

Für die Grundversorgung stehen noch ein Metzger (in Anlehnung an ein Hotel) und ein kleiner Kiosk zur Verfügung. Ein Bäcker (3x in der Woche) und ein Bauernladen (1x) versorgen den Ort in mobiler Weise. Daneben gibt es ein SB-Center der Sparkasse Hochsauerland, ein Autohaus, eine Gaststätte, zwei weitere Beherbergungsbetriebe und wenige Ferienwohnungen.

An öffentlicher Infrastrukturwaren 2010 vorhanden: ein integrierter (Wald-)Kindergarten, zwei Spielplätze, ein Bolzplatz, eine Sporthalle, ein Jugendtreff, das Dorfgemeinschaftshaus und wie im Sauerland (auch in kleinsten Orten) üblich eine Schützenhalle (Schröteler von Brandt et al. 2011, S. 31).

Ebenso wie in den anderen fünf Modelldörfern wurden mit wissenschaftlicher Unterstützung der Universität Siegen und der Stadtverwaltung auch in Brilon-Wald auf der Grundlage einer Bürgerbefragung zwei "Dorfworkshops" (November 2010 und Februar 2011) mit einer Stärken- und Schwächenanalyse unter reger Beteiligung der Bevölkerung durchgeführt. Die erarbeiteten Ergebnisse mündeten dann in ein Dorfentwicklungskonzept.

Dieses Konzept beinhaltete – parallel zur Aufstellung eines städtebaulichen Rahmenplans für Brilon-Wald und der Antragstellung für das Projekt im Rahmen der "Regionale 2013" in Südwestfalen (s. Beitrag Grothues) – eine mehrstufige innerörtliche Entwicklungsstrategie.

Mit der Umsetzung der ersten Maßnahmen (Begrünung, Neugestaltung der Ortsmitte, Verbesserung der touristischen Infrastruktur, z. B. Wanderbänke, Infotafeln, Wanderparkplätze zur Anbindung an den Rothaarsteig) wurde im Jahr 2012 begonnen.

Das "Waldbahnhof-Projekt" wurde im Rahmen der Regionale 2013 weiter verfolgt. Inzwischen liegen entsprechende Zusagen über 389.000 Euro aus verschiedenen Etats vor (SauerlandKurier, 7.6.2013).

Fazit/Ausblick

Soll der Übergang von einem Industrie-"dorf" zu einem attraktiven touristischen Standort für Brilon-Wald gelingen, ist einerseits die Kooperation zahlreicher Akteure, z. B. interkommunal über die Landesgrenze, hier Willingen im Upland, unbedingt notwendig.

Das Beispiel Brilon-Wald belegt eindrucksvoll, wie das LEADER-Programm der EU entscheidende Impulse für eine zukunftsorientierte Entwicklung in einem peripheren ländlichen Raum zu geben vermag. Als besondere Herausforderung erscheint hier die zukünftige Nutzung der über 3 ha großen Fläche einer Industriebrache (ehem. Chemiewerk), wie man sie in einem Mittelgebirgsraum vielleicht nicht vermutet.

Sollten die angestrebten Zielsetzungen für Brilon-Wald (neue Arbeitsplätze, stabile Einwohnerzahl) mittelfristig erreicht werden, hätten sich die jahrelangen Anstrengungen gelohnt. Brilon-Wald würde dann ein neues Kapitel seiner einmaligen Dorfgeschichte aufschlagen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2014