Insektensterben in der modernen Kulturlandschaft

08.02.2019 Richard Pott

Inhalt

Die bunt gefärbten Schmetterlinge sind neben den Vögeln die mit Abstand beliebtesten Tiere in Mitteleuropa, weit vor den Bienen, Käfern, Fliegen und anderen Insekten, Amphibien und den Wirbeltieren. Derzeit ist vielerorts ihr dramatischer Rückgang zu beobachten.

Wenn man heute über eine deutsche Autobahn von Münster nach Passau fast einmal durch die ganze Republik fährt, bleibt am Auto die Windschutzscheibe nahezu frei von toten Insekten. Früher war das anders – da musste man an Sommertagen mindestens einmal zwischendurch an eine Raststätte, um eben diese Windschutzscheibe von den Insekten zu befreien, damit man Klarsicht für die Weiterfahrt hatte. Warum gibt es nicht mehr die Vielzahl und die Menge von Insekten? Und wo sind auf dem Land die Schmetterlinge und die Bienen? Wo sind auch die Sperlingsvögel und andere gefiederte Genossen geblieben? Sie verschwinden, weil wir ihre Lebensräume zerstören, da die export-orientierte industrielle Landwirtschaft immer mehr Raum einnimmt.

Abb. 1: Bunte, artenreiche Blumen- wiesen mit einer vielfältigen Insek- tenfauna gibt es heute fast nur noch in Naturschutzgebieten, wie hier bei Tecklenburg (Foto: R. Pott)

Die Verarmung der natürlichen Artenvielfalt in der vor allem landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft Deutschlands ist neuerdings in der Presse ein wichtiges Thema. Die Dramatik des Artenrückgangs insbesondere an Insekten nimmt immer noch zu: "Es sind die kleinsten, die unsere Welt am Laufen halten", hat der große Biologe E.O. Wilson (geb. 1929) einmal gesagt. Zwei Drittel der hundert wichtigsten Nutz- und Kulturpflanzen sind ganz oder teilweise von der Bestäubung durch Bienen, Schmetterlinge und Schwebfliegen abhängig. Das entspricht einer nahezu unglaublichen kostenlosen Ökosys­tem-Dienstleistung von weltweit etwa 230–500 Milliarden US-Dollar im Jahr! In China und Japan werden Obstbäume neuerdings schon von Menschenhand bestäubt. Wenn diese Leistung der Insekten wegfällt, entstehen massive globale Probleme der Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln aus der Natur, vor allem in der Versorgung mit Obst. Auch die Bestäubung der Wildpflanzen in den natürlichen Ökosystemen ist gefährdet und bedroht.

Abb. 2: Mittlerweile in Westfalen nur noch selten anzutreffen: Schwalbenschwanz (li.) und Bläuling (Fotos: R. Pott)

Insektensterben

Insekten und deren Biodiversität gehen derzeit qualitativ und quantitativ massiv zurück. Manche sprechen sogar von einem regelrechten "Insektensterben". Das ist sicherlich nur lokal oder regional auszumachen. Vielleicht spielen mancherorts auch Witterungsphänomene eine Rolle. Die industrielle Landwirtschaft mit ihren Pestiziden und Monokulturen ist in Westfalen und überall in Mitteleuropa aber der Hauptverdächtige (s. Beitrag Pott). Bei einigen Arten spielten natürlich auch der Kulturlandschaftswandel mit dem Schwund von ungedüngten Wiesen und Weiden, von Trockenrasen und Brachflächen die Hauptrolle für ihr Aussterben und den Schwund ihrer Biomasse. Der Rückgang der Insekten betrifft entsprechend auch die Vögel, Reptilien, Nager und andere Kleinsäugetiere, die sich von ihnen ernähren. Am deutlichsten wird dieses Phänomen derzeit am Rückgang der Wildbienen und der Schmetterlinge. Sie haben eben die wichtigen Funktionen bei der Bestäubung von Blütenpflanzen – auch von unseren Kultursorten wie Äpfel, Birnen und Kirschen, und sie sind eine bedeutende Nahrungsquelle für zahlreiche Vögel. Typische Feldvögel wie Rebhuhn und Fasan sind in der heutigen agrarindustriell genutzten Kulturlandschaft vielerorts verschwunden.

Abb. 3: Kiebitze sind an Feuchtwiesen gebunden und finden heute in Westfalen mancherorts keine Lebensräume mehr (Foto: R. Pott)

Rückgang der Vogelarten

Temporäre, witterungsbedingte Rückgänge bei den Vogelpopulationen gab es immer, aber jetzt müssen wir seit den 1980er Jahren die signifikanten Bestandsabnahmen von Brutvogelarten gerade in den Agrarlandschaften feststellen: Feldlerchen, Goldammer, Stieglitze und Stare sind selten geworden. Kiebitze (Abb. 3), Braunkehlchen und Uferschnepfen sind fast nirgendwo mehr zu sehen. Schwalben und Mauersegler leben von Insekten. Auch die Fledermäuse verlieren derzeit ihre Nahrungsgrundlage. Wollen wir das so hinnehmen oder können wir da entgegen wirken? Vogelschlag an verglasten und verspiegelten Gebäuden sowie an Windrädern, Stromleitungen, Eisenbahnzügen und im Autoverkehr kann man durch geeignete technische Maßnahmen (Trassenbündelung, akustische Warnsysteme etc.) verringern. Beseitigen kann man diese Vogelverluste nicht. Das gleiche gilt für das höchst emotional besetzte Thema der Tötung von Kleinvögeln in den Gärten durch freilaufende Katzen. Fast die Hälfte der in Deutschland einheimischen Vogelarten ist mittlerweile vom Aussterben bedroht. Hauptgrund ist jedoch die industrielle Agrarwirtschaft.

Wenn man in der Stadt wohnt und einen großen Garten mit Blumenrabatten, Gebüschen und Bäumen ungespritzt unterhalten kann, hat man noch diese Vielfalt an Insekten und Vögeln bis zum Igel um das Haus – auf dem Land ist es teilweise anders. Landschaften mit zirpenden Heuschrecken und Schmetterlingen gibt es fast nicht mehr, und wir haben uns an blütenleere Maisanbauflächen gewöhnt. Nach einer neuen Studie von C. Hallmann von der Universität Nijmwegen (2017) sind in deutschen Naturschutzgebieten in den letzten Jahren 70–80% der Fluginsekten, vor allem Schmetterlinge, Motten und Bienen sowie weitere flugunfähige Arten zurückgegangen. Wie kann die ursprüngliche Vielfalt noch gerettet werden?

Biologisch-ökologische Ursachen für den Schwund von Schmetter- lingen und Vögeln

Massensterben in der Agrarlandschaft – Auswege?

Kausalketten zur Ausbringung von Schädlingsvernichtungsmitteln, Insektiziden, Pflanzengiften wie Glyphosat oder insektentötender Neonicotinoide mit derzeitigem Massensterben der Insekten liegen auf der Hand, sind aber im strengen wissenschaftlichen Sinn wegen mangelnder Versuche und Belege noch nicht direkt nachweisbar. Hier ist also auch ein großer Forschungsbedarf.

In diesem Dilemma stehen Naturschützer, Landwirte und Politik: Früher gab es eben größere ungedüngte Äcker und Grünländer oder brache Flächen in den Kulturlandschaften Mitteleuropas mit Trockenrasen, Wiesen, Weiden, Feuchtwiesen, Mooren, Gewässern, Hecken, Gebüschen und Waldinseln, die einen Großteil sog. halbnatürlicher Lebensräume aus der vorindustriellen Zeit beherbergten. Diese Formationen und Biotoptypen fallen in der modernen industriellen Großflächenbewirtschaftung weitestgehend weg, sie werden drainiert, planiert, gerodet, gedüngt und nivelliert. Dementsprechend verarmt die Vielfalt an Klein- und Kleinstbiotopen zugunsten riesiger Monokulturen aus Getreide und Mais oder Grünland mit hochproduktiven Grasarten. Genau hier wäre der Ansatz für den Schutz der Tiere: Wenn man heute die Insektenvielfalt erhalten will, helfen nur politisch geförderte und finanzierte Kulturlandschaftsprogramme, die es seit einigen Jahren auch in – leider nur wenigen – Regionen gibt: Acker­wildkrautprogramme mit nicht gedüngten, großen und breiten ungespritzten Ackerrandstreifen für die Acker­unkräuter oder "Blühstreifen" mit Hecken und Rainen wurden mancherorts angelegt, welche die Landwirte erhalten und bewirtschaften, so dass eben die Vielfalt der Insekten und die Vielfalt der ökologischen Nahrungsketten in der Kulturlandschaft erhalten bleibt (z.B. auf der Egge im Paderborner Raum) (s. Beitrag Stichmann). Aber auch der ungespritzte und ungedüngte Garten in der Stadt oder auf dem Land, wo sich mittlerweile Refugien für diese bedrohten Tierarten bilden können, ist hilfreich. Genauso könnten neue, konsequent ökologische, naturverträgliche Anbauweisen in der Landwirtschaft mit Integration von verschiedenen Lebensräumen zur Artenvielfalt beitragen – anstelle der heutigen Monokulturen mit Artenschwund. Es ist derzeit aber nur ein Hoffnungsstreifen in der monotonisierten globalisierten Landnutzung.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: 2,4 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2019