Ein neuer Betrieb etabliert sich – Hengst Automotive in Nordwalde

01.01.2015 Meinolf Rohleder

Inhalt

Neuer Standort Nordwalde

Über 3.000 Beschäftigte waren Ende 2011 beim Automobilzulieferer Hengst beschäftigt, so viele wie noch nie in der über 50-jährigen Geschichte des weltweit agierenden Familienunternehmens. Mittlerweile ist der Standort Nordwalde (Abb. 1) mit über 700 Beschäftigten die größte Produktionsstätte des Unternehmens.

Damit ist es in den letzten 10 Jahren der Gemeinde Nordwalde mit den Investitionen von Hengst gelungen, endgültig die durch den Niedergang der Textilbranche hohen Verluste an Arbeitsplätzen im industriellen Bereich wieder auszugleichen.

Abb. 1: Hengst Automotive – Betriebsgelände am Standort Nordwalde (Foto: Hengst SE & Co. KG)

Niedergang der Textilindustrie

Noch im Topographischen Atlas von Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 1968 wurde die Gemeinde Nordwalde in einem Beitrag über den "münsterländischen Textilbezirk" (von H. Büschenfeld) als der Ort mit dem höchsten Anteil (93 %) der Industriebeschäftigten (1.081 im Jahr 1961) im Textilbereich in der gesamten Region vorgestellt. 45 Jahre später gehört kein einziger Arbeitsplatz in Nordwalde mehr der Textilbranche an, nachdem das Unternehmen Fraling (Heimtextilien) 1995 (noch 220 Beschäftigte) und mit Wattendorf 2006 (noch 30 Beschäftigte) die letzte Baumwollspinnerei Nordwestdeutschlands ihre Produktion einstellten.

Durch den Niedergang der münsterländischen Textilindustrie ging auch die Zahl der im Produzierenden Gewerbe Beschäftigten in Nordwalde kontinuierlich zurück (1970: 56%, 1987: 39%) und erreichte den Tiefststand mit nur noch knapp 100 Industriebeschäftigten im Jahr 1997. Trotz der Ausweisung zahlreicher neuer Gewerbeflächen im Westen der Gemeinde und der Ansiedlung neuer mittelständischer Betriebe in diesem Bereich stieg die Zahl im industriellen Sektor in den folgenden Jahren auf nur etwa 160 Beschäftigte.

Abb. 2: Hengst Automotive – Logistikzentrum Nordwalde (Foto: Hengst SE & Co. KG)

Aufbau in globalen Strukturen

Das 1958 in Münster gegründete Unternehmen, das bereits im Jahr der Wiedervereinigung den "VEB Filter und Vergaserbau" in Berlin/Prenzlauer Berg – den einzigen Betrieb dieser Art in der ehemaligen DDR – übernommen hatte, begann zu Beginn des neuen Jahrtausends mit dem Aufbau des Standortes Nordwalde. Zuerst wurde im Jahr 2000 westlich des Gewerbegebietes Westring in Richtung B54 eine eigene Aluminiumgießerei und die Erweiterung der Energetic-Fertigung errichtet. Ein Jahr später erfolgte die Eröffnung des Logistik-Zentrums (Abb. 2). Parallel zum Aufbau in Nordwalde verstärkte Hengst seine Präsenz im globalen Maßstab, um näher an den Wachstumsmärkten in Nord- und Südamerika bzw. in China zu sein.

Im ersten Jahrzehnt nach 2000 wurden eigene Ingenieurbüros in Detroit und São Paulo eingerichtet. 2005 folgte im Hinterland Shanghais der Aufbau des Standortes Kunshan in der Provinz Jiangsu. Im gleichen Jahr wurde in Camden, South Carolina, das Standbein in Nordamerika durch die Gründung einer Tochtergesellschaft gestärkt. Ebenso in Brasilien, wo in Joinville im Bundesstaat Santa Catarina ein neues Firmengebäude eingerichtet wurde. Der neuste Standort (2013) liegt in Bangalore in Südindien (WN, 05.03.2013).

Abb. 3: Hengst Automotive – Fertigung von Ölnebelabscheidern am Standort Nordwalde (Foto: Hengst SE & Co. KG)

Produktionsstätte Nordwalde

In Nordwalde kam es schließlich zu einer zweistufigen Erweiterung in den Jahren 2006 und 2011 durch die Errichtung neuer sowie die Erweiterung vorhandener Produktionshallen. Der mittlerweile entstandene Industriekomplex besaß bereits Produktionsflächen von mehr als 10.000 m2. Mit einem Investitionsvolumen von mehr als 10 Mio. Euro will Hengst "Nordwalde zum globalen Entwicklungszentrum für Aluminium-Module ausbauen", so die Geschäftsleitung in der Presse (WN, 06.11.2010). In diesem Zusammenhang wurden zusätzlich 120 neue Arbeitsplätze in Nordwalde geschaffen.

Hergestellt werden komplexe Filtersysteme (u. a. Öl-, Kraftstoff-, Luftfilter; Abb. 4), Wärmetauscher sowie sog. Fluidmanagement-Module für den Automotive-Sektor. Diese Module müssen nahezu unter Reinraum-Bedingungen gefertigt werden. Sie sind heute in vielen Pkw und Nutzfahrzeugen, Land- und Baumaschinen sowie Marineanwendungen verbaut. Fast alle namhaften Automobilhersteller werden beliefert. Dabei werden die Bauteile ständig weiterentwickelt. Zur Zeit bringt Hengst jährlich zahlreiche Neuheiten auf den Markt. So werden mit jeder neuen "Autogeneration" im Allgemeinen auch neue Ölfiltersysteme eingebaut, so z. B. für neue Modelle des VW-Golf oder den Audi A3. Das bedeutet für die Produktion bei Hengst in Nordwalde, dass die Fertigungsmöglichkeiten für solche Großserien auf Dauer genutzt werden können: 750.000 Einheiten pro Jahr entsprechen einer Stückzahl von 3.000 pro Arbeitstag.

Im Konsumgütermarkt gibt es zahlreiche Lieferbeziehungen mit Herstellern von Reinigungsgeräten und Elektrowerkzeugen. So z. B. mit Bosch und Kärcher.

Diese rege Geschäftstätigkeit schlug sich in den letzten Jahren auch in Zuwächsen bei den Umsatzzahlen deutlich nieder. Im Jahre 2011 erzielte die Hengst-Gruppe mehr als 340 Mio. Euro Umsatz – eine Steigerung von knapp 20% im Vergleich zum Vorjahr.

Abb. 4: Hengst Automotive – verschiedene Filter für den freien Ersatzteilmarkt (Foto: Hengst SE & Co. KG)

Permanente Innovation

In einem hart umkämpften globalen Markt müssen "Intelligente Filtersysteme" Ölfiltration, Ölkühlung und elektronisch gesteuerte Sensorik in gewichtsparender Weise kompakt vereinen. Hier verzahnen sich auf der einen Seite die eigene Entwicklungsabteilung in Münster und die Produktionsstätte Nordwalde mit ihrer neu aufgebauten Belegschaft.

Im innovativen Bereich ist Hengst Automotive auf den einschlägigen Messen wie z. B. der Automechanika in Frankfurt und der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover präsent und bietet vielfältige Einsatzmöglichkeiten von Filtersystemen aller Art an, auch für Unternehmen jenseits der Automobilindustrie. Zugleich sollen ökologische Aspekte berücksichtigt werden. Ein aktuelles Beispiel aus dem Jahre 2013, vorgestellt auf der internationalen Messe für Baumaschinen, Baufahrzeuge u. a. (Bauma) in München im April: Beim Betrieb von Baumaschinen mit Hilfe von Kanistern und mobilen Tankanlagen im Außenbetrieb bleibt es nicht aus, dass Schmutzpartikel und Wasseranteile in die Einspritzsysteme der Motoren gelangen und diesen schwere Schäden zufügen. Um dies zu verhindern, wurde ein Kraftstoffpflegesystem entwickelt und gebaut, das im Vorfilter das Wasser abscheidet und im Hauptfilter den Schmutz zurückhält. Beide Filter können in einer Art Baukasten je nach Anforderung getrennt oder kombiniert zum Einsatz kommen.

Fazit und Ausblick

Längst ist Hengst Automotive der größte Betrieb im Verarbeitenden Gewerbe der Gemeinde Nordwalde geworden. Damit hat die Gemeinde eine gewisse Diversifizierung in der Industrie nach der Textilkrise erreicht. Dank der eher unbürokratischen und entscheidungsfreudigen Unterstützung durch die Gemeindeverwaltung und einer großzügigen Ausweisung neuer Gewerbegebiete ist es gelungen, im Umland des Oberzentrums Münster einen völlig neuen Industriezweig anzusiedeln und zahlreiche – für entsprechende Fachkräfte hochwertige – Arbeitsplätze an Nordwalde zu binden. Wenngleich die Aussichten im Bereich der Automobilindustrie zukünftig vielleicht nicht so leicht einzuschätzen sind, ist zu vermuten, dass Hengst mit seinen innovativen Produkten angesichts der zukünftigen ökologischen Herausforderungen der Branche (u. a. Reduzierung von Emissionen, effizientere Energienutzung) weiterhin Absatzmärkte im In- und Ausland festigen und ausbauen kann.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2013, Aktualisierung 2015